Gaußsche Zahl
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Die gaußschen Zahlen (nach Carl
Friedrich Gauß; englisch Gaussian integer) sind eine
Verallgemeinerung der ganzen
Zahlen in den komplexen
Zahlen. Jede gaußsche Zahl liegt auf einem ganzzahligen Koordinatenpunkt der
komplexen Ebene. Die gaußschen Zahlen bilden den Ganzheitsring
des quadratischen
Zahlkörpers .
Außerdem bilden die gaußschen Zahlen einen euklidischen
Ring und damit insbesondere einen faktoriellen
Ring.
Eine etwas kompliziertere Verallgemeinerung ganzer Zahlen, die ebenfalls in die komplexe Ebene eingebettet werden können, sind die Eisenstein-Zahlen.
Geschichtlicher Hintergrund
Gaußsche Zahlen wurden von Gauß in der Abhandlung Theorie der biquadratischen Reste. Zweite Abhandlung (1832, in Latein) erstmals eingeführt.
Das quadratische
Reziprozitätsgesetz (das Gauß 1796 zum ersten Mal beweisen konnte) verknüpft
die Lösbarkeit der Kongruenz
mit der Lösbarkeit von
.
Ebenso verknüpft das kubische Reziprozitätsgesetz die Lösbarkeit der Kongruenz
mit der von
und das biquadratische Reziprozitätsgesetz ist die Verknüpfung von
mit
.
Gauß fand heraus, dass sich das biquadratische Reziprozitätsgesetz und die Ergänzungen dazu wesentlich einfacher als Aussagen über „ganze komplexe Zahlen“ (d.h. gaußsche Zahlen) formulieren und beweisen lassen.
In einer Fußnote (S. 541) erwähnt er, dass die Eisenstein-Zahlen der naturgemäße Bereich für Theoreme über kubische Reziprozität sind und ähnliche Erweiterungen der ganzen Zahlen die geeigneten Bereiche zur Untersuchung von höheren Potenzen.
Diese Abhandlung enthält nicht nur die Einführung gaußscher Zahlen, sondern auch der Begriffe Norm, Einheit, primär und Assoziierte, die heute in der algebraischen Zahlentheorie Standard sind.
Siehe dazu auch die Festschrift zum Zahlbericht.
Definition
Eine gaußsche Zahl
ist durch
gegeben, wobei
und
ganze Zahlen sind.
Der Ring
der gaußschen Zahlen heißt auch Gaußscher Zahlring
und wird mit
bezeichnet. Er entsteht also aus
durch Adjunktion
der imaginären
Einheit
.
Die gaußschen Zahlen sind die Punkte mit ganzzahligen Koordinaten in der gaußschen Zahlenebene. Sie bilden ein zweidimensionales Gitter.
Primelemente
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Wie in jedem Ring kann man – analog zu –
auch in
Zahlentheorie betreiben.
Insbesondere lassen sich Primelemente
als Verallgemeinerung des Begriffes Primzahl
definieren. Die Eindeutigkeit der Primfaktordarstellung gilt dann auch für die
gaußschen Zahlen.
Die Primelemente im Ring der Gaußschen Zahlen
sind bis auf die Einheitsfaktoren
genau die Primzahlen der Form
,
das Element
und die Elemente
,
für die
eine Primzahl ist, die man als
schreiben kann.
Die Primelemente im Ring der gaußschen Zahlen haben einen engen Bezug zu den
gewöhnlichen Primzahlen. Sie zerfallen in drei Klassen (jeweils bis auf
Assoziiertheit, d.h. bis auf Multiplikation mit
und
,
den Einheiten
des Ringes der gaußschen Zahlen):
- Der doppelte Primfaktor von 2:
Die Zahl 2 kann als Produkt
der Primelemente
und
geschrieben werden, die sich aber wegen
nur um eine Einheit unterscheiden. Also gilt
und die – bis auf Assoziiertheit der Faktoren eindeutige –
Primfaktorzerlegung
zeigt, dass 2 zum Quadrat des Primelements
assoziiert ist (2 ist verzweigt).
