Gerade
![](bilder/gerade.png)
Eine gerade Linie oder kurz Gerade ist ein Element der Geometrie. Sie ist eine gerade, unendlich lange, unendlich dünne und in beide Richtungen unbegrenzte Linie. Die kürzeste Verbindung zweier Punkte wird hingegen als Strecke bezeichnet. Moderne axiomatische Theorien der Geometrie nehmen darauf jedoch keinen Bezug (Synthetische Geometrie). Für sie ist eine Gerade ein Objekt ohne innere Eigenschaften, lediglich die Beziehungen zu anderen Geraden, Punkten und Ebenen sind von Bedeutung. In der analytischen Geometrie wird eine Gerade als eine Menge von Punkten realisiert. Genauer: In einem affinen Raum ist eine Gerade ein eindimensionaler affiner Unterraum.
Während Otto Hesse in seinem Buch Analytische Geometrie der geraden Linie, ... (1873) ausschließlich gerade Linie verwendet, sind in dem Buch Vorlesungen über Höhere Geometrie (1926) von Felix Klein die beiden Bezeichnungen gerade Linie und Gerade zu finden. In der neueren Literatur (z. B. -Atlas zur Mathematik) ist ausschließlich Gerade üblich.
Synthetische Geometrie
In seinen Elementen hat Euklid eine explizite Definition einer Geraden gegeben, die dem anschaulichen Bild entspricht. Für Sätze und ihre Beweise spielt diese Definition jedoch keine Rolle. Moderne Axiomensysteme verzichten daher auf eine solche Definition.
Eine Gerade ist in diesem Fall ein Begriff, auf den die einzelnen Axiome Bezug nehmen. Ein Beispiel ist das erste Axiom aus Hilberts Axiomensystem:
- Zwei voneinander verschiedene Punkte
und
bestimmen stets eine Gerade
.
Die Bedeutung des Begriffs Gerade ergibt sich aus der Gesamtheit der Axiome. Eine Interpretation als eine unendlich lange, unendlich dünne Linie ist nicht zwingend, sondern nur eine Anregung, was man sich anschaulich darunter vorstellen könnte.
In der projektiven Ebene sind die Begriffe Punkt und Gerade sogar vollständig austauschbar (Dualität). Damit ist es hier möglich, sich eine Gerade als unendlich klein und einen Punkt als unendlich lang und unendlich dünn vorzustellen.
Analytische Geometrie
![](bilder/stuetzvektor_Und_Richtungsvektor_Einer_Geraden_(de).png)
In der analytischen
Geometrie wird der geometrische Raum als -dimensionaler
Vektorraum über den reellen
Zahlen dargestellt. Eine Gerade wird dabei als eindimensionaler affiner Unterraum
dieses Vektorraums definiert, d.h. als Nebenklasse eines eindimensionalen
linearen Unterraumes.
In drei Dimensionen erfüllt der Geradenbegriff der analytischen Geometrie alle Bedingungen, die Hilbert in seinem Axiomensystem der Geometrie voraussetzt. In diesem Fall ist eine Gerade somit auch eine Gerade im Sinne Hilberts.
Man benötigt lediglich die Lage zweier Punkte, um eine Gerade zu beschreiben. Einer der Punkte dient dabei als „Stütze“ der Geraden, auf ihm „liegt“ sie sozusagen auf – dieser Punkt heißt daher Aufpunkt oder Stützpunkt der Geraden. Mit dem zweiten Punkt erhält man die Richtung der Geraden. Die Richtung wird dabei durch den Vektor vom Aufpunkt zum „Richtungspunkt“ angegeben.
Die Gerade
durch die Punkte
und
enthält genau die Punkte
,
deren Ortsvektor
eine Darstellung
mit
besitzt, also
Hierbei ist
der Stützvektor, das heißt der Ortsvektor des Stützpunkts
und
der Richtungsvektor.
Die affine
Hülle von zwei verschiedenen Vektoren
und
ist ebenfalls eine Gerade.
