Fluchtgeschwindigkeit (Raumfahrt)
Bei der Fluchtgeschwindigkeit (oder Entweichgeschwindigkeit) reicht die kinetische Energie eines Probekörpers (z.B. einer Rakete) gerade aus, um dem Gravitationspotential eines Himmelskörpers ohne weiteren Antrieb (ballistisch) zu entkommen. Tabellierte Werte beziehen sich meist auf die Oberfläche von Himmelskörpern als Ausgangspunkt. Nicht berücksichtigt werden ggf. Luftreibung, der Geschwindigkeitsbeitrag durch die Rotation des Körpers und Beiträge anderer Himmelskörper zum Gravitationspotential. Die Fluchtgeschwindigkeit hängt nach dem Schalentheorem für einen kugelsymmetrischen Körper lediglich von dessen Masse und Radius ab.
Die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde heißt auch zweite kosmische Geschwindigkeit – die erste ist die Kreisbahngeschwindigkeit im niedrigen Orbit. Der Begriff kosmische Geschwindigkeit mit der Bedeutung sehr großer Geschwindigkeit entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit Meteoren. Zur Zeit des Wettlaufs zum Mond wurden die kosmischen Geschwindigkeiten gelegentlich auch astronautisch genannt.
Kreisbahngeschwindigkeit
Wenn sich ein Körper mit der Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn mit Radius um das Zentrum der Erde (oder eines anderen Himmelskörpers) bewegt, beträgt seine Zentripetalbeschleunigung . Im freien Fall wird sie ausschließlich von der Gravitation des Planeten verursacht, also:
Dabei ist die Gravitationskonstante und die Masse des Planeten. Die Kreisbahngeschwindigkeit ergibt sich durch Umstellen der obigen Gleichung zu:
Für die Erde ist 3,986·1014 m3/s2 und der mittlere Radius 6371 km. Damit ergibt sich die Kreisbahngeschwindigkeit als erste kosmische Geschwindigkeit zu = 7,91 km/s.
In etwa 180 km Höhe, also etwa an der Grenze der Erdatmosphäre, beträgt die Kreisbahngeschwindigkeit etwa 7,8 km/s.
Schon beim Raketenstart trägt die Erdrotation zur Kreisbahngeschwindigkeit bei, beim Start am Äquator in Richtung Osten ist dieser Beitrag etwa 0,46 km/s. Die erforderliche Energie sinkt um mehr als 10 %.
Fluchtgeschwindigkeit
Himmels- körper |
am Äquator in km/s |
---|---|
Merkur | 4,3 |
Venus | 10,2 |
Erde | 11,2 |
Mond | 2,3 |
Mars | 5,0 |
Jupiter | 59,6 |
Saturn | 35,5 |
Uranus | 21,3 |
Neptun | 23,3 |
Pluto | 1,1 |
Sonne | 617,3 |
Sonne im Erdabstand |
42,0 |
Die Fluchtgeschwindigkeit ist die Mindestgeschwindigkeit für eine offene, nicht zurückkehrende Bahn. Die kinetische Energie eines Probekörpers ist dann gleich seiner Bindungsenergie im Gravitationsfeld, also:
Umstellen nach ergibt:
Die Fluchtgeschwindigkeit ist also um den Faktor größer als die erste kosmische Geschwindigkeit.
Für Himmelskörper mit konstanter mittlerer Dichte und Radius skaliert mit , also linear mit . Nebenstehende Tabelle enthält Beispiele.
Alternative Berechnung der Fluchtgeschwindigkeit aus der Oberflächengravitationsbeschleunigung g und dem Radius des Objektes ohne Berücksichtigung der Rotationsgeschwindigkeit des Objektes:
In dem Wert 11,2 km/s für die Erde, der zweiten kosmischen Geschwindigkeit, ist wieder die Rotationsgeschwindigkeit der Erde nicht berücksichtigt. Auch muss für Flugbahnen zum Mond die Fluchtgeschwindigkeit nicht vollständig erreicht werden, denn L1 liegt nicht bei . Bei den Apollo-Missionen betrug die Geschwindigkeit beim Wiedereintritt 10,8 km/s.