- Faktoren von Primzahlen der Form 4k + 1:
Ist
eine Primzahl der Form
mit einer natürlichen Zahl
,
so lässt sich
auf im Wesentlichen eindeutige Weise als Summe zweier Quadratzahlen schreiben
(siehe Zwei-Quadrate-Satz):
mit gewissen
Dann ist
die Primfaktorzerlegung von ,
selbst ist also kein Primelement im Ring der gaußschen Zahlen, sondern
Produkt zweier konjugierter
Primelemente (
ist zerlegt). Beispielsweise ist
kein Primelement, aber
und
sind zwei Primelemente.
- Primzahlen der Form 4k + 3:
Ist
eine Primzahl der Form
mit einer natürlichen Zahl
,
so ist
auch im Ring der gaußschen Zahlen ein Primelement (
bleibt prim, es ist träge).
Die drei Fälle beschreiben das Verhalten von Primelementen bei Erweiterung des Körpers der rationalen Zahlen zum Körper der Gaußschen Zahlen (entstanden durch Adjunktion der imaginären Einheit).
Primfaktorzerlegung
Eine bis auf die Reihenfolge der Faktoren eindeutige
Primfaktorzerlegung für eine beliebige gaußsche Zahl
ergibt sich z.B., wenn man
setzt und von den vier Assoziierten jedes ungeraden
Primelements
das durch die Forderung
(s.w.u. Kongruenzen
und Restklassen) eindeutig bestimmte sog. primäre auswählt und diese
nach ihrer Norm sortiert:
(offensichtlich sind hierbei die natürlichen Primzahlen der Form
immer mit negativem Vorzeichen zu versehen, da
).
Die obige Definition erfüllt offensichtlich ein wichtiges Kriterium: Das
Produkt beliebiger primärer Gaußscher Zahlen ist ebenfalls eine primäre
Zahl. Damit erhält man
mit
und
(darin gilt natürlich nur für endlich viele Exponenten
).
Eine andere, häufig benutzte Primfaktordarstellung ergibt sich, wenn man
darin die überflüssigen Faktoren
weglässt, und nur die Primteiler von
berücksichtigt, d.h. alle
mit
.
Dies seien die Zahlen
.
Damit lautet die Darstellung
mit
und
Euklidischer Algorithmus und größter gemeinsamer Teiler (ggT)
Jede gaußsche Zahl
hat vier Assoziierte
,
die durch Multiplikation mit den Einheiten gebildet werden und in allen vier
Quadranten der komplexen Zahlenebene liegen.
Ein größter gemeinsamer
Teiler (ggT) zweier gaußscher Zahlen
ist definiert als gaußsche Zahl
mit folgenden zwei Eigenschaften:
und
d.h.:
ist ein gemeinsamer Teiler von
und
.
- Aus
und
folgt
d.h.: Jeder gemeinsame Teiler von
und
teilt auch
.
Daraus folgt: Alle gaußschen Zahlen
mit diesen Eigenschaften (bei gegebenem
)
sind assoziiert. Der ggT ist somit eine im Wesentlichen (bis auf Assoziierte)
eindeutig bestimmte gaußsche Zahl mit der üblichen Schreibweise
.
Sofern die Primfaktorzerlegung von
und
bekannt ist, also
,
ist der ggT natürlich sofort gegeben durch
mit
.
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Andernfalls kann man den euklidischen
Algorithmus benutzen: Zur Bestimmung des ggT zweier Zahlen
läuft er ähnlich ab wie für ganze Zahlen. Es gilt
für alle
(also insbesondere
).
Und für
gibt es ein Paar gaußscher Zahlen
mit
und
Man bestimmt dazu
als diejenige gaußsche Zahl, die dem Bruch
am nächsten liegt. Dafür gilt stets
und
,
also
und folglich
.
Falls ,
wird das fortgesetzt mit
und
usw. bis
.
Dann ist
der gesuchte ggT:
.