Auch der Lösungsraum eines (inhomogenen) linearen
Gleichungssystems mit
linear
unabhängigen Gleichungen ist ein affiner Unterraum der Dimension Eins und
somit eine Gerade. In zwei Dimensionen kann eine Gerade folglich durch eine Geradengleichung
angegeben werden, wobei
und
oder
ungleich Null sein muss. Ist
ungleich 0, so spricht man von einer linearen
Funktion
.
Kürzester Weg
Im reellen euklidischen Raum liegt der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten auf einer Geraden. Verallgemeinert man diese Eigenschaft der Geraden auf gekrümmten Räumen (Mannigfaltigkeiten), so gelangt man zum Begriff der geodätischen Linie, kurz Geodäte.
Gleichung einer Geraden in der Ebene
Die Gleichung einer Geraden in der Ebene kann man auf drei verschiedenen Weisen bestimmen:
Punkt-Richtung-Gleichung:
- Gegeben sind ein Punkt
und der Neigungswinkel (Anstiegswinkel)
.
- Gegeben sind ein Punkt
und die Steigung (der Anstieg)
.
Zwei-Punkte-Gleichung:
- Gegeben sind zwei Punkte
und
mit
.
oder
Gleichung einer Geraden im Raum ℝⁿ
Punkt-Richtungs-Gleichung
Für jedes Paar
aus einem Ortsvektor (d.h. Punkt)
und einem Richtungsvektor
existiert eine Gerade
,
die
enthält und in Richtung
verläuft, nämlich
.
Zwei-Punkte-Gleichung
Gegeben seien zwei Ortsvektoren (d.h. Punkte)
mit
.
Dann existiert eine eindeutig bestimmte Gerade
,
die
und
enthält, nämlich
.
Lage zweier Geraden zueinander
- Lagebeziehungen zweier Geraden (rot und dunkelblau) im Raum
-
echt parallel (links) und gleich (rechts)
-
schneidend (im schwarzen Punkt)
-
windschief
Zwei Geraden können folgende Lagebeziehungen zueinander haben. Sie können:
- Gleich sein: Beide Geraden haben alle Punkte gemeinsam.
- Einen Schnittpunkt besitzen: Beide Geraden haben genau einen Punkt gemeinsam (speziell: senkrecht zueinander).
- Zueinander echt parallel sein: Beide Geraden haben keinen Punkt gemeinsam und lassen sich durch eine Verschiebung ineinander überführen.
- Zueinander windschief sein: Beide Geraden haben keinen Punkt gemeinsam, aber lassen sich nicht durch eine Verschiebung allein ineinander überführen (ab mindestens drei Dimensionen).
Im Sinne der Theorie der Relationen spricht man auch von Parallelität, wenn beide Geraden identisch sind, insbesondere ist jede Gerade zu sich selbst parallel. Zur Präzisierung unterscheidet man dann zwischen echt parallel und identisch.
Schnittpunkt in der Ebene
Schnittpunkt zweier Geraden
Für den Schnittpunkt zweier nicht paralleler
- Geraden (gegeben in Koordinatenform)
ergibt sich mit der Cramerschen
Regel für die Koordinaten
des Schnittpunktes
Falls
ist, sind die beiden Geraden parallel.
- Für eine Gerade durch die Punkte
und
- und eine Gerade durch die Punkte
und
- Berechnet man den Schnittpunkt, indem man zuvor die Zweipunkteformen in Koordinatenformen umrechnet.
- Der Schnittpunkt
ergibt sich zu
- und
.
Schnittpunkt zweier Strecken
![](bilder/Is-linesegm.svg.png)
Sind zwei nicht parallele Strecken
und
gegeben, so müssen sie sich nicht schneiden. Denn der Schnittpunkt
der zugehörigen Geraden muss nicht in beiden Strecken enthalten sein. Um
letzteres zu klären, stellt man beide Strecken parametrisiert dar:
,
Schneiden sich die Strecken, so muss der gemeinsame Punkt
der zugehörigen Geraden Parameter
haben mit der Eigenschaft
.
