Wellenfunktion
Die Wellenfunktion
beziehungsweise
beschreibt den quantenmechanischen
Zustand eines Elementarteilchens
oder eines Systems von Elementarteilchen im
Orts- oder
im Impulsraum. Grundlage der
Beschreibung ist hierbei die Wellenmechanik
von Erwin
Schrödinger. Ihr Betragsquadrat
bestimmt die Wahrscheinlichkeitsdichte für den Ort beziehungsweise den Impuls
des Teilchens. Nach der Kopenhagener
Deutung der Quantenmechanik enthält die Wellenfunktion eine Beschreibung
aller Informationen einer Entität
oder eines ganzen Systems.
Eine Wellenfunktion ist die Funktion, die die quantenmechanische Bewegungsgleichung, also die Schrödinger-, Klein-Gordon- oder Dirac-Gleichung, im Ortsraum oder im Impulsraum löst. Lösungen dieser Wellengleichungen können sowohl gebundene Teilchen (wie Elektronen in den Schalen eines Atoms) oder freie Teilchen (z.B. ein α- oder β-Teilchen als Wellenpaket) beschreiben. Die Wellenfunktion ist in der Regel eine komplexe Funktion.
Wird ein System mit inneren Freiheitsgraden, zum Beispiel dem Spin, durch eine Wellenfunktion beschrieben, ist die Wellenfunktion vektorwertig. Die nichtrelativistische Wellenfunktion zur Beschreibung eines Elektrons hat daher zwei Komponenten; eine für die Konfiguration „Spin up“ und eine für „Spin down“.
Bei Teilchensystemen (z.B. mit mehreren ununterscheidbaren Teilchen) bezeichnet man eine solche Lösung als Vielteilchen-Wellenfunktion. Wegen der Wechselwirkung der Teilchen untereinander lassen sich diese Lösungen jedoch meist nicht mehr ohne die modernere Methodik der Quantenfeldtheorie berechnen.
Quantenteilchen als Welle
Da die Bewegungsgleichungen im komplexen
Raum definiert sind, benötigen sie zur allgemeinen Lösung eine Funktion,
deren Funktionswerte
ebenfalls im komplexen Raum liegen. Daher ist die Wellenfunktion nicht reell,
sondern komplexwertig. Dies spiegelt sich u.a. darin wider, dass
nicht unbedingt eine reale physikalische Bedeutung zukommt. Sie ist in der Regel
nicht messbar, sondern dient nur der
mathematischen Beschreibung des quantenmechanischen Zustands eines
physikalischen Systems. Aus ihr lässt sich jedoch das zu erwartende Ergebnis
einer Messung durch komplexe
Konjugation berechnen.
Zum Vergleich: Auch die elektrische
Feldstärke
einer Radiowelle ist die Lösung
einer (klassischen) elektrodynamischen
Wellengleichung. Die
elektrische Feldstärke ist jedoch z.B. durch eine Antenne und einen
Radioempfänger messbar.
Teilchen mit inneren Eigenschaften (wie zum Beispiel dem Spin eines gebundenen Elektrons oder dem Drehimpuls eines Photons) werden durch Wellenfunktionen mit mehreren Komponenten beschrieben. Je nach dem Transformationsverhalten der Wellenfunktionen bei Lorentztransformationen unterscheidet man in der relativistischen Quantenfeldtheorie skalare, tensorielle und spinorielle Wellenfunktionen bzw. Felder. Der Begriff Welle muss klar vom Begriff Wellenpaket abgegrenzt werden. Ein Wellenpaket trägt Information, während eine Welle zeitlich unbegrenzt ist. Der Anfang und das Ende eines Pakets stellt eine Verknüpfung zum Kausalitätsbegriff her. Hier ergeben sich automatisch Parallelen zur Informationstheorie bzw. Modulation.
Definition
Entwicklungskoeffizienten des Zustandsvektors
Formal betrachtet sind die Wellenfunktionen die Entwicklungskoeffizienten des quantenmechanischen Zustandsvektors im Orts- beziehungsweise Impulsraum. Es ist in Dirac-Notation
mit
- dem Zustandsvektor
- den Ortseigenkozuständen
- den Impulseigenkozuständen
sodass gilt:
Die Orts- und Impulseigenzustände sind die Eigenzustände des Ortsoperators
beziehungsweise Impulsoperators
,
für die
und
gilt. Aus der Definition wird offensichtlich, dass die Wellenfunktion im Orts-
sowie im Impulsraum einer Normierungsbedingung folgen, da der Zustandsvektor
bereits normiert ist:
Lösung der Bewegungsgleichung
Von praktischerer Bedeutung sind die Wellenfunktionen als Lösung der Bewegungsgleichungen im Orts- oder Impulsraum. Dabei macht man sich zunutze, dass der Ortsoperator in der Ortsbasis ein Multiplikationsoperator und der Impulsoperator in Ortsbasis ein Differentialoperator ist. In der Impulsbasis sind die Rollen vertauscht, dort ist der Ortsoperator ein Differentialoperator und der Impulsoperator ein Multiplikationsoperator.
