Charakteristische Funktion (Stochastik)
Als charakteristische Funktion bezeichnet man in der Wahrscheinlichkeitstheorie eine spezielle komplexwertige Funktion, die einem endlichen Maß oder spezieller einem Wahrscheinlichkeitsmaß auf den reellen Zahlen beziehungsweise der Verteilung einer Zufallsvariable zugeordnet wird. Dabei wird das endliche Maß eindeutig durch seine charakteristische Funktion bestimmt und umgekehrt, die Zuordnung ist also bijektiv.
Wesentlicher Nutzen von charakteristischen Funktionen liegt darin, dass viele schwerer greifbaren Eigenschaften des endlichen Maßes sich als Eigenschaft der charakteristischen Funktion wiederfinden und dort als Eigenschaft einer Funktion leichter zugänglich sind. So reduziert sich beispielsweise die Faltung von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf die Multiplikation der entsprechenden charakteristischen Funktionen.
Definition
Gegeben sei ein endliches Maß auf . Dann heißt die komplexwertige Funktion
definiert durch
die charakteristische Funktion von . Ist ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so folgt die Definition analog. Ist speziell eine Zufallsvariable mit Verteilung gegeben, so ist die charakteristische Funktion gegeben durch
- .
Damit ergeben sich als wichtige Sonderfälle:
- Besitzt eine Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (bezüglich des Riemann-Integrals) , so ist die charakteristische Funktion gegeben als
- .
- Besitzt eine Wahrscheinlichkeitsfunktion , so ist die charakteristische Funktion gegeben als
- .
Elementare Beispiele
Ist Poisson-verteilt, so besitzt die Wahrscheinlichkeitsfunktion
- .
Mit der oben aufgeführten Darstellung für die charakteristische Funktion mittels Wahrscheinlichkeitsfunktionen ergibt sich dann
Ist exponentialverteilt zum Parameter , so besitzt die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion
Damit ergibt sich
Weitere Beispiele für Charakteristische Funktionen sind weiter unten im Artikel tabelliert oder befinden sich direkt im Artikel über die entsprechenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen.
Eigenschaften als Funktion
Existenz
Die charakteristische Funktion existiert für beliebige endliche Maße und somit auch Wahrscheinlichkeitsmaße bzw. Verteilungen von Zufallsvariablen, da wegen
das Integral stets existiert.
Beschränktheit
Jede charakteristische Funktion ist immer beschränkt, es gilt
- .
Symmetrie
Die charakteristische Funktion ist genau dann reellwertig, wenn die Zufallsvariable symmetrisch ist.
Des Weiteren ist stets hermitesch, das heißt es gilt
- .
Gleichmäßige Stetigkeit
- ist eine gleichmäßig stetige Funktion.
Charakterisierung
Interessant ist insbesondere, wann eine Funktion die charakteristische Funktion eines Wahrscheinlichkeitsmaßes ist. Eine hinreichende Bedingung liefert der Satz von Pólya (nach George Pólya): Ist eine Funktion
und gilt außerdem , so ist sie die charakteristische Funktion eines Wahrscheinlichkeitsmaßes.
Eine notwendige und hinreichende Bedingung liefert der Satz von Bochner (nach Salomon Bochner):
Eine stetige Funktion
ist genau dann die charakteristische Funktion eines Wahrscheinlichkeitsmaßes, wenn eine positiv semidefinite Funktion ist und gilt.
Weitere Eigenschaften
Lineare Transformation
- für alle reellen
Umkehrbarkeit
Ist integrierbar, dann lässt sich die Wahrscheinlichkeitsdichte von rekonstruieren als
Momenterzeugung
- für alle natürlichen , falls .
Insbesondere ergeben sich die Spezialfälle
Wenn für eine natürliche Zahl der Erwartungswert endlich ist, dann ist -mal stetig differenzierbar und in eine Taylor-Reihe um entwickelbar:
Ein wichtiger Spezialfall ist die Entwicklung einer Zufallsvariablen mit und :
Faltungsformel für Dichten
Bei unabhängigen Zufallsvariablen und gilt für die charakteristische Funktion der Summe
denn wegen der Unabhängigkeit gilt
Charakteristische Funktion von zufälligen Summen
Sind unabhängig identisch verteilte Zufallsvariablen und eine -wertige Zufallsvariable, die von allen unabhängig ist, so lässt sich die charakteristische Funktion der Zufallsvariable
als Verkettung der wahrscheinlichkeitserzeugenden Funktion von und der charakteristischen Funktion von darstellen:
- .
Eindeutigkeitssatz
Es gilt der folgende Eindeutigkeitssatz: Wenn , Zufallsvariablen sind und für alle gilt, dann ist , d.h. und haben die gleiche Verteilungsfunktion. Folglich kann damit die Faltung einiger Verteilungen leicht bestimmt werden.
Aus dem Eindeutigkeitssatz lässt sich der Stetigkeitssatz von Lévy folgern: Wenn eine Folge von Zufallsvariablen ist, dann gilt (Konvergenz in Verteilung) genau dann, wenn für alle gilt. Diese Eigenschaft kann bei zentralen Grenzwertsätzen ausgenutzt werden.
Beispiele
Verteilung | Charakteristische Funktion |
---|---|
Diskrete Verteilungen | |
Binomialverteilung | |
Poisson-Verteilung | |
Negative Binomialverteilung | |
Absolutstetige Verteilungen | |
standardnormalverteilt | |
normalverteilt | |
gleichverteilt | |
Standard-Cauchy-verteilt | |
gammaverteilt |
Allgemeinere Definitionen
Definition für mehrdimensionale Zufallsvariablen
Die charakteristische Funktion lässt sich auf -dimensionale reelle Zufallsvektoren wie folgt erweitern:
- ,
wobei das Standardskalarprodukt bezeichnet.
Für zufällige Maße
Die charakteristische Funktion lässt sich auch für zufällige Maße definieren. Sie ist dann jedoch ein Funktional, ihre Argumente sind also Funktionen. Ist ein zufälliges Maß, so ist die charakteristische Funktion gegeben als
für alle beschränkten, messbaren reellwertigen Funktionen mit kompaktem Träger. Das zufällige Maß ist durch die Werte der charakteristischen Funktion an allen positiven stetigen Funktionen mit kompaktem Träger eindeutig bestimmt.
Beziehung zu anderen erzeugenden Funktionen
Außer den charakteristischen Funktionen spielen noch die wahrscheinlichkeitserzeugenden Funktionen und die momenterzeugenden Funktionen eine wichtige Rolle in der Wahrscheinlichkeitstheorie.
Die wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion einer -wertigen Zufallsvariable ist definiert als . Demnach gilt der Zusammenhang .
Die momenterzeugende Funktion einer Zufallsvariable ist definiert als . Demnach gilt der Zusammenhang , wenn die momenterzeugende Funktion existiert. Im Gegensatz zur charakteristischen Funktion ist dies nicht immer der Fall.
Außerdem gibt es noch die kumulantenerzeugende Funktion als Logarithmus der momenterzeugenden Funktion. Aus ihr wird der Begriff der Kumulante abgeleitet.
Siehe auch
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de Seite zurück© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 09.01. 2021