Geometrische Bedeutung
Wenn ein Flugkörper, der sich auf einer Kreisbahn um einen Planeten befindet, einen Geschwindigkeitsschub in Flugrichtung erhält, so verformt sich seine Flugbahn zu einer Ellipse. Wird die Geschwindigkeit weiter erhöht, steigt die Exzentrizität der Ellipse an. Das geht so lange, bis der ferne Brennpunkt der Ellipse unendlich weit weg ist. Ab dieser Geschwindigkeit ist der Körper nicht mehr auf einer geschlossenen Bahn, sondern die Ellipse öffnet sich zu einer Parabelbahn. Dies geschieht genau dann, wenn der Flugkörper die zweite kosmische Geschwindigkeit erreicht.
Während sich der Körper von dem Planeten entfernt, wird er von dessen Gravitation weiterhin abgebremst, sodass er erst in unendlicher Entfernung zum Stillstand kommt. Wird hingegen die zweite kosmische Geschwindigkeit überschritten, so nimmt die Flugbahn die Form eines Hyperbel-Asts an – in diesem Fall bleibt im Unendlichen eine Geschwindigkeit übrig, die als hyperbolische Exzessgeschwindigkeit oder hyperbolische Überschussgeschwindigkeit bezeichnet wird und die Energie der Hyperbelbahn charakterisiert. Sie berechnet sich aus der Summe der Energien, also der Quadrate der Geschwindigkeiten, analog zur Berechnung im Folgeabschnitt. Ebenfalls üblich ist die Angabe des Quadrates der Geschwindigkeit (also Energie pro Masse), häufig mit dem Formelzeichen c3.
Fluchtgeschwindigkeit von einem Schwarzen Loch
In der allgemeinen Relativitätstheorie berechnet sich die radiale Fluchtgeschwindigkeit wie nach Newton, ist aber richtungsabhängig. Zudem ist die Kreisbahngeschwindigkeit höher als nach Newton, um den Faktor , mit . Erst mit steigendem Abstand vom Schwerpunkt konvergiert das Verhältnis von Flucht- und Kreisbahngeschwindigkeit gegen . Das hat seinen Grund darin, dass im Gravitationsfeld der Raum nicht euklidisch ist und der Umfang eines Kreises weniger als beträgt. Während die Fluchtgeschwindigkeit erst am Ereignishorizont des schwarzen Loches, bei , die Lichtgeschwindigkeit erreicht, ist die Kreisbahngeschwindigkeit schon bei (an der sogenannten Photonensphäre) gleich und bis größer als die radiale Fluchtgeschwindigkeit
Fluchtgeschwindigkeiten von weiteren Objekten
Als dritte kosmische Geschwindigkeit gilt die minimale Startgeschwindigkeit von der Erdoberfläche, mit der (bei Ausnutzen der Bahngeschwindigkeit der Erde um die Sonne, aber ohne Ausnutzen ihrer Eigenrotation und ohne Swing-by-Manöver an Planeten) das Sonnensystem verlassen werden kann. Der Flugkörper muss also das gemeinsame Gravitationsfeld von Erde und Sonne überwinden. Nach dem Start mit = 11,2 km/s und Verlassen der Einflusssphäre der Erde hat der Körper noch die hyperbolische Exzessgeschwindigkeit . Diese muss zusammen mit der Bahngeschwindigkeit der Erde die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sonnensystem im Abstand = 1 AE ergeben,
- .
Die zum Erreichen dieser Geschwindigkeit nötige Startgeschwindigkeit ergibt sich dann aus
bzw.
- .
Die Masse des Mondes und der anderen Planeten ist hier vernachlässigt worden; das Ergebnis würde sich kaum ändern.
Im Fall der Fluchtgeschwindigkeit aus der Milchstraße ist das Gravitationsfeld jedoch sehr deutlich kein Zentralfeld und ein beträchtlicher Teil der Masse liegt außerhalb der Bahn der Sonne um das galaktische Zentrum. Eine numerische Berechnung, die auch ein Modell für die Verteilung der Dunklen Materie berücksichtigt, ergibt eine Fluchtgeschwindigkeit von . Das ist erwartungsgemäß weit mehr als das -fache der Bahngeschwindigkeit der Sonne von rund 220 km/s.
Siehe auch
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de Seite zurück© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.11. 2019