Beispiel:
Gesucht sei der ggT der gaußschen Zahlen .
Der Quotient ist
.
Für
kommen damit die vier gaußschen Zahlen
in Frage. Wir wählen z.B.
und erhalten
.
Der nächste Schritt ergibt
,
d.h., der Rest ist
:
Der Algorithmus bricht ab und wir erhalten als ggT
.
Kongruenzen und Restklassen
Zwei gaußsche Zahlen
heißen kongruent bezüglich eines gaußschen Moduls
,
wenn es eine gaußsche Zahl
gibt mit
.
Man schreibt dafür
.
Dann gibt es auch einen gemeinsamen Rest
mit
.
Wie oben kann man die Faktoren
so bestimmen, dass
gilt.
Die Kongruenzrelation
nach dem Modul
induziert im Gaußschen Zahlring
eine Klasseneinteilung
.
Man definiert
als die Menge aller gaußschen Zahlen
,
für die gilt:
.
Die Menge
nennt man eine Restklasse modulo
.
Damit gilt:
genau dann, wenn
Addition und Multiplikation von Kongruenzen sind sehr einfach: Aus
und
folgt:
Das zeigt, dass die Definitionen
für die Summe und das Produkt von Restklassen wohldefiniert (d.h.
repräsentantenunabhängig) und daher gerechtfertigt sind. Die Menge
der Restklassen bildet dann mit diesen Operationen einen kommutativen
Ring mit
als Nullelement
und
als Einselement,
den sogenannten Restklassenring
modulo
.
Beispiele:
- Es gibt genau zwei Restklassen zum Modul
, nämlich das Hauptideal
aller Vielfachen
des Moduls und
, die ein Schachbrettmuster in der gaußschen Zahlenebene bilden. Sie können als Erweiterung der geraden bzw. ungeraden natürlichen Zahlen angesehen und deshalb als (un)gerade gaußsche Zahlen bezeichnet werden (Gauß unterteilt die geraden Zahlen noch in halbgerade und gerade, d.h. durch 2 teilbare).
- Zum gaußschen Modul
gibt es genau vier Restklassen, nämlich
. (Man beachte, dass z.B.
gilt.)
Vollständige Restsysteme
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Um alle Restklassen zu einem Modul
zu bestimmen, kann man mit der Abbildung
ein quadratisches Gitter über die komplexe Zahlenebene legen. Die Gitterlinien
seien die Geraden mit
und
bzw.
.
Sie zerteilen die Ebene in Quadrate
(mit ganzzahligen
)
.
Die vier Eckpunkte von
sind die assoziierten Punkte
.
Wenn
eine gerade gaußsche Zahl ist, sind alle vier gaußsche Zahlen (und auch
kongruent zueinander), ansonsten keine. Im ersten Fall nehmen wir z.B. nur
den Eckpunkt
als zu
gehörig. Innerhalb jedes Quadrates sind alle gaußschen Zahlen inkongruent, wenn
man jeweils die oberen Grenzen ausschließt:
(wenn auf den Grenzlinien gaußsche Zahlen liegen, dann immer paarweise
kongruente Zahlen).
Das Quadrat
beschreibt damit alle minimalen Reste, in dem Sinne, dass alle anderen
Elemente in den Restklassen betragsmäßig nicht kleiner sind (Gauß bezeichnet sie
als absolut kleinste Reste).
Daraus lässt sich mit einfachen geometrischen Überlegungen ableiten, dass die
Anzahl der Restklassen zu einem gegebenen Modul
gleich seiner Norm
ist (bei den natürlichen Zahlen ist die Anzahl der Restklassen zu einem Modul
trivialerweise gleich dem Betrag
).
Man sieht sofort, dass alle Quadrate deckungsgleich sind (inklusive der
Gitterpunkte). Sie haben die Seitenlänge ,
also die Fläche
und in allen liegt die gleiche Anzahl gaußscher Zahlen, die wir mit
bezeichnen. Allgemein ist die Zahl von Gitterpunkten in einem beliebigen Quadrat
der Fläche
bestimmt durch
.
