Scheinleistung
Die Scheinleistung ist eine Rechengröße, die im Blick auf die Verluste
und die Beanspruchung der Bauelemente eines Energieversorgungssystems zu
beachten ist, wenn einem elektrischen
Verbraucher elektrische
Leistung zugeführt wird.
Die Scheinleistung stimmt nicht notwendigerweise mit der vom Verbraucher in Form
thermischer, mechanischer oder anderer Energie weitergegebenen Leistung überein.
Die Scheinleistung
wird definiert über die Effektivwerte
von elektrischer Stromstärke
und elektrischer Spannung
und setzt sich zusammen aus der tatsächlich umgesetzten Wirkleistung
und einer zusätzlichen Blindleistung
:
.
Alle drei Leistungsgrößen sind durch Gleichwerte bzw. Integrale definierte Größen. Für sie gibt es bei stationären Vorgängen keine von der Zeit abhängigen Augenblickswerte. Bei der als vorzeichenlos definierten Scheinleistung wird – anders als bei der Wirkleistung – nicht mit einem Zählpfeilsystem durch das Vorzeichen zwischen aufgenommener oder abgegebener Leistung unterschieden.
Bei verschwindender Blindleistung, wie beispielsweise bei Gleichspannung, ist die Scheinleistung gleich dem Betrag der Wirkleistung, sonst größer. Elektrische Betriebsmittel, die eine vorgegebene Wirkleistung übertragen sollen, wie Transformatoren oder elektrische Leitungen, müssen auf die größere Scheinleistung ausgelegt sein. Die elektrische Anschlussleistung wird vielfach ebenfalls als Scheinleistung angegeben.
Statt der Einheit der Leistung Watt (Einheitenzeichen W) wird für Scheinleistung die Einheit Voltampere (Einheitenzeichen VA) verwendet, für die Blindleistung die Einheit Var (Einheitenzeichen var).
Scheinleistung bei sinusförmigen Größen
Bei sinusförmigen Größen entsteht Verschiebungsblindleistung
,
wenn die Phasenwinkel
von Stromstärke und Spannung um ein
verschoben sind. Die Spannung und die Stromstärke sind in diesem Fall von der
Form
Für die Scheinleistung gilt in diesem Fall
mit
und
Wenn ein elektrischer Verbraucher oder ein Versorgungsnetz lineare Induktivitäten oder Kapazitäten enthält, benötigen diese zum Aufbau des magnetischen oder elektrischen Feldes eine elektrische Energie, die jedoch nach jeder halben Periodendauer wieder an das Netz zurückgegeben wird. Der für die Feldenergie erforderliche Blindstrom ist gegenüber der Spannung um eine Viertelperiode bzw. 90° verschoben. Die mit dem Transport der Feldenergie verbundene Blindleistung und die im Verbraucher umgesetzte Wirkleistung ergeben pythagoreisch addiert die Scheinleistung.
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Das Netz und die Betriebsmittel wie z.B. die versorgenden Generatoren und Transformatoren müssen sämtlich für den Wert der Scheinleistung bemessen werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn eine Blindstromkompensation den Blindstrom auf die örtlichen verbraucherinternen Leitungen begrenzt.
In der komplexen
Wechselstromrechnung für den sinusförmigen Spannungs- bzw. Stromverlauf ist
die Scheinleistung definiert als Betrag der komplexen
Scheinleistung
und als pythagoräische Summe aus Wirkleistung
und Blindleistung
.
Die komplexe Scheinleistung ist definiert als das Produkt der komplexen
Spannung
mit der konjugiert komplexen Stromstärke
.
Scheinleistung bei nicht sinusförmigen Größen
Der allgemeine Fall
In einem elektrischen Netzwerk mit verzerrten, d. h. nicht sinusförmigen
Spannungen oder Strömen treten Oberschwingungen auf.
Jedes periodische Signal lässt sich mittels der Fourieranalyse in eine
Reihe von einzelnen Sinusschwingungen, sogenannten Spektralkomponenten,
zerlegen. Am Beispiel der Stromstärke
besteht diese aus
- der Grundschwingung mit dem Effektivwert
und dem Phasenverschiebungswinkel
zur Spannung mit derselben Frequenz
- den Oberschwingungen mit
und
,
und
,
und
usw.
In diesem Fall lässt sich ein
nicht mehr angeben. An dessen Stelle tritt der Leistungsfaktor
Als Beispiele, in denen die Formeln für Sinusgrößen nicht angewendet werden können, seien genannt:
- Nicht lineare Verbraucher, betrieben an einer sinusförmigen Spannungsquelle. Diese enthalten beispielsweise Gleichrichter, wie sie in Netzteilen zu finden sind. Es treten dabei Verzerrungen auf, welche sich auf die Scheinleistung auswirken.
- Magnetische Kreise mit ferromagnetischem Kernmaterial, das Sättigungs- und Hystereseeffekte zeigt − wie z.B. Spulen oder Transformatoren, die sich insbesondere bei Übersteuerung nicht linear verhalten und den Strom verzerren.
