Hilbertraum
Ein Hilbertraum (auch Hilbert-Raum, Hilbertscher Raum), benannt nach dem deutschen Mathematiker David Hilbert, ist ein Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Funktionalanalysis. Ein Hilbertraum ist ein Vektorraum über dem Körper der reellen oder komplexen Zahlen, versehen mit einem Skalarprodukt – und damit Winkel- und Längenbegriffen –, der vollständig bezüglich der vom Skalarprodukt induzierten Norm (des Längenbegriffs) ist. Ein Hilbertraum ist ein Banachraum, dessen Norm durch ein Skalarprodukt induziert ist. Lässt man die Bedingung der Vollständigkeit fallen, spricht man von einem Prähilbertraum.
Die Struktur eines Hilbertraums ist eindeutig festgelegt durch seine Hilbertraumdimension. Diese kann eine beliebige Kardinalzahl sein. Ist die Dimension endlich und betrachtet man als Körper die reellen Zahlen, so handelt es sich um einen euklidischen Raum. In vielen Gebieten, etwa in der mathematischen Beschreibung der Quantenmechanik, ist „der“ Hilbertraum mit abzählbarer Dimension, d.h. mit der kleinstmöglichen unendlichen Dimension, von besonderer Bedeutung. Ein Element eines Hilbertraums kann als eine Familie einer der Dimension entsprechenden Anzahl reeller bzw. komplexer Werte (im Endlichdimensionalen kartesische Koordinaten genannt) aufgefasst werden. Analog zu Vektorräumen, deren Elemente stets nur in endlich vielen Koordinaten einer Hamelbasis ungleich null sind, ist jedes Element eines Hilbertraums nur in abzählbar vielen Koordinaten einer Orthonormalbasis ungleich null und die Koordinatenfamilie ist quadratsummabel.
Hilberträume tragen durch ihr Skalarprodukt eine topologische Struktur. Dadurch sind hier im Gegensatz zu allgemeinen Vektorräumen Grenzwertprozesse möglich. Hilberträume sind abgeschlossen unter abzählbaren Summen von orthogonalen Elementen mit einer quadratsummablen Folge von Normen bzw. von parallelen Elementen mit einer absolutsummablen Folge von Normen.
Definition
Ein Hilbertraum ist ein reeller oder komplexer Vektorraum
mit einem Skalarprodukt
,
der vollständig
bezüglich der durch das Skalarprodukt induzierten
Norm ist, in dem also jede Cauchy-Folge
konvergiert.
Ein Hilbertraum ist also ein vollständiger Prähilbertraum.
Im Folgenden sei das Skalarprodukt linear
im zweiten und semilinear
im ersten Argument, d.h. ist
ein komplexer Vektorraum und sind
Vektoren und
ein Skalar (komplexe Zahl), so ist
und
.
In welchem Argument das Skalarprodukt semilinear ist, ist Konvention und wird auch oft andersherum gehandhabt.
Bedeutung
Hilberträume spielen in der Funktionalanalysis, speziell in der Lösungstheorie partieller Differentialgleichungen, und damit auch in der Physik eine große Rolle. Ein Beispiel ist die Quantenmechanik, wo reine Zustände eines quantenmechanischen Systems durch einen Vektor im Hilbertraum beschrieben werden können. Aus Sicht der Funktionalanalysis bilden die Hilberträume eine Klasse von Räumen mit besonders spezieller und einfacher Struktur.
Beispiele für Hilberträume
- Der Koordinatenraum
mit dem reellen Standardskalarprodukt
.
- Der Koordinatenraum
mit dem komplexen Standardskalarprodukt
.
- Der Matrizenraum
der reellen oder komplexen Matrizen mit dem Frobenius-Skalarprodukt.
- Der Folgenraum
aller Folgen mit der Eigenschaft, dass die Summe der Quadrate aller Folgenglieder endlich ist. Dieser ist der ursprüngliche Hilbertraum, anhand dessen David Hilbert die Eigenschaften solcher Räume untersuchte. Weiter ist dieses Beispiel wichtig, weil alle separablen unendlichdimensionalen Hilberträume isometrisch isomorph zu
sind.
- Der Raum der quadratintegrierbaren
Funktionen
mit dem Skalarprodukt
. Eine vollständige Definition, die insbesondere die Vollständigkeit näher beleuchtet, findet sich im Artikel über Lp-Räume.