Die Schnittparameter
sind Lösung
des linearen
Gleichungssystems
Dieses löst man (wie oben) mit der Cramerschen
Regel, überprüft die Schnittbedingung
und setzt
oder
in die zugehörige Parameterdarstellung
ein, um schließlich den Schnittpunkt
zu erhalten.
Beispiel: Für die Strecken
und
erhält man das Gleichungssystem
und .
D. h. die Strecken schneiden sich und der Schnittpunkt ist
.
Bemerkung: Betrachtet man Geraden durch zwei Punktepaare, so kann man
die Bedingung
ignorieren und erhält mit dieser Methode den Schnittpunkt der beiden Geraden.
Winkel in der Ebene
Neigungswinkel einer Gerade
Ist eine Gerade in der Ebene
mit
in Koordinatenform
gegeben, dann gilt für den Neigungswinkel
dieser Geraden:
Das folgt aus der Definition des Tangens. Anwenden der Umkehrfunktion des Tangens (Arkustangens) auf beiden Seiten der Gleichung ergibt
Für den Spezialfall
verläuft die Gerade senkrecht und diese Gleichungen
sind nicht definiert. Die Funktion
(Tangens)
hat Polstellen bei
und
.
Schnittwinkel zwischen zwei Geraden
Sind die zwei sich schneidenden Geraden
und
mit den Ortsvektoren
und
und den linear
unabhängigen Richtungsvektoren
und
gegeben, dann ist der Schnittwinkel
zwischen diesen Geraden der Winkel zwischen den Richtungsvektoren:
Die Geraden sind orthogonal
zueinander, wenn der Schnittwinkel
ein rechter
Winkel ist, also .
Das ist genau dann der Fall, wenn das Skalarprodukt
der Richtungsvektoren
gleich 0 ist, also
.
Sind zwei Geraden in der Ebene
mit
und
in Koordinatenform
gegeben, dann ist der Schnittwinkel
die Differenz der Neigungswinkel
und
der Geraden:
Anwenden des Additionstheorems für den Tangens ergibt
Wegen
und
folgt daraus
Insgesamt ergibt sich
Anwenden der Umkehrfunktion des Tangens (Arkustangens) auf beiden Seiten der Gleichung ergibt
Die Geraden sind genau dann orthogonal
zueinander, wenn der Nenner
gleich 0 ist, also .
Für diese Spezialfälle, nämlich für
und
,
sind die genannten Gleichungen
nicht definiert. Die Funktion
(Tangens)
hat Polstellen bei
und
.
Abstand in der Ebene
Abstand zwischen Punkt und Gerade
Der Abstand zwischen dem Punkt
und der Geraden mit der Koordinatenform
beträgt:
Der Punkt auf der Geraden, der
am nächsten liegt, hat die Koordinaten
Wenn die Gerade durch die Punkte
und
verläuft, ist
Diese Werte können in die Formeln eingesetzt werden.
Abstand im dreidimensionalen Raum
Abstand zwischen Punkt und Gerade
Der Abstand zwischen dem Punkt
und der Geraden, die durch die Punkte
und
verläuft, beträgt:
Abstand zwischen zwei Geraden
Zwei Geraden, wobei die eine durch die Punkte
und
und die andere durch die Punkte
und
verläuft, haben folgenden Abstand:
Die Gerade in Technik und Vermessungskunde
In technischen Fachgebieten ist die Gerade das wichtigste Element für Konstruktionen, zur Trassierung, zur Ortsbestimmung und zur Einmessung von Koordinaten:
- in Form zweier Schenkel bei der Winkelmessung,
- zur Messung von Richtungen (genordet oder relativ)
- für die Entfernungsmessung
- für Alignements und zur Absteckung von Linien.
Bei Messungen wird sie durch die Zielachse eines Messfernrohrs oder einen Laser repräsentiert, im Bauwesen etwa durch ein Schnurgerüst.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 23.10. 2022