Auswahlregel
Als Auswahlregel bezeichnet man in der Quantenmechanik eine Regel, die darüber Auskunft gibt, ob ein Übergang zwischen zwei Zuständen eines gegebenen Systems (beispielsweise Atomhülle, Atomkern oder Schwingungszustand) durch Emission oder Absorption von elektromagnetischer Strahlung möglich ist. Wenn von „verbotenen“ Übergänge gesprochen wird, sind diese Verbote häufig durch verschiedene Effekte „aufgeweicht“ und die jeweiligen Übergänge können trotzdem beobachtet werden; die Übergangswahrscheinlichkeit ist jedoch meist sehr klein. Die Regeln können, bei vorgegebener Multipolordnung, über die Berechnung der Übergangsmatrixelemente gemäß Fermis Goldener Regel theoretisch begründet werden.
Auswahlregeln für elektrische Dipolstrahlung
Elektronische Übergänge in den Orbitalen geschehen vornehmlich durch elektrische Dipolstrahlung. Für Einelektronenübergänge gelten, bei Vernachlässigung des Elektronenspins, folgende Auswahlregeln:
Dabei bezeichnet
die Drehimpulsquantenzahl,
die magnetische Quantenzahl
des Systems. Die erste Auswahlregel
lässt sich dadurch verstehen, dass durch die Emission, bzw. Absorption eines
Photons beispielsweise von einer Atomhülle immer auch ein Drehimpuls übertragen
werden muss, da das Photon selbst auch einen Spin besitzt und Drehimpulserhaltung
gelten muss.
Auswahlregeln für beliebige Multipolstrahlung
Für beliebige Multipolübergänge (im Folgenden Ek beziehungsweise
Mk für elektrische beziehungsweise magnetische -Strahlung,
also z.B. E1 für elektrische Dipolstrahlung, E2 für elektrische
Quadrupolstrahlung, M3 für magnetische Oktupolstrahlung usw.) gelten die
folgenden Auswahlregeln:
für Ek,
für Mk.
und
bezeichnen dabei den Gesamtdrehimpuls der beteiligten Zustände des Systems und
beziehungsweise
die Parität
des Ausgangs- beziehungsweise Endzustandes. k bezeichnet den
(ganzzahligen) Drehimpuls des Strahlungsfeldes.
Grundlage
Die Auswahlregeln, nach denen ein Übergang
als erlaubt oder verboten charakterisiert wird, werden aus dem
Übergangsmatrixelementen
hergeleitet. Dabei ist
der Übergangsmoment-Operator,
der Ausgangszustand und
der Endzustand.
Ein Übergang ist verboten, wenn das Übergangsmatrixelement verschwindet, sonst ist er erlaubt. Der genaue Wert ist häufig uninteressant, da die Auswahlregeln durch Betrachtung höherer Ordnungen des Übergangsoperators abgeschwächt werden.
Das Übergangsmatrixelement kann für idealisierte Modelle wie den harmonischen Oszillator, den starren Rotator sowie das Wasserstoffatom durch einfache Symmetriebetrachtungen gelöst werden.
Für ein Einelektronensystem z.B. ist das Übergangsmatrixelement gegeben
durch das Integral über die Ortswellenfunktionen
des Elektrons nach dem Übergang ,
dem Übergangsmomentoperators
und der Ausgangsortswellenfunktion
des Elektrons
Das Produkt
muss gerade Symmetrie
aufweisen, denn bei ungerader Symmetrie
verschwindet das Integral und der Übergang ist nicht erlaubt. Die Symmetrie von
ist das direkte
Produkt der Symmetrien der drei Komponenten (siehe auch: Charaktertafel).
Übergang | µ transformiert wie | Bemerkung |
---|---|---|
elektrischer Dipol | x, y, z | Optische Spektren |
elektrischer Quadrupol | x2, y2, z2, xy, xz, yz | Zwangsbedingung x2 + y2 + z2 = 0 |
elektrische Polarisierbarkeit | x2, y2, z2, xy, xz, yz | Raman-Spektren |
magnetischer Dipol | Rx, Ry, Rz | optische Spektren (schwach) |
Rx, Ry bzw. Rz bedeuten Rotationen um die x-, y- bzw. z-Richtung.
Übersicht
Im Folgenden werden für wasserstoffähnliche Atome die Auswahlregeln für die niedrigsten Ordnungen der Multipolstrahlung angegeben. Dabei ist
die Gesamtdrehimpulsquantenzahl,
die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl,
die Gesamtspinquantenzahl und
die gesamtmagnetische Quantenzahl,
die Bahndrehimpulsquantenzahl.
Elektrischer Dipol (E1) | Magnetischer Dipol (M1) | Elektrischer Quadrupol (E2) | Magnetischer Quadrupol (M2) | Elektrischer Oktupol (E3) | Magnetischer Oktupol (M3) | |
---|---|---|---|---|---|---|
(1) | ||||||
(2) | ||||||
(3) | ||||||
(4) | ||||||
(5) | Wenn |
Wenn |
Wenn |
Wenn | ||
(6) | Wenn |
Wenn |
Wenn |
Wenn |
Wenn |
Zu (2): Die Größe
gibt Auskunft über die Polarisation der EM-Strahlung.
bedeutet linear polarisiertes Licht,
bedeutet zirkular polarisiertes Licht.
Bei (3) wird die Parität
betrachtet, also das Verhalten der Wellenfunktion bei räumlichen Spiegelungen
.
Bei Einelektronensystemen gilt (4) ohne Ausnahme. Für Mehrelektronensysteme betrachte (5) bzw. (6).