- Der Raum
der fast-periodischen Funktionen, welcher folgendermaßen definiert wird: Zu
betrachte man die Funktionen
mit
. Durch das Skalarprodukt
wird der Raum
(der von den Funktionen
aufgespannte Unterraum des Raums aller Funktionen) zu einem Prähilbertraum. Die Vervollständigung
dieses Raums ist also ein Hilbertraum. Im Gegensatz zu den obigen Beispielen ist dieser Raum nicht separabel.
- Der Sobolev-Raum
für alle
und die entsprechenden Unterräume. Diese bilden eine Grundlage der Lösungstheorie partieller Differentialgleichungen.
- Der Raum
der Hilbert-Schmidt-Operatoren.
- Für
sind der Hardy-Raum
und der reelle Hardy-Raum
Hilberträume.
Orthogonalität und Orthogonalsysteme
Zwei Elemente des Hilbertraumes heißen orthogonal zueinander, wenn ihr
Skalarprodukt 0 ergibt. Eine Familie von paarweise orthogonalen Vektoren heißt
Orthogonalsystem. Unter den Orthogonalsystemen spielen die Orthogonalbasen eine
besondere Rolle: das sind Orthogonalsysteme, die nicht mehr durch Hinzufügen
eines weiteren Vektors vergrößert werden können, also bezüglich Inklusion
maximal sind. Äquivalent dazu ist, dass die lineare
Hülle im Hilbertraum dicht ist. Außer im Falle von endlichdimensionalen
Räumen bilden Orthogonalbasen keine Basis im üblichen Sinn der linearen
Algebra (Hamelbasis).
Sind diese Basisvektoren darüber hinaus so normiert, dass das Skalarprodukt
eines Vektors mit sich selbst 1 ergibt, so spricht man von einem
Orthonormalsystem bzw. einer Orthonormalbasis. Die Vektoren
bilden also genau dann ein Orthonormalsystem,
wenn
für alle
.
Dabei ist
das Kronecker-Delta.
Mittels des Lemmas von Zorn lässt sich zeigen, dass jeder Hilbertraum eine Orthonormalbasis besitzt (es kann sogar jedes Orthonormalsystem zu einer Orthonormalbasis ergänzt werden).
Unterräume
Ein Unterhilbertraum oder Teilhilbertraum eines Hilbertraums ist eine Teilmenge, die mit der Skalarmultiplikation, Addition und Skalarprodukt eingeschränkt auf diese Teilmenge wiederum einen Hilbertraum bildet. Konkret heißt das, dass die Teilmenge die Null enthält und abgeschlossen unter Skalarmultiplikation und Addition ist, das heißt ein Untervektorraum ist, und bezüglich des Skalarprodukts immer noch vollständig ist. Dies ist äquivalent dazu, dass die Teilmenge im topologischen Sinne abgeschlossen ist. Daher bezeichnet man Unterhilberträume auch als abgeschlossene Unterräume bzw. abgeschlossene Teilräume und bezeichnet im Gegensatz dazu beliebige Untervektorräume einfach nur als Unterräume bzw. Teilräume. Ein Solcher ist im Allgemeinen nur ein Prähilbertraum. Jeder Prähilbertraum ist in einem Hilbertraum als dichter Untervektorraum enthalten, nämlich in seiner Vervollständigung. Auch ist es möglich einen Quotientenraum bezüglich eines Unterhilbertraums zu bilden, der wiederum ein Hilbertraum ist.
Dies alles gilt im Wesentlichen analog für beliebige Banachräume, wobei deren Untervektorräume dann nicht unbedingt Prähilberträume, wohl aber normierte Räume sind. Eine Besonderheit dagegen ist die Gültigkeit des Projektionssatzes: Für jeden Unterhilbertraum und jedes beliebige Element des Hilbertraums gibt es ein Element des Unterhilbertraums mit minimalem Abstand. Dies gilt für Banachräume dagegen schon im Endlichdimensionalen im Allgemeinen nicht. Dies erlaubt eine kanonische Identifikation des Quotientenraums bezüglich eines Unterhilbertraums mit einem Unterhilbertraum, das orthogonale Komplement, und das Konzept der Orthogonalprojektion. Das orthogonale Komplement eines Unterhilbertraums ist ein komplementärer Unterhilbertraum, für Banachräume dagegen existiert zu einem Unterbanachraum im Allgemeinen kein komplementärer Unterbanachraum.
Konjugierter Hilbertraum
Im Falle eines komplexen Hilbertraums besteht eine gewisse Asymmetrie
zwischen den beiden Komponenten des Skalarproduktes; das Skalarprodukt ist
linear in der zweiten Komponente und konjugiert linear in
der ersten. Man kann daher zu einem komplexen Hilbertraum
wie folgt einen weiteren Hilbertraum
definieren. Als Menge ist
,
auch die Addition auf
wird von
übernommen. Die skalare Multiplikation und das Skalarprodukt für
werden wie folgt erklärt:
- skalare Multiplikation:
- Skalarprodukt:
.