Alle Bewegungsgleichungen der Quantenmechanik sind Wellengleichungen. Die Schrödinger-Gleichung lautet in der basisunabhängigen Dirac-Notation
und im Ortsraum
mit
- dem reduzierten
Planckschen Wirkungsquantum
,
- dem Laplace-Operator
,
- der Masse
des Teilchens
und
- einem ortsabhängigen Potential
;
alle (im Rahmen dieses Artikels behandelten) Eigenschaften der Wellenfunktion, die die nichtrelativistische Schrödinger-Gleichung löst, lassen sich auf den relativistischen Fall der Klein-Gordon- oder der Dirac-Gleichung verallgemeinern.
Obgleich die Schrödinger-Gleichung im Gegensatz zu ihren relativistischen Äquivalenten keine Wellengleichung im mathematisch strengen Sinn darstellt, ist eine Lösung der Schrödinger-Gleichung im Ortsraum bei verschwindendem Potential eine ebene Welle, dargestellt durch die Funktion
.
Ihre Dispersionsrelation lautet:
mit
- der Kreisfrequenz
und
- dem Wellenvektor
gegeben ist.
Da die Bewegungsgleichungen linear sind, ist jede Superposition von Lösungen wieder eine Lösung.
Wellenfunktion im Impulsraum
Die Wellenfunktion im Impulsraum
ist mit der Wellenfunktion im Ortsraum
über eine Fourier-Transformation
verknüpft. Es gilt
nebst der Ersetzung .
Aufgrund des Satzes
von Plancherel ist die Fouriertransformation mit der Normierung verträglich,
sodass die Wellenfunktion im Impulsraum ebenso normiert ist wie die
Wellenfunktion im Ortsraum.
Beispiel: Freies Teilchen
Die Wellenfunktion
eines freien Teilchens kann als Fourierreihe über ebene Wellen dargestellt
werden:
mit
- dem Ortsvektor
- dem Wellenvektor
, der Richtung und Wellenlänge der Welle festlegt
- den vom Wellenvektor abhängigen komplexwertigen Amplituden
- der Kreisfrequenz
, die die Schwingungsperiode der Welle beschreibt und mit dem Wellenvektor über eine Dispersionsrelation verknüpft ist.
Die Amplituden müssen so gewählt werden, dass die Normierung der Wellenfunktion gewährleistet ist. Das Betragsquadrat der Wellenfunktion ist durch
gegeben. Eine Integration über das gesamte Volumen ergibt mit der Darstellung
der Dirac-Distribution
:
.
Praktisch kann dies beispielsweise durch eine gaußförmige Einhüllende
realisiert werden. Durch die Wahl dieser Einhüllenden wird ein Teilchen mit
minimaler Orts-Impuls-Unschärfe
und einem Erwartungswert des Impulses bei
beschrieben.
ist dabei die Breite des Wellenpakets, die gewissermaßen angibt, wie sich die
Unschärfe auf den Orts- und Impulserwartungswert verteilt.
Messungen in der Wellenmechanik
Eine Aussage im quantenmechanischen Messprozess lautet, bei einer Messung kollabiert die Wellenfunktion instantan auf einen Eigenwert des zur Messung zugehörigen Operators. Dieser Eigenwert ist das Ergebnis der Messung. Die Wahrscheinlichkeit, auf einen dieser Eigenwerte zu kollabieren, ist in der Matrizenmechanik durch
gegeben, wobei
der zum Eigenwert
gehörige Eigenzustand eines Operators
sei. In der Wellenmechanik entspricht dies der Formulierung
.
Das Skalarprodukt des Hilbertraums entspricht also einer Integration über den
gesamten Raumbereich im Ortsraum. Zwei Wellenfunktionen heißen orthogonal, wenn
das Integral über den gesamten Ortsraum ihres Produkts verschwindet. Die
Wahrscheinlichkeit, den Messwert
zu erhalten, wenn das System durch die Wellenfunktion
beschrieben wird und
und
orthogonal sind, ist entsprechend Null.