- Phasenanschnittsteuerung mit nach jedem Nulldurchgang verzögertem Einschalten des Stroms. Es kommt zumindest beim Strom zu einer zeitlichen Verschiebung in der Grundschwingung und zur Ausbildung von Oberschwingungen.
Zur weiteren Berechnung müssen die zeitlichen Verläufe der Augenblickswerte
und
oder die Frequenzspektren bekannt sein.
- Im Zeitbereich
- Im Frequenzbereich
Welchen Beitrag die Blindleistung zur Scheinleistung liefert, lässt sich nicht angeben. Nur der Rückschluss über
ist möglich.
Ein Spezialfall
Die Spannung bleibt häufig als eingeprägte
Spannung trotz nicht linearer Last unverzerrt, also .
Dann vereinfachen sich die Gleichungen zu
Die Blindleistung lässt sich in diesem Fall angeben als aus zwei Anteilen bestehend (siehe auch Blindleistung)
mit einer Grundschwingungs-Verschiebungsblindleistung
und einer von den Oberschwingungen verursachten Verzerrungsblindleistung
Probleme mit Schaltern
Beispiel Dimmer
Eine Schaltung bestehe aus einer Quelle mit sinusförmiger Spannung, einem Dimmer und einem ohmschen Verbraucher. Hier müssen getrennt betrachtet werden
- die Leitung zwischen Dimmer und Verbraucher (der Dimmer wird gedanklich der Quelle zugeschlagen) und
- die Leitung zwischen Quelle und Dimmer (der Dimmer wird gedanklich dem Verbraucher zugeschlagen).
Am ohmschen Widerstand
ist jeder Augenblickswert
proportional zu
Der Strom fließt ab der „Zündung“, also um ein
verzögert zum Nulldurchgang, bis zum nächsten Nulldurchgang und entsprechend in
der zweiten Halbperiode. Eingesetzt in die Gleichungen für den Zeitbereich kommt
man auf
und
Also ist hier
und es gibt keine Verzerrungsblindleistung trotz des verzerrten Stromes. Auf
dasselbe Ergebnis kommt man, wenn man beachtet, dass beim ohmschen Verbraucher
keine Phasenverschiebung entsteht, dass also für die Gleichungen im
Frequenzbereich
ist für die Grundschwingung und alle Oberschwingungen.
Anders auf der Leitung zwischen Quelle und Dimmer: Hier fließt derselbe
„gedimmte“ Strom, aber die Spannung verläuft ungedimmt sinusförmig. Damit hat
die Spannung einen höheren Effektivwert, und es entsteht eine höhere
Scheinleistung bei unveränderter Wirkleistung. Diese Erhöhung wird als
Blindleistung erklärt, die sowohl Verschiebungsblindleistung als auch
Verzerrungsblindleistung enthält. Dabei kann die Verschiebungsblindleistung aber
nicht als Anzeichen für Rückspeisung gedeutet werden, denn es gibt kein
speicherndes Bauteil in diesem Beispiel. Je verzerrter der Strom wird, desto
größer wird :
Mit zunehmender Verzögerung des Zündzeitpunktes im Dimmer wird
immer kleiner, ohne dass − bis
–
zugleich der Scheitelwert
der Stromstärke abnimmt.
Beispiel Einweggleichrichter
Eine ähnliche Funktion hat ein Einweggleichrichter,
wenn er zur Leistungsverminderung beispielsweise in einer Kaffeemaschine
eingesetzt wird. Durch den Gleichrichter wird die Energiezufuhr für jeweils eine
halbe Periodendauer unterbrochen, also die Leistung halbiert. Die Heizplatte
verhält sich wie ein ohmscher Widerstand .
Der Quelle einer sinusförmigen Wechselspannung werden ein in der Amplitude
verminderter und in der Phase unveränderter Grundschwingungsstrom und zusätzlich
Gleichstrom und Oberschwingungsströme entnommen. Gegenüber dem Betrieb ohne
Gleichrichter, der hier als Nennzustand bezeichnet wird, ergibt sich an der
Heizplatte
und an der Steckdose
.
Da die Grundschwingung keine Phasenverschiebung erfährt, ist .
Aussagen zu
sind aus der vorstehenden Rechnung wegen des Gleichstromanteils in der
Scheinleistung nicht möglich. Zu einem geeigneten Lösungsweg siehe unter
Verzerrungsblindleistung.
Anmerkung: Da diese Einweggleichrichtung dem Laststrom einen Gleichstromanteil aufprägt, ist diese Form der Verminderung der Leistung nur noch bei kleinen Leistungen zulässig. Der vorgeschaltete Ortsnetztransformator könnte ansonsten vormagnetisiert werden und damit im ungünstigsten Fall in die Sättigung geraten.
Siehe auch
Literatu
- René Flosdorff, Günther Hilgarth: Elektrische Energieverteilung. 9. Auflage. Teubner, 2005, ISBN 3-519-36424-7.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 10.12. 2021