Man prüft nach, dass
mit diesen Definitionen wieder ein Hilbertraum ist, man nennt ihn den
konjugierten Hilbertraum. Der zu
konjugierte Hilbertraum ist offenbar wieder
.
Operatoren zwischen Hilberträumen
Reichhaltiger Untersuchungsgegenstand in der Funktionalanalysis sind auch gewisse strukturerhaltende Abbildungen zwischen Hilberträumen. Hauptsächlich betrachtet man dabei Abbildungen, die die Vektorraumstruktur erhalten, das heißt lineare Abbildungen, im Folgenden lineare Operatoren genannt.
Eine bedeutende Klasse von linearen Operatoren zwischen Hilberträumen ist die der stetigen Operatoren, die zusätzlich die topologische Struktur, und damit etwa Grenzwerte, erhalten. Weitere wichtige Klassen linearer Operatoren ergeben sich dadurch, dass man von ihnen bestimmte Beschränktheitseigenschaften fordert. Die Stetigkeit ist, wie allgemein bei normierten Räumen, äquivalent zur Beschränktheit des Operators. Eine stärkere Einschränkung ist die der Kompaktheit. Die Schattenklassen sind echte Teilklassen der Klasse der kompakten Operatoren. Auf den jeweiligen Klassen von Operatoren werden verschiedene Normen und Operatortopologien definiert.
Unitäre
Operatoren liefern einen natürlichen Isomorphismenbegriff für
Hilberträume, sie sind gerade die Isomorphismen in der Kategorie der
Hilberträume mit den linearen Abbildungen, die das Skalarprodukt erhalten, als
Morphismen. Konkret: die
linearen, surjektiven Isometrien. Sie erhalten alle Längen und Winkel. Aus dem
Satz von Fréchet-Riesz folgt auch, dass der adjungierte
Operator zu einem linearen Operator von
nach
als linearer Operator von
nach
verstanden werden kann. Dies erlaubt es, dass ein Operator mit seinem
adjungierten Operator kommutiert,
solche Operatoren bilden die Klasse der normalen
Operatoren. Bei Operatoren innerhalb eines Hilbertraums ergibt sich die
Möglichkeit, dass der adjungierte Operator wiederum der Operator selbst ist, man
spricht dann von einem selbstadjungierten
Operator.
Viele der oben aufgeführten Klassen von Operatoren bilden eingeschränkt auf Operatoren auf einem einzigen Hilbertraum Operatoralgebren. Mit der Adjungierung als Involution, unter der alle oben aufgeführten Klassen abgeschlossen sind, und einer passenden Norm ergeben sich sogar involutive Banachalgebren. Die stetigen linearen Operatoren auf einem Hilbertraum mit der Adjungierung und der Operatornorm bilden eine C*-Algebra.
Klassifikation
Unter Verwendung von Orthonormalbasen lassen sich die Hilberträume
vollständig klassifizieren. Jeder Hilbertraum besitzt eine Orthonormalbasis und
je zwei Orthonormalbasen eines Hilbertraums sind gleichmächtig. Die
Kardinalität
einer jeden Orthonormalbasis ist also eine wohldefinierte Eigenschaft eines
Hilbertraums, welche Hilbertraumdimension
oder kurz Dimension genannt wird. Je zwei Hilberträume mit derselben
Dimension sind isomorph:
Man erhält einen Isomorphismus, indem man eine Bijektion zwischen einer
Orthonormalbasis des einen und einer Orthonormalbasis des anderen eindeutig zu
einem stetigen linearen Operator zwischen den Räumen fortsetzt. Jeder stetige
lineare Operator zwischen zwei Hilberträumen ist eindeutig durch seine Werte auf
einer Orthonormalbasis des Raumes festgelegt, auf dem er definiert ist.
Tatsächlich gibt es zu jeder Kardinalzahl
einen Hilbertraum mit dieser Dimension, konstruierbar etwa als Raum
(wobei
eine Menge mit der Dimension als Kardinalität sei, etwa die Kardinalzahl
selbst):
,
wobei
oder
und die Konvergenz der Summe so zu lesen ist, dass nur abzählbar viele
Summanden ungleich
sind (vgl. unbedingte
Konvergenz). Dieser Raum wird versehen mit dem Skalarprodukt
,
welches wohldefiniert ist. Die Vektoren
mit
bilden dann eine Orthonormalbasis des Raumes
.
