Krümmung
Krümmung ist ein Begriff aus Mathematik und Technik der in seiner einfachsten Bedeutung die lokale Abweichung einer Kurve von einer Geraden bezeichnet. Der gleiche Begriff steht auch für das Krümmungsmaß, welches für jeden Punkt der Kurve quantitativ angibt, wie stark diese lokale Abweichung ist.
Aufbauend auf dem Krümmungsbegriff für Kurven lässt sich die Krümmung einer Fläche im dreidimensionalen Raum beschreiben, indem man die Krümmung von Kurven in dieser Fläche untersucht. Ein gewisser Teil der Krümmungsinformation einer Fläche, die gaußsche Krümmung, hängt nur von der inneren Geometrie der Fläche ab, d.h. von der ersten Fundamentalform (bzw. dem metrischen Tensor), die festlegt, wie die Bogenlänge von Kurven berechnet wird.
Dieser intrinsische Krümmungsbegriff lässt sich verallgemeinern auf Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimension mit einem metrischen Tensor. Auf solchen Mannigfaltigkeiten ist der Paralleltransport längs Kurven erklärt und die Krümmungsgrößen geben an, wie groß die Richtungsänderung von Vektoren beim Paralleltransport längs geschlossener Kurven nach einem Umlauf ist. Eine Anwendung ist die Allgemeine Relativitätstheorie, welche Gravitation als eine Krümmung der Raumzeit beschreibt. Noch allgemeiner lässt sich dieser Begriff auf Hauptfaserbündel mit Zusammenhang übertragen. Diese finden Anwendung in der Eichtheorie, in welcher die Krümmungsgrößen die Stärke der fundamentalen Wechselwirkungen (z.B. des elektromagnetischen Feldes) beschreiben.
Krümmung einer Kurve


Unter der Krümmung einer ebenen Kurve versteht man in der Geometrie die
Richtungsänderung beim Durchlaufen der Kurve. Die Krümmung einer Geraden ist
überall gleich null, weil sich ihre Richtung nicht ändert. Ein Kreis(bogen) mit dem Radius
hat überall die gleiche Krümmung, denn seine Richtung ändert sich überall gleich
stark. Je kleiner der Radius des Kreises ist, desto größer ist seine Krümmung.
Als Maß für die Krümmung eines Kreises dient die Größe
,
das Verhältnis von Zentriwinkel
und Länge eines Kreisbogens. Der Zentriwinkel ist gleich dem Außenwinkel zwischen
den Kreistangenten in den
Endpunkten des Kreisbogens. Um die Krümmung einer beliebigen Kurve in einem
Punkt zu definieren, betrachtet man entsprechend ein Kurvenstück der Länge
,
das den fraglichen Punkt enthält und dessen Tangenten
in den Endpunkten sich im Winkel
schneiden. Damit wird die Krümmung
in dem Punkt durch
definiert, falls dieser Differentialquotient existiert. Ist die Krümmung in einem Punkt ungleich null, dann bezeichnet man den Kehrwert der Krümmung als Krümmungsradius; dies ist der Radius des Krümmungskreises durch diesen Punkt, also des Kreises, der die Kurve in diesem Punkt am besten annähert. Der Mittelpunkt dieses Kreises heißt Krümmungsmittelpunkt und kann konstruiert werden, indem der Krümmungsradius senkrecht zur Tangente der Kurve abgetragen wird, und zwar in die Richtung, in die sich die Kurve krümmt.
Ist die Kurve als Graph
einer Funktion
gegeben, dann gilt für den Anstiegswinkel
der Kurve
,
also mit der Kettenregel
.
Für die Bogenlänge
gilt
bzw.
. Damit erhält man für die Krümmung
Hierbei kann die Krümmung positiv oder negativ sein, abhängig davon, ob der
Anstiegswinkel
der Kurve bei zunehmender Abszisse
wachsend oder fallend ist, d.h. ob die Funktion konvex oder
konkav ist.
Definitionen
sei der Ortsvektor eines Punktes auf
der Kurve als Funktion der Bogenlänge
.
Die Krümmung
der Kurve ist dann definiert als
Die Krümmung ist also durch den Betrag
der Ableitung
des Einheitstangentenvektors
nach der Bogenlänge gegeben und gibt damit an, wie schnell sich beim Durchlaufen
der Kurve die Tangentenrichtung in Abhängigkeit von der Bogenlänge ändert. Die
Krümmung in einem Punkt der Kurve ist unabhängig von der gewählten
Parametrisierung nach der Bogenlänge.
