Affiner Raum
Der affine Raum, gelegentlich auch lineare Mannigfaltigkeit genannt, nimmt im systematischen Aufbau der Geometrie eine Mittelstellung zwischen Euklidischem Raum und Projektivem Raum ein.
Der dreidimensionale affine Raum ist wie der euklidische Raum ein mathematisches Modell für den uns vertrauten dreidimensionalen Anschauungsraum. Dabei wird aber auf die Begriffe Länge, Abstand und Winkel verzichtet.
In einem weiteren Sinne kann ein affiner Raum, wie andere mathematische Räume auch, eine beliebige Dimension haben: Als affinen Raum kann man auch einen einzelnen Punkt, die affine Gerade, die affine Ebene sowie vier- und höherdimensionale Räume bezeichnen. In aller Regel sind diese Räume nur endlichdimensional.
Verschiedene mathematische Disziplinen haben unterschiedliche Präzisierungen dieses Begriffs gefunden.
Der affine Raum in der linearen Algebra
Definition
![](bilder/220px-Chasles_Relation.svg.png)
![](bilder/220px-Vektor_abtragen.svg.png)
Gegeben seien eine Menge
,
deren Elemente geometrisch als Punkte aufgefasst werden, ein Vektorraum
über einem Körper
und eine Abbildung von
nach
,
die zwei Punkten
einen Verbindungsvektor
zuordnet, so dass die folgenden beiden Regeln gelten:
- für je drei Punkte
gilt:
(Dreiecksregel, Beziehung von Chasles),
- für jeden Punkt
und jeden Vektor
gibt es einen eindeutig bestimmten Punkt
, so dass
(Abtragbarkeitsregel).
Das Tripel
heißt affiner Raum. Wenn klar ist, welcher Vektorraum
und welche Pfeilabbildung
zugrunde liegt, spricht man auch allein vom affinen Raum
.
Bei dem Körper
handelt es sich oft um den Körper
der reellen Zahlen.
Translationen
Im affinen Raum ist eine „Addition“ als Abbildung von
dadurch definiert, dass
gerade der über
eindeutig bestimmte Punkt
ist. Für festgelegtes
heißt die zugehörige Abbildung
Translation (Verschiebung) oder präzise Translation um den Vektor
und
heißt dann der zugehörige Translationsvektor.
Translationen sind stets Bijektionen.
Sie bilden zusammen mit der Hintereinanderschaltung
als Gruppenverknüpfung
eine Untergruppe der Automorphismengruppe
von
,
wobei
und für
stets
und
gelten.
Anmerkung: Wegen
schreibt man auch oft
statt
.
Es gilt dann
genau dann, wenn
.
Affiner Unterraum
Wenn
ein festgelegter Punkt aus
ist und
ein Untervektorraum
von
,
dann ist
ein affiner Unterraum von
.
Anstelle des Begriffs „affiner Unterraum“ wird auch oft die äquivalente
Bezeichnung affiner Teilraum verwendet. Der zu einem affinen
Teilraum
gehörige Untervektorraum
ist durch
eindeutig bestimmt.
Die Dimension eines affinen Raums
zu einem Vektorraum
über einem Körper
ist definiert als die Dimension
des Vektorraums
über
.
Oft ist es bequem, auch die leere Menge als affinen (Teil-)Raum anzusehen.
Diesem leeren Teilraum wird dann die Dimension -1 zugeordnet.
Der affine Punktraum und der ihm zugeordnete Vektorraum
Wenn im affinen Raum
ein Punkt
als Ursprung fest gewählt wird, hat man durch die Abbildung, die jedem Punkt
die Verschiebung
,
den Ortsvektor von
,
zuordnet, eine eineindeutige Abbildung zwischen dem affinen Raum und seinem
Vektorraum der Verschiebungen. Dabei ist zu beachten, dass diese Zuordnung
zwischen Punkten und Ortsvektoren von der Wahl des Ursprungs abhängt!
Umgekehrt kann man jeden Vektorraum
als affinen Punktraum ansehen:
mit
ist die Abbildung, die zwei Punkten ihren Verbindungsvektor zuordnet.
Damit wird von vornherein ein Punkt des affinen Raumes ausgezeichnet,
nämlich der Nullvektor
des Vektorraums.