Die Isomorphie eines jeden Hilbertraums mit einem solchen Raum
für passendes
ist als Satz von Fischer-Riesz bekannt.
Dualraum
Der topologische
Dualraum >
der stetigen, linearen Funktionale
auf einem Hilbertraum
ist wie bei jedem Banachraum selbst wieder ein Banachraum. Eine Besonderheit bei
Hilberträumen ist der Satz von
Fréchet-Riesz: Jeder reelle Hilbertraum
ist mittels des isometrischen
Vektorraumisomorphismus
isomorph zu seinem Dualraum. Die Norm auf dem Dualraum ist daher ebenfalls von
einem Skalarprodukt induziert, er ist somit ebenfalls ein Hilbertraum. Im Falle
eines komplexen Hilbertraums gilt der Satz analog, allerdings ist jene Abbildung
nur semilinear,
das heißt ein antiunitärer
Operator. In beiden Fällen ist der Hilbertraum isomorph zu seinem Dualraum
(ein antiunitärer Operator
lässt sich nämlich in einen unitären Operator
und einen antiunitären Operator
zerlegen), und somit erst recht zu seinem Bidualraum, jeder
Hilbertraum ist also reflexiv.
Fourierkoeffizient
Eine Orthonormalbasis ist ein mächtiges Hilfsmittel bei der Untersuchung von
Hilberträumen über
bzw.
und ihren Elementen. Insbesondere bietet eine Orthonormalbasis eine einfache
Möglichkeit, die Darstellung eines Vektors durch die Elemente der
Orthonormalbasis zu bestimmen. Sei
eine Orthonormalbasis und
ein Vektor aus dem Hilbertraum. Da
eine Hilbertraumbasis
des Raumes bildet, gibt es Koeffizienten
bzw.
,
so dass
ist. Diese Koeffizienten bestimmt man unter Ausnutzung der speziellen Eigenschaften der Orthonormalbasis als
,
da das Skalarprodukt von unterschiedlichen Basisvektoren 0 und von gleichen
Basisvektoren 1 ist. Der -te
Basiskoeffizient der Darstellung eines Vektors in einer Orthonormalbasis kann
also durch Skalarproduktbildung ermittelt werden. Diese Koeffizienten werden
auch Fourierkoeffizienten genannt, da sie eine Verallgemeinerung des
Konzeptes der Fourieranalyse
darstellen.
RKHS
Wenn man einen Hilbertraum mit einem Kern assoziiert, der innerhalb des Raums jede Funktion reproduziert, spricht man von einem Reproducing Kernel Hilbert Space (RKHS, deutsch: Hilbertraum mit reproduzierendem Kern). Dieser Ansatz wurde 1907 von dem Mathematiker Stanisław Zaremba erstmals formuliert und begann ein halbes Jahrhundert später in der Funktionalanalysis eine wichtige Rolle zu spielen. Heute sind Hilberträume mit reproduzierendem Kern ein gängiges Werkzeug in der statistischen Lerntheorie, insbesondere beim Maschinenlernen.
Hilberträume in der Quantenmechanik
Die Axiome der Quantenmechanik
besagen, dass die Menge der möglichen Zustände
eines quantenmechanischen Systems die Struktur eines Hilbertraumes besitzt.
Insbesondere heißt das, dass quantenmechanische Zustände eine lineare Struktur
besitzen, dass also eine Linearkombination
von Zuständen wieder einen physikalisch möglichen Zustand ergibt. Außerdem ist
ein Skalarprodukt
zwischen zwei Zuständen
und
definiert, dessen Betragsquadrat nach der Bornschen
Wahrscheinlichkeitsinterpretation angibt, wie wahrscheinlich es ist, ein
System das sich im Zustand
befindet, bei einer Messung
im Zustand
vorzufinden. (Die Schreibweise entspricht der Dirac-Notation.)
Ist in der Physik also die Rede von dem Hilbertraum, so ist damit der
Zustandsraum des gegebenen quantenmechanischen Systems gemeint.
Beispiele sind
- die möglichen Wellenfunktionen
eines freien Teilchens sind der Hilbertraum
aller quadratintegrablen Funktionen
mit dem üblichen
-Skalarprodukt
.
- die möglichen Spinzustände eines Elektrons
spannen den Hilbertraum
mit dem euklidischen Skalarprodukt auf.
Literatur
- Dirk Werner: Funktionalanalysis. 5., erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-540-43586-7.
Siehe auch
- Besselsche Ungleichung
- Cauchy-Schwarzsche Ungleichung
- Hilbertraumbasis
- Parallelogrammgleichung
- Parsevalsche Gleichung
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.08. 2022