Der Erwartungswert
einer Messung im Zustand
wird in der Matrizenmechanik durch
beschrieben. Dies übersetzt sich in der Wellenmechanik zu:
Dabei ist
der Operator in Ortsdarstellung. Für lokale
Operatoren gilt
und die doppelte Integration reduziert sich auf eine einfache:
Teilcheninterpretation
Die physikalische Interpretation einer Wellenfunktion ist kontextabhängig. Mehrere Beispiele werden unten angeführt, gefolgt von einer Interpretation der oben beschriebenen drei Fälle.
Ein Teilchen in einer Raumdimension
Die Wellenfunktion eines Teilchens im eindimensionalen Raum ist eine komplexe Funktion
über der Menge der reellen
Zahlen. Das Betragsquadrat der Wellenfunktion,
,
wird als Wahrscheinlichkeitsdichte
der Teilchenposition interpretiert.
Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung das Teilchen im Intervall
zu finden, ist folglich
.
Dies führt zu der Normierungsbedingung
da eine Messung der Teilchenposition eine reelle Zahl ergeben muss. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen an irgendeinem Ort zu finden, ist gleich 1.
Ein Teilchen in drei Raumdimensionen
Der dreidimensionale Fall ist analog zum Eindimensionalen; Die Wellenfunktion
ist eine komplexe Funktion
definiert über dem dreidimensionalen Raum, und ihr Betragsquadrat wird als
dreidimensionale Wahrscheinlichkeitsdichte interpretiert. Die
Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung das Teilchen im Volumen
zu finden, ist deshalb
.
Die Normierungsbedingung ist analog zum eindimensionalen Fall
wobei das Integral sich über den gesamten Raum erstreckt.
Zwei unterscheidbare Teilchen in drei Raumdimensionen
In diesem Fall ist die Wellenfunktion eine komplexe Funktion von sechs Raumvariablen,
,
und
ist die gemeinsame Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Positionen beider
Teilchen. Die Wahrscheinlichkeit einer Positionsmessung beider Teilchen in den
beiden jeweiligen Regionen R und S ist dann
wobei
und ebenso für
.
Die Normierungsbedingung ist deshalb
,
wobei das vorgestellte Integral über den gesamten Bereich aller sechs Variablen reicht.
Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass im Fall von Zwei-Teilchen-Systemen nur das System, das aus beiden Teilchen besteht, eine wohldefinierte Wellenfunktion haben muss. Daraus ergibt sich, dass es unmöglich sein kann, eine Wahrscheinlichkeitsdichte für Teilchen EINS zu definieren, welche nicht ausdrücklich von der Position von Teilchen ZWEI abhängt. Die Moderne Physik nennt dieses Phänomen Quantenverschränkung bzw. Quanten-Nichtlokalität.
Ein Teilchen im eindimensionalen Impulsraum
Die Wellenfunktion eines eindimensionalen Teilchens im Impulsraum ist eine
komplexe Funktion
definiert auf der Menge der reellen Zahlen. Die Größe
wird als Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion im Impulsraum interpretiert. Die
Wahrscheinlichkeit, dass eine Impulsmessung einen Wert im Intervall
ergibt, ist folglich
.
Dies führt zur Normierungsbedingung
,
weil eine Messung des Teilchenimpulses immer eine reelle Zahl ergibt.
Spin-1/2-Teilchen (z.B. Elektron)
Die Wellenfunktion eines Teilchens mit Spin 1/2 (ohne Berücksichtigung seiner räumlichen Freiheitsgrade) ist ein Spalten-Vektor
.
Die Bedeutung der Komponenten des Vektors hängt von der verwendeten Basis ab,
typischerweise entsprechen
und
den Koeffizienten für eine Ausrichtung des Spins in
-Richtung
(spin up) und entgegen der
-Richtung
(spin down). In der Dirac-Notation
ist dies:
Die Werte
und
werden dann als die Wahrscheinlichkeiten interpretiert, dass der Spin bei einer
Messung in
-Richtung
oder entgegen der
-Richtung
orientiert ist.
Dies führt zur Normierungsbedingung
.
Siehe auch
- Boson – Teilchen mit symmetrischer Wellenfunktion unter Permutation.
- Fermion – Teilchen mit antisymmetrischer Wellenfunktion unter Permutation.
- Austauschwechselwirkung
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.07. 2021