Clifford-Algebra
Die Clifford-Algebra ist ein nach William Kingdon Clifford benanntes mathematisches Objekt aus der Algebra, welches die komplexen und hyperkomplexen Zahlensysteme erweitert. Sie findet in der Differentialgeometrie sowie in der Quantenphysik Anwendung. Sie dient der Definition der Spin-Gruppe und ihrer Darstellungen, der Konstruktion von Spinorfeldern / -bündeln, die wiederum zur Beschreibung von Elektronen und anderen Elementarteilchen wichtig sind, sowie zur Bestimmung von Invarianten auf Mannigfaltigkeiten.
Die Frage nach komplexen Einheiten
Vorbetrachtung
Es gibt in der Mathematik Zahlensysteme (Divisionsalgebren
mit Einselement) mit komplexen Einheiten, genauer die komplexen Zahlen, die
Quaternionen
und Oktaven.
In diesen können jeweils 1, 3 oder 7 Elemente
fixiert werden, welche mit der 1 zusammen den Zahlenraum als reellen Vektorraum aufspannen und
welche (nicht nur)
erfüllen. Manchmal reicht das nicht aus. Zu einer beliebigen Anzahl
werden Strukturen gesucht, welche die reellen Zahlen und Elemente
enthalten und in der ein Produkt
definiert ist, welches die Bedingungen
erfüllt, wobei
das Kroneckersymbol
ist und
.
Das Verknüpfungssymbol lässt man gerne weg.
Die Elemente
heißen die Erzeugenden oder Generatoren der Clifford-Algebra. Das Produkt aller
Erzeugenden wird durch
bezeichnet,
.
Das Quadrat von
kann +1 oder −1 sein.
Diese Struktur ist, bis auf die genannten Beispiele, kein Zahlensystem in
obigem Sinne, sondern kann nur als Algebra
realisiert werden, in welcher die
Erzeugende sind. Eine solche Algebra wird Clifford-Algebra genannt, nach William Kingdon Clifford, der sie im Jahr 1878 entdeckt hat.
Sie wird mit
oder
bezeichnet, falls
und
und sonst keine algebraische Beziehung der Erzeugenden gilt.
Bis hierher haben wir formale Rechenregeln aufgestellt, wissen aber noch nichts über die Existenz, Eindeutigkeit und Struktur einer solchen Algebra. Dieses Problem ist sofort gelöst, wenn man die Clifford-Algebra als Teil einer reellen Matrixalgebra darstellen kann.
Allgemeinere Betrachtung
Im mathematischen Teil werden die Rechenregeln durch eine universelle
Eigenschaft ergänzt und die Clifford-Algebra aus einer Tensoralgebra konstruiert. Es
sei vorerst nur angemerkt, dass die Erzeugenden
einen reellen (Unter-)Vektorraum
der Dimension n=p+q innerhalb der Algebra aufspannen. Summiert man die
definierende Eigenschaft über die Koordinatendarstellung eines Vektors
dieses Vektorraums, so ergibt sich eine koordinatenfreie (in physikalischer
Sprechweise: kovariante)
Darstellung der definierenden algebraischen Relation.
, wobei
eine quadratische Funktion auf
ist, welche ein (Pseudo-)Skalarprodukt
definiert:
und
.
Die Erzeugenden bilden dann eine Orthonormalbasis auf .
Ein solches Paar aus reellem Vektorraum und darauf definierter quadratischer
Funktion
ist der Ausgangspunkt für die mathematische Theorie der
Clifford-Algebren.
Definition
Sei
ein Körper
und
ein endlichdimensionaler quadratischer
Raum.
Dann ist die Clifford-Algebra
des quadratischen Raums
definiert als die Algebra
über
,
die von
und dem Einselement
erzeugt
wird und deren Multiplikation die Relation
erfüllt.
Dies ist wohldefiniert,
da gezeigt werden kann, dass eine lineare Einbettung
(also ein Vektorraumhomomorphismus)
in eine assoziative
-Algebra
mit Eins, so dass die Relation
gilt, zu einem -Algebra-Homomorphismus
fortgesetzt werden kann. Daher ist die Clifford-Algebra bis auf Isomorphie
eindeutig.
Beispiele
Komplexe Zahlen
Die komplexen Zahlen
können als einfachste Clifford-Algebra mit einer einzigen Erzeugenden verstanden
werden. Der Vektorraum
ist eindimensional und von
erzeugt, also
und die quadratische Form auf
ist
.