Für ebene Kurven kann man die Krümmung mit Vorzeichen bezüglich einer
Orientierung
des Normalenbündels
der Kurve definieren. Eine solche Orientierung ist gegeben durch ein stetiges Einheitsnormalenvektorfeld
längs der Kurve. Es existiert stets, da jede ebene Kurve orientierbar ist. Ist
die Krümmung ungleich null, dann ist die Krümmung mit Vorzeichen durch das Skalarprodukt
definiert. Die Krümmung ist also positiv, wenn sie sich in Richtung von
krümmt (d.h. wenn
gleich dem Hauptnormaleneinheitsvektor
mit
ist) und negativ, wenn sie sich in die entgegengesetzte Richtung krümmt
(d.h. wenn
gilt). Die Definition ist wieder unabhängig von der Parametrisierung nach der
Bogenlänge, aber das Vorzeichen
ist abhängig von der Wahl von
längs der Kurve. Der Betrag
liefert die oben gegebene Definition der Krümmung ohne Vorzeichen.
Einer regulär parametrisierten Kurve in der Ebene lässt sich über die
Durchlaufrichtung eine Orientierung zuordnen. Ist zusätzlich eine Orientierung
der Ebene vorgegeben, so wird dadurch eine Orientierung auf dem Normalenbündel
induziert. Dazu sei
der Einheitsnormalenvektor, so dass die geordnete Basis
positiv orientiert ist. Damit wird das Vorzeichen der Krümmung einer
parametrisierten Kurve abhängig von der Orientierung der Ebene und dem
Durchlaufsinn der parametrisierten Kurve. In einer Linkskurve ist
positiv und in einer Rechtskurve negativ.
Einer Kurve ,
die als Nullstellenmenge
einer Funktion
mit regulärem
Wert
gegeben ist, kann die Krümmung mit Vorzeichen bezüglich des auf die Kurve
eingeschränkten normierten Gradientenfeldes
zugeordnet werden.
Eigenschaften
Der Krümmungskreis ist der eindeutig bestimmte Kreis, dessen Kontaktordnung
mit der Kurve im Berührungspunkt
ist. Die Krümmung in einem Punkt ist genau dann gleich null, wenn dort die
Kontaktordnung mit der Tangente
ist. Die Evolute einer Kurve ist die Ortskurve ihrer
Krümmungsmittelpunkte. Man erhält einen Krümmungsmittelpunkt als den Grenzwert
von Schnittpunkten zweier Normalen, die sich einander annähern. Nach Cauchy kann
damit die Krümmung einer ebenen Kurve definiert werden.
Die Krümmung einer Raumkurve ist wie die Windung eine bewegungsinvariante Größe, die den lokalen Verlauf einer Kurve beschreibt. Beide Größen kommen als Koeffizienten in den frenetschen Formeln vor.
Ist
die Krümmung mit Vorzeichen für eine nach der Bogenlänge parametrisierte Kurve
in der orientierten Ebene, dann gelten die folgenden Gleichungen:
Jede der beiden Gleichungen ist äquivalent zur Definition der Krümmung mit
Vorzeichen für parametrisierte Kurven. In kartesischen
Koordinaten bedeuten die Gleichungen, dass
und
ein Fundamentalsystem
von Lösungen für die lineare
gewöhnliche Differentialgleichung
bilden, deren Lösung durch
mit
gegeben ist. Aus der Abbildung
wiederum erhält man durch Integration die Parametrisierung
der Kurve nach der Bogenlänge. Die Vorgabe eines Startpunktes
,
einer Startrichtung
und der Krümmung
als Funktion der Bogenlänge bestimmt also die Kurve eindeutig. Da
durch eine Drehung von
um den Winkel
gegeben ist, folgt weiterhin, dass sich zwei Kurven mit derselben
Krümmungsfunktion nur durch eine eigentliche
Bewegung in der Ebene unterscheiden. Außerdem folgt aus diesen
Betrachtungen, dass die Krümmung mit Vorzeichen durch
gegeben ist, wobei
der Winkel des Tangentenvektors zu einer festen Richtung ist und wachsend
im positiven Drehsinn gemessen wird.
