Übergangsdipolmoment

Das Übergangsdipolmoment (auch Übergangsmatrixelement)
ist ein Maß für die Fähigkeit eines Atoms,
Moleküls oder Festkörpers elektromagnetische
Strahlung zu absorbieren,
oder bei fluoreszierenden Stoffen
auch zu emittieren.
Mit der Absorption geht beispielsweise ein Atom vom energetischen Grundzustand (oder allgemein von einem niedrigeren Zustand) in einen angeregten Zustand über, wobei das Atom über eine endliche Zeit zwischen beiden Zustände hin und her oszilliert. In dieser Zeit befindet sich das Atom in einer quantenmechanischen Überlagerung beider Zustände; enthält je nach Dauer Teile des Grund- als auch des angeregten Zustands, wobei Letzterer mit der Zeit zunimmt. Da sich die beiden Zustände durch die örtliche Verteilung der Teilchendichte unterscheiden, findet über die Zeitdauer auch eine örtliche Oszillation mit definierter Frequenz statt, was genau einem klassischen Dipol entspricht. Fällt nun elektromagnetische Strahlung in Form eines Photons mit genau der Frequenz auf das Atom, kann das Photon vom Atom absorbiert werden.
Das Übergangsdipolmoment ist eine komplexe, vektorielle Größe. Das Quadrat seines Betrages ist proportional zur Wahrscheinlichkeit des Übergangs; die Richtung des Übergangsdipolmoments gibt an, wie das einfallende Licht polarisiert sein muss, damit eine Absorption stattfinden kann.
Physikalischer Hintergrund
Für ein neutrales Atom oder Molekül, das sich in einem homogenen, elektrischen Feld
E befindet, heben sich die Kräfte auf die einzelnen, verschieden geladenen
Teile (positiver Kern
und negativ geladene Elektronen)
insgesamt zwar auf; dennoch wirken die Kräfte auf die Einzelteile an
verschiedenen Orten, so dass u.a. ein Drehmoment
resultieren kann. Ist
das elektrostatische
Potential, so enthält z.B. der Energieoperator eines
Wasserstoffatoms
einen Störungsterm
wobei
die Elementarladung
ist. Wenn der Abstand von Kern und Elektron
viel kleiner ist als die Längenskala, über die
sich ändert, (also z. B. klein verglichen mit der Wellenlänge
der verwendeten Strahlung), dann kann diese Störung in guter Näherung durch den
in
linearen Term beschrieben werden, der durch
gegeben ist. Dies ist die "Dipolnäherung" (oder auch "Langwellen-Näherung")
der Kopplung ans elektrische Feld und
ist der Operator des elektrischen
Dipolmoments des Wasserstoffatoms. Er stellt das erste Glied einer Taylorentwicklung von
in
um
dar.
Dies bedeutet, dass zwischen dem Dipolmoment und dem E-Feld eine
Wechselwirkung stattfindet. Quantenmechanisch
kann somit ein Übergang zwischen zwei Zuständen
und
stattfinden, wenn
.
Dieses Nebendiagonalelement (oder Übergangselement) des Dipolmomentoperators wird Übergangsdipolmoment genannt. Falls das Übergangsdipolmoment Null ist, heißt der Übergang "dipol-verboten" und es müssen höhere Multipolmomente betrachtet werden, um den Übergang zu beschreiben.
Die Übergangswahrscheinlichkeit zwischen den beiden Zuständen ist dann proportional zu seinem Betragsquadrat:
bzw. für Emission in beliebige Raumrichtung:
.
Obwohl die Absorptionsspektren klassisch schon so genau erforscht waren, dass etliche Auswahlregeln zwischen erlaubten und verbotenen Übergängen bekannt waren, wurden sie erst durch die quantenmechanische Betrachtung erklärt. Hierzu sind zwei Anmerkungen angebracht:
- Die Übergangswahrscheinlichkeit kann nicht alleine mit klassischen Größen,
wie den Diplomomenten der beiden Zustände, ausgedrückt werden. Vielmehr
oszillieren die Zustände
und
mit Phasen
bzw.
, für die es kein klassisches Analogon gibt.