Die Algebra ist als reeller Vektorraum zweidimensional mit
und
als Basiselementen, sie lässt sich identifizieren mit der Algebra der
2x2-Matrizen der Form
.
Solche Matrizen erfüllen also die Gleichung
.
Diese Clifford-Algebra
wird auch, da sie ein Beispiel einer reellen Clifford-Algebra ist, mittels
notiert. Dies wird später in diesem Artikel definiert.
Quaternionen
Die Quaternionen
ergeben sich aus der Clifford-Algebra .
Die Erzeugenden
haben ein nichttriviales Produkt
,
aus den definierenden Eigenschaften des Produkts ergibt sich, dass es mit dem
Produkt der Quaternionen übereinstimmt. Der Vektorraum
ist reell zweidimensional, die Algebra reell vierdimensional. Eine
Matrixdarstellung ist die Teilalgebra der komplexen 2x2-Matrizen
,
durch Einsetzen der reellen 2x2-Matrizen der komplexen Zahlen
und
ergibt sich eine Teilalgebra der reellen 4x4-Matrizen.
Anormal-komplexe Zahlen
Die Algebra der anormal-komplexen
Zahlen ,
hat ein Erzeugendes
mit Quadrat 1. Daher können Elemente
der reell 2-dimensionalen Algebra in zwei Summanden aufgespaltet werden
,
von denen der erste unter Multiplikation mit
sein Vorzeichen
behält und der zweite sein Vorzeichen ändert. In der Multiplikation zweier
Elemente multiplizieren sich diese Summanden separat, wie in der Multiplikation
zweier Diagonalmatrizen. Die Algebra ist also isomorph zur direkten Summe zweier
Kopien von
,
.
Graßmann-Algebra
Die Graßmann-Algebra
eines reellen Vektorraumes
ist die Clifford-Algebra
mit der trivialen quadratischen Form
.
Innerhalb einer beliebigen Clifford-Algebra kann die Graßmann-Algebra
konstruiert werden, indem das Keilprodukt
als
– und analog als alternierende
Summe bei mehr als zwei Faktoren – definiert wird.
Es kann umgekehrt jede Clifford-Algebra
innerhalb der Graßmann-Algebra
konstruiert werden, indem in dieser ein neues Produkt
definiert wird als
.
Die Dimension der Algebra bleibt dabei erhalten, sie ist ,
wobei
.
Diese Beziehung ist unter anderem für die Quantisierung supersymmetrischer Feldtheorien wichtig.
Alternative Definitionen
Die Clifford-Algebra ist ein aus mathematischer Sicht natürliches Konstrukt zu einem Vektorraum mit darauf definierter quadratischer Form, denn sie kann als initiales Objekt einer Kategorie charakterisiert werden.
Als initiales Objekt
Man betrachte die Kategorie
aller assoziativen -Algebren
,
in welche
eingebettet ist, das heißt aller Paare
mit
linear, die zusätzlich noch die Eigenschaft
für alle
aus
beziehungsweise die äquivalente Aussage
für alle ,
aus
erfüllen. Die Morphismen dieser Kategorie sind Algebrenmorphismen, die die
eingebetteten Kopien von V ineinander überführen, das heißt
erfüllt nicht nur
,
sondern auch
.
Ein initiales Objekt einer Kategorie ist dadurch ausgezeichnet, dass es zu
jedem anderen Objekt der Kategorie genau einen Morphismus gibt. Wenn es mehrere
initiale Objekte gibt, dann sind diese isomorph. Jedes initiale Objekt
der hier betrachteten Kategorie, sofern überhaupt eins existiert, wird
Clifford-Algebra
genannt. Zu jedem weiteren Paar
der Kategorie gibt es also einen eindeutig bestimmten Algebrenmorphismus
mit
.
Es sei im Folgenden
mit seiner Einbettung
identifiziert, das heißt, die Abbildung
wird nicht mehr explizit erwähnt.
Konstruktion in der Tensoralgebra
In der Tensoralgebra
sei das Ideal
definiert. Dann ist der Quotient
eine Realisierung der Clifford-Algebra
.
Spezielle Clifford-Algebren
Reelle Clifford-Algebren
Im Folgenden sei
ein n-dimensionaler Vektorraum.
- Falls
mit dem Standardskalarprodukt ausgestattet ist, so wird die dadurch erzeugte Clifford-Algebra auch mit
bezeichnet. Die Erzeugenden sind dann die kanonischen Basisvektoren
, die quadratische Form, die aus dem Standardskalarprodukt induziert wird, ist die Quadratsumme der Koordinaten.
