Verzweigung (Algebra)
Verzweigung ist ein mathematischer Begriff, der die Gebiete Algebra, algebraische Geometrie, algebraische Zahlentheorie und komplexe Analysis miteinander verbindet.
Namengebendes Beispiel
Es sei
eine natürliche
Zahl und
die Funktion
.
Ist nun
und
eine (hinreichend kleine) Umgebung
von
,
so besteht das Urbild
von
aus
Zusammenhangskomponenten,
die durch eine Rotation um
,
also Multiplikation mit einer
-ten
Einheitswurzel auseinander hervorgehen. Bewegt sich
,
so bewegen sich auch die Urbilder gegen 0, um dann für
zu einem einzigen Urbild zu verschmelzen. 0 ist also gewissermaßen der
Verzweigungspunkt für die
Zweige. (Man beachte, dass die Zweige lokal bei 0 nicht getrennt sind, auch wenn
man die 0 entfernt.)
Für den Übergang zu einer algebraischen Sichtweise sei nun
eine holomorphe Funktion, die in einer Umgebung der 0 definiert ist. Hat
bei 0 eine
-fache
Nullstelle, so hat die zurückgezogene Funktion
eine -fache
Nullstelle. Dieses Zurückziehen lokal definierter holomorpher Funktionen
entspricht einem Ringhomomorphismus
(Dabei bezeichnet
den Ring der Potenzreihen,
deren Konvergenzradius positiv ist.) Die Nullstellenordnung ist eine diskrete
Bewertung auf den beteiligten Ringen, und es gilt wie gesagt
Diese Eigenschaft ist charakteristisch für Verzweigungspunkte.
Verzweigung im Kontext von Erweiterungen bewerteter Körper
Es sei
ein Körper
mit einer diskreten
(Exponential-)Bewertung
.
Weiter seien
bzw.
der Bewertungsring bzw. das Bewertungsideal von ,
eine Uniformisierende, d.h. ein Erzeuger von
,
und
der Restklassenkörper.
Weiter sei
eine endliche Erweiterung von
mit diskreter Bewertung
,
die
fortsetzt, d.h.
.
Schließlich seien
analog zu oben.
Der Verzweigungsindex von
ist definiert als
Ist er gleich 1, so heißt die Erweiterung unverzweigt. Sein Gegenstück
ist der Trägheitsgrad .
Eigenschaften
- Ist die Erweiterung
separabel, und durchläuft
alle möglichen Fortsetzungen von
, so gilt die fundamentale Gleichung
- Ist
darüber hinaus vollständig, so ist
eindeutig bestimmt als
-
- und es gilt
- Es seien nun
vollständig und
galoissch, und außerdem sei
separabel. (Diese Voraussetzungen sind beispielsweise für lokale Körper erfüllt.) Dann ist
sogar galoissch, und es gibt eine kurze exakte Sequenz
-
- dabei bezeichnet man den Kern
als Trägheitsgruppe. Ihr Fixkörper
ist die maximale unverzweigte Teilerweiterung von
, und im Fall endlicher Erweiterungen gilt
- Insbesondere gilt: Ist
unverzweigt, so ist
- Ist
die maximale unverzweigte Erweiterung (in einem separablen Abschluss
von
), so gilt entsprechend
- Im Fall lokaler Körper ist letztere Gruppe kanonisch isomorph zu
, hat also eine besonders einfache Struktur. Da die Galoisgruppe
im Frobenius-Automorphismus
mit
- einen kanonischen Erzeuger besitzt, gibt es auch in
ein kanonisches Element, das ebenfalls als Frobenius-Automorphismus bezeichnet wird.
Verzweigung im Kontext von Erweiterungen von Dedekindringen
Es sei
ein Dedekindring mit Quotientenkörper
,
eine endliche separable Erweiterung von
und
der ganze
Abschluss von
in
;
ist wieder ein Dedekindring.
Einer der wichtigsten Spezialfälle ist ,
,
ein Zahlkörper
und
sein Ganzheitsring.
Weiter sei
ein maximales
Ideal von
.