- Insbesondere handelt es sich beim Übergangsdipolmoment nicht um die Differenz der Dipolmomente der beiden Zustände, auch wenn der Name so missverstanden werden könnte. Es handelt sich vielmehr um ein Nebendiagonalelement des Dipolmoment-Operators.
Semiklassische Betrachtung
Die exakte Betrachtung der Wechselwirkung zwischen elektromagnetischer Strahlung und einem Atom oder Molekül erfordert den Formalismus der Quantenfeldtheorie. Im Folgenden wird deshalb zur Vereinfachung lediglich der atomare Anteil quantenmechanisch behandelt, elektromagnetische Felder werden klassisch betrachtet. Diese semiklassische Näherung liefert gute Ergebnisse, für eine höhere Genauigkeit müssen jedoch relativistische und quantenfeldtheoretische Korrekturen herangezogen werden.
Das elektrische Dipolmoment einer Ladungsverteilung
ist klassisch definiert als
.
In der Quantenmechanik
entspricht das .
Für einen gemischten
Zustand
heben sich die Phasen in
und
gerade weg. Hingegen oszilliert das Übergangselement
,
wobei
gegeben ist durch
mit dem reduzierten Planckschen
Wirkungsquantum
.
Der gemischte Zustand schwingt also mit
.
Da
und
im Allgemeinen unterschiedliche örtliche Funktionsverläufe und damit
Teilchendichten aufweisen, oszilliert auch die Teilchendichte des gemischten
Zustandes
örtlich hin und her. Der gemischte Zustand stellt also einen Hertzschen Dipol dar,
der mit
abstrahlt.
Die durchschnittlich emittierte Strahlungsleistung eines Hertzschen Dipols beträgt:
wobei
die elektrische Feldkonstante,
die Lichtgeschwindigkeit und
die Amplitude des Dipolmoments ist.
Zeitlich gemittelt ist
zu setzen. Man erhält für die beim Übergang
emittierte Strahlungsleistung
.
Atome im Zustand
emittieren beim Übergang
mit
durchschnittlich die Strahlungsleistung
.
Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Zeitintervall von einer Sekunde in
einem Atom im Zustand
der Übergang
unter Emission eines Photons
stattfindet, ist gegeben durch den Einsteinkoeffizienten
.
Mit diesem wird die Strahlungsleistung:
-
.
Vergleicht man diese Gleichung mit dem Ausdruck für ,
so folgt:
.
Die letzte Gleichung gibt also einen Zusammenhang zwischen dem
Übergangsdipolmoment
und der Wahrscheinlichkeit
für den entsprechenden Übergang.
Zusammenhang mit Auswahlregeln
Die Auswahlregeln,
ob ein Übergang erlaubt oder verboten ist, werden im Allgemeinen aus
hergeleitet, wobei die
die Kernladungszahlen
sind, bzw. für Elektronen −1 ist. Ein Übergang ist verboten, wenn das Integral
verschwindet, sonst ist er erlaubt. Der genaue Wert des Übergangsdipolmoments
ist dabei für die Auswahlregeln uninteressant. Für idealisierte Modelle wie den
harmonischen
Oszillator, den starren
Rotator, sowie das Wasserstoffatom
(aber auch andere Atome und Dipolmoleküle) können zahlreiche, verschwindende
Matrixelemente durch einfache Symmetriebetrachtungen gefunden werden.
Als Beispiel:
dreht sein Vorzeichen bei Spiegelungen um, hat also negative Parität. Das
Übergangselement verschwindet daher, wenn
und
dieselbe Parität haben. Dies erklärt, warum für das Wasserstoff keine
Dipol-Übergänge
,
,
,
,
,
… erlaubt sind, wohl aber
,
,
,
…
Ist ein Übergang nach dieser Regel verboten, so sind in höherer Ordnung der
Störungstheorie immer noch elektrische Quadrupol- oder magnetische
Dipolübergänge etc. möglich. So verschwinden für den Übergang
des Wasserstoffatoms auch das elektrische Quadrupolmoment (allerdings nicht aus
Paritätsgründen, da
gerade Parität hat) und alle höheren elektrischen Multipolmomente. Das
magnetische Dipolmoment verschwindet dabei nur im nichtrelativistischen
Grenzfall.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 19.02. 2021