- Ist der Raum
mit der Minkowski-Form mit der Signatur
ausgestattet, so dass
gilt. Dann ist die quadratische Form durch
-
- gegeben. So wird die reelle Clifford-Algebra auch mit
notiert.
Komplexe Clifford-Algebren
Zu jeder reellen Clifford-Algebra kann auch die komplexifizierte Algebra
definiert werden. Diese Definition ist unabhängig vom komplexifizierten
Skalarprodukt, denn auf
gibt es genau eine eindeutig bestimmte, nicht ausgeartete quadratische Form.
Eigenschaften
Graduierung
Die Abbildung
erfüllt ebenfalls die definierende Identität ,
somit gibt es wegen der universellen Eigenschaft einen Algebrenisomorphismus
mit
für alle
und
.
Damit zerfällt die Clifford-Algebra in einen geraden Teil
und einen ungeraden Teil
Diese Zerlegung erzeugt eine –Graduierung
der Algebra, Produkte gerade-gerade und ungerade-ungerade ergeben gerade
Elemente, Produkte gerade-ungerade ergeben ungerade Elemente. So sind Produkte
mit einer geraden Anzahl von Faktoren aus V gerade, Produkte mit einer
ungeraden Anzahl von Faktoren aus V ungerade.
ist eine Unteralgebra der Clifford-Algebra und wird auch als zweite
Clifford-Algebra bezeichnet,
ist ein lediglich ein Modul
bezüglich
.
Filtrierte Algebra
Da die Clifford-Algebra als Quotient aus der Tensoralgebra aufgefasst werden
kann und die Tensoralgebra eine natürliche Filtrierung
besitzt, kann auch für die Clifford-Algebra eine Filtrierung erklärt werden. Die
Abbildung
ist die natürliche Projektion von der Tensoralgebra in den Quotientenraum
und
die Filtrierung der Tensoralgebra. Setzt man
so wird die Clifford-Algebra ebenfalls zu einer filtrierten Algebra.
Beziehung zur orthogonalen Gruppe
Sei
ein Vektorraum mit nicht ausgearteter symmetrischer Bilinearform
und
.
In der Clifford-Algebra
können dann Spiegelungen in
dargestellt werden. Dazu wird eine elementare Folgerung aus der Struktur des
Produkts benutzt:
Ist
ein Einheitsvektor,
,
so ist die Abbildung
,
die Spiegelung an der zu
senkrechten Hyperebene.
Jede Spiegelung ist eine orthogonale
Abbildung, somit ist die von den Spiegelungen erzeugte Gruppe eine
Untergruppe der orthogonalen
Gruppe.
Die Pin-Gruppe
Umgekehrt lässt sich jede orthogonale Abbildung in ein Produkt aus Spiegelungen zerlegen, siehe Householdertransformation beziehungsweise QR-Zerlegung. Die Zerlegung ist nicht eindeutig, aber die Clifford-Produkte der Einheitsvektoren der Spiegelmatrizen unterscheiden sich höchstens im Vorzeichen.
Zunächst wird die Pin-Gruppe als Menge aller Produkte von Einheitsvektoren definiert:
Diese Menge ist ein Untermonoid
des multiplikativen Monoids der Clifford-Algebra und wird zur Gruppe durch die
Existenz eines Inversen: .
Es gibt Produkte, deren Faktoren unterschiedlich sind, die aber dasselbe Element
der Pin-Gruppe bezeichnen, etwa gilt für orthogonale Einheitsvektoren
und
mit
und jedes Paar
.
Jedoch gilt, dass jedem Element aus
genau eine orthogonale Abbildung
entspricht, deren Unabhängigkeit von der gewählten Faktorisierung aus der
Eindeutigkeit des Inversen folgt. Weiter ist bekannt, dass
surjektiv der Ordnung 2 ist, d.h. eine zweifache Überlagerung.
Die Urbilder der gleichen orthogonalen Abbildung unterscheiden sich nur um das
Vorzeichen.
Die Spin-Gruppe
Physikalisch und geometrisch bedeutsam ist aber eine Untergruppe der Pin-Gruppe, die Spin-Gruppe
der Produkte mit gerader Anzahl von Faktoren (aus der spielerischen
Neudeutung der Spin-Gruppe als „spezielle Pin-Gruppe“ ergab sich der Begriff
„Pin“-Gruppe). Von dieser ist bekannt, dass sie eine zweifache Überlagerung der
speziellen
orthogonalen Gruppe
ist, sowie dass sie, sofern die Dimension des zugrundeliegenden Vektorraumes
größer als 2 ist, einfach
zusammenhängend, das heißt universelle
Überlagerung ist. Da die Matrixgruppe
eine Darstellung vom Gewicht 2 von
ist, sagt man in der Physik auch, dass Darstellungen der Spin-Gruppe vom Gewicht
1 Spin-
-Darstellungen
der orthogonalen Gruppe seien.