Betrachten wir nun ein großes Quadrat aus
Quadraten
,
dann liegen darin folglich stets
Gitterpunkte. Es gilt also
,
was im Limes
ergibt.
Prime Restklassengruppe und eulersche Phi-Funktion
Viele Sätze (und Beweise) für Moduln ganzer Zahlen lassen sich direkt auf Moduln gaußscher Zahlen übertragen, indem man jeweils den Betrag des Moduls durch die Norm ersetzt. Insbesondere gilt das für die prime Restklassengruppe und den Satz von Fermat-Euler, wie hier kurz ergänzt werden soll.
Die prime Restklassengruppe (pRG) des Restklassenringes modulo
ist die multiplikative Gruppe seiner Einheiten. Sie besteht aus allen
Restklassen
mit zu
teilerfremdem
,
für die also gilt:
.
Die Anzahl ihrer Elemente sei bezeichnet als
(analog zur eulerschen
Phi-Funktion
für ganze Zahlen
).
Für Primelemente ergibt sich sofort
und für beliebige (zusammengesetzte) gaußsche Zahlen
kann man die eulersche
Produktformel
ableiten, wobei das Produkt über alle Primteiler von
(mit
)
zu erstrecken ist.
Auch der wichtige Satz von Fermat-Euler ist sofort übertragbar:
- Aus
folgt
.
Mit Hilfe dieses Satzes kann man z.B. einige diophantische
Gleichungen für gaußsche Zahlen explizit lösen. Beispielsweise seien
als Lösungen der linearen Gleichung
für gegebene gaußsche Zahlen
gesucht. Dafür kann man o.B.d.A.
annehmen, da jeder gemeinsame Teiler von
und
auch ein Teiler von
sein muss (andernfalls hat die Gleichung keine Lösung) und deshalb herausgekürzt
werden kann.
Dazu betrachtet man diese Gleichung modulo ,
was ergibt
.
Der Satz von Fermat-Euler liefert dann eine explizite Lösung
,
nämlich
,
d.h. alle gaußsche Zahlen der Form
mit beliebigen gaußschen Faktoren
.
Eingesetzt in die Ausgangsgleichung ergibt das
,
was nach dem Satz von Fermat-Euler ebenfalls eine gaußsche Zahl ist.
Ungelöste Probleme
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Die meisten der ungelösten Probleme haben mit der Verteilung der gaußschen Primzahlen in der Ebene zu tun.
- Das Gaußsche Kreisproblem (engl. Gauss's circle problem) beschäftigt sich nicht mit gaußschen Zahlen an sich, sondern fragt nach der Anzahl der Gitterpunkte innerhalb eines Kreises mit gegebenem Radius um den Koordinatenursprung. Das ist äquivalent der Bestimmung der Anzahl gaußscher Zahlen mit der Norm kleiner als ein gegebener Wert.
Zwei ungelöste Probleme über gaußsche Primzahlen sind z.B.
- Auf den reellen und imaginären Koordinatenlinien liegen unendlich viele
gaußsche Primzahlen 3, 7, 11, 19, … und deren Assoziierte. Gibt es weitere
Geraden, auf denen unendlich viele Primzahlen liegen? Insbesondere: Gibt es
unendlich viele Primzahlen der Form
?
- Ist es möglich, durch die Ebene der gaußschen Zahlen bis ins Unendliche zu wandern, indem man die gaußschen Primzahlen als Stützstellen benutzt und dabei nur Schritte begrenzter Länge macht? Das ist als Gaußsches Grabenproblem (engl. Gaussian moat problem) bekannt; es wurde 1962 aufgestellt von Basil Gordon und ist noch ungelöst.
Literatur
- Peter Bundschuh: Einführung in die Zahlentheorie. 6., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer-Verlag, Berlin u.a. 2008, ISBN 978-3-540-76490-8.
- Harald Scheid: Zahlentheorie. 3. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg u.a. 2003, ISBN 3-8274-1365-6.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 23.08. 2022