Schränkt man die Parametrisierung
einer ebenen Kurve in der Umgebung eines Kurvenpunktes
so ein, dass sie injektiv
ist, dann kann man jedem Kurvenpunkt
eindeutig den Normalenvektor
zuordnen. Diese Zuordnung kann man als Abbildung von der Kurve in den Einheitskreis auffassen,
indem man den Normalenvektor an den Ursprung des
Koordinatensystems anheftet. Zu einem Kurvenstück der Länge
,
das den Punkt
enthält, gehört dann ein Kurvenstück auf dem Einheitskreis der Länge
.
Für die Krümmung im Punkt
gilt dann
Diese Idee kann auf Flächen im Raum übertragen werden, indem man ein Einheitsnormalenvektorfeld auf der Fläche als Abbildung in die Einheitskugel auffasst. Diese Abbildung bezeichnet man als Gauß-Abbildung. Betrachtet man das Verhältnis von Flächeninhalten anstelle der Bogenlängen und versieht dabei das Flächenstück in der Einheitskugel mit einem Vorzeichen, abhängig davon, ob die Gauß-Abbildung den Umlaufsinn der Randkurve bewahrt oder umkehrt, dann liefert das die ursprüngliche Definition der gaußschen Krümmung durch Gauß. Allerdings ist die gaußsche Krümmung eine Größe der intrinsischen Geometrie, während eine Kurve keine intrinsische Krümmung besitzt, denn jede Parametrisierung nach der Bogenlänge ist eine lokale Isometrie zwischen einer Teilmenge der reellen Zahlen und der Kurve.
Betrachtet man eine normale Variation
,
,
einer parametrisierten ebenen Kurve auf einem Parameterintervall
und bezeichnet mit
die Bogenlänge des variierten Kurvenstücks, dann gilt für die Krümmung mit
Vorzeichen bezüglich
:
Die Krümmung in einem Punkt gibt also an, wie schnell sich die Bogenlänge eines infinitesimalen Kurvenstückes in diesem Punkt bei einer normalen Variation ändert. Auf Flächen im Raum übertragen führt dies auf den Begriff der mittleren Krümmung. Der entsprechende Grenzwert mit Flächeninhalten anstelle von Kurvenlängen liefert dann die zweifache mittlere Krümmung.
Diese Charakterisierung der Krümmung einer ebenen Kurve gilt auch dann, wenn
man allgemeiner die Variation
durch den lokalen
Fluss
eines Vektorfeldes
(d.h.
)
mit
betrachtet. Man erhält
mit der Jacobi-Matrix
und der Divergenz
des Vektorfeldes. Als Anwendung erhält man die folgende Formel für die Krümmung
mit Vorzeichen bezüglich des normierten Gradientenfeldes
längs einer Kurve, die als Nullstellenmenge
einer Funktion
gegeben ist (der Beitrag zweiter Ordnung in Richtung
verschwindet):
wobei
mit der Hesse-Matrix
,
die Spur
und
die Einheitsmatrix
ist. Für Abbildungen
liefert diese Formel die zweifache mittlere Krümmung von Flächen als
Nullstellenmengen im Raum und wird als Formel von Bonnet bezeichnet.
Ausgeschrieben und in eine andere Form gebracht lautet die Formel im Fall ebener
Kurven:
Dabei bezeichnet z.B.
die partielle
Ableitung von
nach dem ersten Argument und
die Adjunkte von
.
Für Abbildungen
liefert der zweite Ausdruck die Gaußsche Krümmung für Flächen als
Nullstellenmengen im Raum.
Berechnung der Krümmung für parametrisierte Kurven
Die oben gegebene Definition setzt eine Parametrisierung der Kurve nach der
Bogenlänge voraus. Durch Umparametrisierung erhält man daraus eine Formel für
beliebige reguläre Parametrisierungen .
Fasst man die ersten beiden Ableitungen von
als Spalten einer Matrix
zusammen, dann lautet die Formel
.
Für ebene Kurven ist
eine quadratische Matrix und die Formel vereinfacht sich mit Hilfe der Produktregel
für Determinanten zu
.
Ist die Ebene durch den
mit der Standardorientierung gegeben, dann erhält man die Formel für die
Krümmung mit Vorzeichen durch Weglassen der Betragsstriche im Zähler.
Ebene Kurven
Ist die Parametrisierung durch die Komponentenfunktionen
und
gegeben, dann liefert die Formel für die Krümmung mit Vorzeichen im Punkt
den Ausdruck
.
(Die Punkte bezeichnen dabei Ableitungen nach .)