Für nur leichte Atome gilt (5) streng;
bedeutet, dass Übergänge vom Singulett ins Triplettsystem nicht erlaubt sind, da
die Spin-Bahn-Kopplung klein ist (nur dann kann man die Wellenfunktion als
Produkt aus Orts- und Spinfunktion schreiben).
Für schwere Atome mit großer Spin-Bahn-Kopplung gibt es Interkombination (6), d.h. Übergänge zwischen verschiedenen Multiplettsystemen. Die Übergangswahrscheinlichkeit ist jedoch wesentlich geringer als bei (5).
Quantenmechanische Betrachtung
Analyse des Hamiltonoperators
Für ein Teilchen mit der Ladung
im elektromagnetischen Feld
ist der Hamiltonoperator
(SI-Einheiten)
gegeben durch:
,
wobei
die Masse des Teilchens,
der Impulsoperator,
der Vektorpotentialoperator,
das elektrostatische Potential sind.
Mit der Vertauschungsrelation
von
und
:
,
und der Coulomb-Eichung:
,
gilt:
.
Außerdem soll das Feld nicht extrem stark sein, sodass
gilt und der quadratische Term in
vernachlässigt werden kann.
Somit ist der genäherte Hamiltonoperator gleich
,
wobei
einer zeitabhängigen periodischen Störung entspricht, die Übergänge der
elektronischen Zustände des Atoms bzw. Moleküls induzieren kann.
Vektorpotential des elektromagnetischen Feldes
Klassisch
Das eingestrahlte Feld sei nun eine ebene Welle, z.B. klassisch
Der Einheitsvektor
gibt die Richtung des Vektorpotentials, also somit die Polarisation, an.
ist die Kreisfrequenz und
der Wellenvektor der elektromagnetischen
Strahlung. Diese Betrachtung würde für stimulierte
Emission und Absorption
ausreichen.
Quantenmechanisch
Um den Effekt der spontanen
Emission erklären zu können muss man das EM-Feld allerdings quantisiert
betrachten. Die obige Störung führt zur Emission oder Absorption von Photonen der Energie ;
d.h. dem EM-Feld werden Energienquanten der Größe
hinzugefügt oder abgezogen.
Nun postulieren wir, dass das Vakuum eine unendliche Zahl harmonischer
Oszillatoren enthält, nämlich für jede beliebige Wellenzahl (bzw. Frequenz)
einen, da genau der harmonische Oszillator äquidistante Energiesprünge besitzt
(
und
zwischen zwei benachbarten Energieniveaus). Die Zahl
der Photonen in einem Volumen
entspricht nun der Quantenzahl
des harmonischen Oszillators.
In der quantisierten Form ist
ein Operator der Anteile der bosonischen Erzeugungs-
und Vernichtungsoperatoren hat.
Der erste Term beschreibt die Absorption eines Photons durch das Atom (dem
EM-Feld wird also ein Photon und die Energie
entzogen - Vernichtung) und der zweite Term beschreibt die Emission eines
Photons durch das Atom (dem EM-Feld wird ein Photon und die Energie
hinzugefügt - Erzeugung).
Im quantisierten Fall ist die Energie der Oszillatoren niemals Null (minimal
für
)
und somit ist auch das Störfeld niemals Null - es kann also spontane Emission
stattfinden - denn es gilt für
:
Übergangsraten
Die obigen Störoperatoren sind periodisch in der Zeit wegen der Faktoren
.
Nach Fermis
goldener Regel ist die Übergangsrate (= Übergangswahrscheinlichkeit pro
Zeit) von Zustand
zum Zustand
gleich:
Speziell für die spontane Emission erhält man:
Die Matrixelemente
sind also die entscheidende Größe wie wahrscheinlich ein Übergang
stattfindet.
Dipolnäherung
Die Dipolnäherung ist eine Näherungsmethode aus der Quantenoptik. Man kann die Exponentialfunktion in eine Reihe entwickeln:
Für wasserstoffähnliche Atome lassen sich Wellenzahl und Radius
größenordnungsmäßig wie folgt abschätzen - für
setze die Grundzustandsenergie ein, für
den Bohrschen Radius;
ist die Feinstrukturkonstante:
Für
kann man die Reihe nach dem ersten Glied abbrechen:
Auf Atomkern und Elektronen wirkt also näherungsweise das gleiche Potential. Dies ist die elektrische Dipolnäherung. Sie ist dann gerechtfertigt, wenn die Variation des Potentials auf Größenordnungen des Atoms vernachlässigt werden kann. Anschaulich bedeutet dies, dass die Wellenlänge der Strahlung deutlich größer sein muss als die Ausmaße des Atoms.
Der ungestörte Hamiltonoperator (ohne Spin-Bahn-Kopplung) hat die Form ;
es gelten die Kommutatoren:
und
.
Somit lässt sich der Impulsoperator durch einen Kommutator ausdrücken:
Der Vektor
im Matrixelement erklärt die Bezeichnung elektrischer Dipol-Übergang. Das elektrische
Dipolmoment
enthält nämlich ebenso genau die erste Potenz des Ortsvektors.
Nun müssen die Matrixelemente
analysiert werden. Deren Größe ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit des
Übergangs
.
Verschwindet das Matrixelement ist (zumindest in der Dipolnäherung) der Übergang
mittels Einphotonenprozess nicht möglich.
Berücksichtigt man den nächsten Term der Entwicklung, erhält man elektrische Quadrupol- und magnetische Dipolübergänge.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 08.04. 2021