Dann lässt sich
auf eindeutige Weise als Produkt von Potenzen verschiedener Primidealen von
schreiben:
Die Zahlen
heißen Verzweigungsindizes, die Grade der Restklassenkörpererweiterungen
Trägheitsgrade.
- Ist
und die Erweiterung der Restklassenkörper separabel, so heißt
unverzweigt. (Im Fall von Zahlkörpern und Funktionenkörpern über endlichen Körpern ist die Restklassenkörperweiterung stets separabel.)
- Ist
, so heißt
rein verzweigt.
- Sind alle
unverzweigt, so heißt
unverzweigt.
zerfällt dann in ein Produkt verschiedener Primideale.
- Sind alle Primideale (ungleich null) von
unverzweigt, so heißt die Erweiterung
unverzweigt.
Eigenschaften
- Ein Primideal
von
über einem Primideal
von
ist genau dann unverzweigt in dem hier definierten Sinne, wenn die Erweiterung
mit den durch
bzw.
definierten Bewertungen unverzweigt im bewertungstheoretischen Sinne ist.
- Es gilt die fundamentale Gleichung
- Es gibt stets nur endlich viele verzweigte Primideale in
. Ein Primideal in
ist genau dann verzweigt, wenn es die Diskriminante teilt; ein Primideal in
ist genau dann verzweigt, wenn es die Differente teilt.
- Die einzige unverzweigte Erweiterung von
ist
selbst.
- Ist
eine Galoiserweiterung globaler Körper und
unverzweigt, so gibt es analog zum lokalen Fall für jedes Primideal
über
einen Frobenius-Automorphismus
, der die Zerlegungsgruppe von
erzeugt. Er ist die Grundlage für das Artinsymbol der Klassenkörpertheorie.
Beispiel
Ein verhältnismäßig einfacher Dedekindring ist der Ring der Eisensteinzahlen. Betrachtet man sie, wie üblich, als Erweiterung der ganzen Zahlen, dann ist hier genau das von der Primzahl 3 (im Ring der ganzen Zahlen) erzeugte Primideal verzweigt.
Unverzweigte Schemamorphismen
Es seien
und
Schemata
und
ein Morphismus lokal
endlicher Präsentation. Dann heißt
unverzweigt, falls eine der folgenden äquivalenten Bedingungen erfüllt
ist:
- Für einen (und damit für jeden) Morphismus
ist
-
- surjektiv.
- Die Fasern
von
über Punkten
sind disjunkte Vereinigungen von Spektren endlicher separabler Körpererweiterungen von
.
- Die Diagonale
ist eine offene Einbettung.
- Ist
ein affines Schema und
ein abgeschlossenes Unterschema, das durch eine nilpotente Idealgarbe definiert wird, so ist die induzierte Abbildung
-
- injektiv.
Der Morphismus
heißt unverzweigt im Punkt
,
wenn es eine offene Umgebung
von
in
gibt, so dass
unverzweigt ist. Unverzweigtheit in einem Punkt
kann auch anders charakterisiert werden (es sei
):
- Die Diagonale
ist ein lokaler Isomorphismus bei
.
ist ein Körper, der eine endliche separable Erweiterung von
ist.
Die Unverzweigtheit von
im Punkt
hängt nur von der Faser
ab.
Eigenschaften
- Unverzweigte Morphismen sind lokal quasiendlich.
- Ist
zusammenhängend und
unverzweigt und separiert, so entsprechen die Schnitte von
eineindeutig den Zusammenhangskomponenten von
, die durch
isomorph auf
abgebildet werden.
Bedeutung
Algebraische Geometrie
Ist
ein Schema über einem diskret bewerteten Körper
mit Bewertungsring
,
so werden häufig Modelle von
über
betrachtet, d.h. Schemata
über
mit
.
Ist nun
eine unverzweigte Erweiterung und
der Bewertungsring von
,
so ist der Morphismus
und damit auch der Morphismus
étale
und surjektiv, folglich übertragen sich viele Eigenschaften von
auf das Modell
von
.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 29.08. 2020