Das liefert die folgenden Spezialfälle:
- Fall 1
- Die Kurve ist der Graph
einer Funktion
. Die Krümmung im Punkt
ergibt sich aus
.
- Fall 2
- Die Kurve ist in Polarkoordinaten
gegeben, also durch eine Gleichung
. In diesem Fall erhält man für die Krümmung im Punkt
die Formel
.
Raumkurven
Für Kurven im dreidimensionalen Raum
kann man die allgemeine Formel mit Hilfe des Kreuzproduktes
folgendermaßen ausdrücken:
Krümmung einer Fläche
Einer gewölbten regulären Fläche merkt man ihre Krümmung an einer nach außen quadratisch zunehmenden Abweichung der Fläche von ihrer Tangentialebene an. Eine verstärkte Krümmung macht sich dann als stärkere Abweichung von der Ebene bemerkbar.
In der Differentialgeometrie
betrachtet man an jedem Punkt
die Krümmungsradien der Schnittkurven mit den in
errichteten Normalebenen (d.h. die Fläche senkrecht schneidenden Ebenen).
Dabei wird den Krümmungsradien und Krümmungen das Vorzeichen bezüglich eines
Einheitsnormalenvektorfeldes auf der Fläche, eingeschränkt auf die ebene
Schnittkurve, zugeordnet. Unter diesen Krümmungsradien gibt es einen maximalen
(
)
und einen minimalen (
).
Die Kehrwerte
und
werden als Hauptkrümmungen
bezeichnet. Die entsprechenden Krümmungsrichtungen stehen senkrecht aufeinander.
Die gaußsche Krümmung
und die mittlere Krümmung
einer regulären Fläche in einem Punkt
berechnen sich wie folgt:
Die Gesamtkrümmung oder auch totale Krümmung einer Fläche ist das Integral der gaußschen Krümmung über diese Fläche:
Krümmung in der riemannschen Geometrie
Da riemannsche Mannigfaltigkeiten im Allgemeinen in keinen Raum eingebettet sind, wird in diesem Teilgebiet der Differentialgeometrie eine Krümmungsgröße gebraucht, die unabhängig von einem umgebenden Raum ist. Dazu wurde der riemannsche Krümmungstensor eingeführt. Dieser misst, inwieweit die lokale Geometrie der Mannigfaltigkeit von den Gesetzen der euklidischen Geometrie abweicht. Aus dem Krümmungstensor werden weitere Krümmungsgrößen abgeleitet. Die wichtigste Krümmung der riemannschen Geometrie ist die Schnittkrümmung. Diese abgeleitete Größe enthält alle Informationen, die auch im riemannschen Krümmungstensor enthalten sind. Andere einfachere abgeleitete Größen sind die Ricci-Krümmung und die Skalarkrümmung.
Eine Krümmung auf einer riemannschen Mannigfaltigkeit zeigt sich
beispielsweise, wenn man das Verhältnis zwischen Kreisumfang und Radius
innerhalb der Mannigfaltigkeit ermittelt und zu dem Wert ,
den man in einem euklidischen
Raum erhält, in Verhältnis setzt.
Bemerkenswert ist, dass man zum Beispiel auf der Oberfläche eines Torus eine Metrik definieren kann, die keine Krümmung aufweist. Dies lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass man einen Torus als Quotientenraum aus einer ebenen Fläche bilden kann.
Anwendung in der Relativitätstheorie
In der allgemeinen Relativitätstheorie wird die Gravitation durch eine Krümmung der Raum-Zeit beschrieben, die von den Massen der Himmelskörper verursacht wird. Körper und Lichtstrahlen bewegen sich auf den durch diese Krümmung bestimmten geodätischen Bahnen. Diese Bahnen erwecken den Anschein, dass eine Kraft auf die entsprechenden Körper ausgeübt werde.
Literatur
- Wolfgang Walter: Analysis II. 2. Auflage. Springer, 1991, ISBN 3-540-54566-2.
- Ilja Nikolajewitsch Bronstein, Konstantin Adolfowitsch Semendjajew, Gerhard Musiol, Heiner Mühlig: Taschenbuch der Mathematik. 7. Auflage. Verlag Harri Deutsch, 2008, ISBN 978-3-8171-2007-9.
- Matthias Richter: Grundwissen Mathematik für Ingenieure. 2. Auflage. Vieweg+Teubner 2001, 2008, ISBN 978-3-8348-0729-8.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 27.01. 2022