Darstellungen
Eine Darstellung einer Algebra ist eine Einbettung dieser in die Algebra der Endomorphismen eines Vektorraums, also (nach Basiswahl) in eine Matrixalgebra. Dabei können die Matrizen reelle, komplexe oder quaternionische Einträge haben.
Es lässt sich zeigen, dass jede Clifford-Algebra zu einer Matrixalgebra oder
der direkten Summe zweier Matrix-Algebren über den reellen Zahlen ,
den komplexen Zahlen
oder den Quaternionen
isomorph ist.
Reelle Clifford-Algebra
Die Zuordnung und Dimension der reellen Clifford-Algebren tabelliert sich wie folgt:
(p−q) mod 8 | ω2 | Cl(p,q,ℝ) (p+q = 2m) |
(p−q) mod 8 | ω2 | Cl(p,q,ℝ) (p+q = 2m + 1) |
0 | + | M(2m, ℝ) | 1 | − | M(2m, ℂ) |
2 | − | M(2m−1, ℍ) | 3 | + | M(2m−1, ℍ) ⊕ M(2m−1, ℍ) |
4 | + | M(2m−1, ℍ) | 5 | − | M(2m, ℂ) |
6 | − | M(2m, ℝ) | 7 | + | M(2m, ℝ) ⊕ M(2m, ℝ) |
Dabei gelten die folgenden allgemeinen Isomorphien:
Komplexe Clifford-Algebra
Die Darstellung der komplexen Clifford-Algebra ist einfacher als die der reellen. Es gilt nämlich
In diesem Zusammenhang gilt die Isomorphie
die auch essentiell für den Beweis der Darstellung ist. Ist
gerade, so nennt man
mit
der natürlichen Graduierung
in diesem Zusammenhang Spinor-Modul.
Niedrigdimensionale Beispiele
Die Dimension von
als reeller Vektorraum ist 2p+q. Damit lässt sich die
Clifford-Algebra durch reelle Matrizen dieser Dimension darstellen, welche die
Multiplikation in der Algebra beschreiben. Diese Darstellung ist nicht minimal,
d.h. es gibt Matrizen geringerer Dimension, welche das gleiche leisten,
siehe [1] und die Beispiele unten.
- hat den Generator
mit
. Es gibt also eine komplex eindimensionale Darstellung, welche
auf die imaginäre Einheit i abbildet, und die entsprechende reell zweidimensionale.
- Der Generator ist
mit
. Jedes Element
der Algebra kann in zwei Summanden
und
aufgespaltet werden. Da
gilt, erhält sich diese Aufspaltung unter Produktbildung. Die Clifford-Algebra ist also isomorph zum
mit komponentenweisem Produkt, wobei
dem Element
entspricht und das Einselement dem Element
. Diese direkte Summe zweier Algebren kann auch als Algebra der 2x2-Diagonalmatrizen realisiert werden.
- hat die Generatoren
und
und deren Produkt k=ij mit den Relationen
.
- Man rechnet nach, dass dies zur Algebra der Quaternionen isomorph ist.
- hat die Generatoren
und
,
,
und
. Man überzeugt sich, dass die Generatoren folgenden reellen 2x2-Matrizen entsprechen:
- somit alle reellen Matrizen erreicht werden.
- hat die Generatoren
und
mit Quadrat 1, deren Produkt
hat das Quadrat
, somit ist diese Algebra isomorph zur vorhergehenden.
Quantenphysikalisch bedeutsame Beispiele
(Biquaternionen)
- hat die Erzeuger
,
und
mit den Relationen
,
,
,
.
- Sowohl reelle als auch komplexe Darstellungen zerfallen als
, wobei
Nullraum des Projektors
und
Nullraum des Projektors
mit
ist. Es gilt
, so dass beide Untervektorräume voneinander unabhängige Unterdarstellungen erzeugen.
- Eine rein negative Darstellung, d.h. mit
, ist direkt zur Quaternionen-Algebra isomorph,
,
- eine rein positive ist konjugiert isomporph,
.
- In beiden Fällen gilt das zu
gesagte.
- Der gerade Teil dieser Algebra, der die
-Gruppe enthält, ist zu
isomorph. Er wird erzeugt von
, es ist z.B.
.
oder
oder
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 06.11. 2021