Im ersten Fall kann nach der Identifizierung eines Punktes mit seinem
Ortsvektor (abhängig von der Wahl des Ursprungs!), im zweiten Fall kann von
vornherein die Addition im Vektorraum
so aufgefasst werden, dass die Gruppe
als Abbildungsgruppe der Verschiebungen auf sich selbst als Menge von
Punkten operiert.
Aus diesen Gründen wird manchmal auf eine rigide Unterscheidung zwischen dem affinen Punktraum einerseits und dem Vektorraum der Verschiebungsvektoren andererseits verzichtet.
Beispiele
- Der
-dimensionale euklidische Raum
ist der affine Raum über einem
-dimensionalen euklidischen Vektorraum (also einem
-dimensionalen Vektorraum mit Skalarprodukt).
- Jeder Vektorraum kann als affiner Raum aufgefasst werden. Dadurch ist auch jeder affine Unterraum eines Vektorraums ein affiner Raum.
- Die Lösungen eines inhomogenen linearen Gleichungssystems bilden einen affinen Raum über dem Vektorraum der Lösungen des zugehörigen homogenen Systems. Das gilt analog auch für Systeme linearer Differentialgleichungen.
- In der Differentialgeometrie spielen affine Räume eine Rolle in der Theorie der Faserbündel. Beispiele sind die Fasern des affinen Tangentialbündels, des Zusammenhangsbündels und von Jetbündeln.
Verwendung in der algebraischen Geometrie
- In der klassischen algebraischen Geometrie ist der
-dimensionale affine Raum
über einem algebraisch abgeschlossenen Körper
die algebraische Varietät
.
- In der modernen algebraischen Geometrie ist der
-dimensionale affine Raum
über einem kommutativen Ring
mit Einselement definiert als das Spektrum des Polynomringes
in
Unbestimmten.
Für eine-Algebra
sind die
-wertigen Punkte von
gleich
.
Definitionen der synthetischen Geometrie
Ein affiner Raum im Sinne der synthetischen Geometrie besteht aus den folgenden Daten:
- einer Menge von Punkten,
- einer Menge von Geraden,
- einer Inzidenzrelation, die angibt, welche Punkte auf welchen Geraden liegen und
- einer Parallelitätsrelation, die angibt, welche Geraden parallel sind,
so dass gewisse Axiome erfüllt sind, die die Anschauung nahelegt (unter anderem Euklids berühmtes Parallelenaxiom).
Die so definierten Strukturen verallgemeinern den Begriff affiner Raum, der im vorliegenden Artikel definiert wird. So gilt:
- Jeder zweidimensionale affine Raum erfüllt die Forderungen an eine affine Ebene. Eine affine Ebene, die den Satz von Desargues erfüllt, bestimmt einen eindeutigen Schiefkörper, so dass sie geometrisch isomorph zum zweidimensionalen affinen Raum über diesem Schiefkörper ist.
- Jeder affine Raum erfüllt die Forderungen an eine affine Geometrie. Eine affine Geometrie, die mindestens dreidimensional ist (d.h., die eine affine Ebene als echten Teilraum enthält), erfüllt den Satz von Desargues und bestimmt einen eindeutigen Schiefkörper, so dass sie geometrisch isomorph zu einem mindestens dreidimensionalen Raum über diesem Schiefkörper ist.
- Jeder affine Raum ist ein schwach affiner Raum
- Jeder endliche, mindestens zweidimensionale affine Raum ist ein Blockplan.
→ Siehe für weitere Details die genannten Artikel, in denen die verallgemeinerten Strukturen beschrieben sind. Wie sich der Begriff „affiner Raum“ (als Raum mit Verschiebungen, die einen Vektorraum bilden) von den axiomatischen Begriffen der synthetischen Geometrie abgrenzen lässt, wird im Artikel Affine Geometrie genauer dargestellt.
Siehe auch
Literatur
- Gerd Fischer: Analytische Geometrie. 6., überarbeitete Auflage. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1992, ISBN 3-528-57235-3.
- Günter Pickert: Analytische Geometrie. 6., durchgesehene Auflage. Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig, Leipzig 1967.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.08. 2022