Multiplizität
Unter Multiplizität oder Entartungsgrad versteht man in der Quantenmechanik die Anzahl der orthogonalen Zustände, die zu einer bestimmten Observablen einen bestimmten Eigenwert gemeinsam haben. Diese Zustände sind also entartete Eigenzustände zu dieser Observablen.
Ein Beispiel ist die Spinmultiplizität, die sich auf die Observable Gesamtspin einer Atomhülle bezieht. Im einfachsten Beispiel, dem Wasserstoffatom, kann das Elektron im Grundzustand einen von zwei orthogonalen Spinzuständen einnehmen. Ohne äußeres Magnetfeld haben die beiden Zustände denselben Eigenwert für die Energie und können also energetisch nicht unterschieden werden, d.h., sie bilden ein zweifach entartetes Energieniveau; die Multiplizität ist hier 2, das Niveau ist ein Dublett. In einem Magnetfeld spaltet das Niveau durch den Zeeman-Effekt in zwei Niveaus auf.
Ganz entsprechend heißt bei zwei Elektronen der Zustand mit Gesamtspin
Singulett, denn er spaltet nicht auf, und der Zustand mit Gesamtspin
Triplett, denn er spaltet im Magnetfeld 3fach auf.
Allgemein hat ein System mit Gesamtspin
die Spinmultiplizität
.
Die
unabhängigen Zustände (und alle ihre Linearkombinationen)
haben in vielen Fällen dieselbe Energie, unterscheiden sich aber z.B. in
der Orientierung des Spins bezüglich einer ausgezeichneten
Achse. Dies wird durch die
verschiedenen Eigenwerte
der z-Komponente des Spins ausgedrückt (siehe z.B. Richtungsquantelung
in einem Magnetfeld):
Ein Energieniveau
mit Spinmultiplizität
kann sich bei Auftreten zusätzlicher Wechselwirkungen in maximal
Niveaus aufspalten. In den Linienspektren
von Atomen führt dies zu einer Feinstruktur.
Spinquantenzahl |
magn. QZ des Spins |
Multiplizität |
Bezeichnung | Typ |
---|---|---|---|---|
0 | 0 | 1 | Singulett | Skalarboson |
1/2 | −1/2, +1/2 | 2 | Dublett | Fermion |
1 | −1, 0, +1 | 3 | Triplett | Vektorboson |
3/2 | −3/2, −1/2, +1/2, +3/2 | 4 | Quartett | Fermion |
2 | −2, −1, 0, +1, +2 | 5 | Quintett | Tensorboson |
Multiplizität von Atomen und Molekülen
Bei Systemen aus mehreren Elektronen und/oder Atomkernen wird zwischen der Spin-Multiplizität der Elektronen und der Spin-Multiplizität der Atomkerne unterschieden.
Multiplizität des Elektronenspins
Einelektronen-Systeme
Der Eigendrehimpuls eines Elektrons hat als Quantenzahl eines
Elementarteilchens mit dem Spin
projiziert auf eine beliebige Raumrichtung zwei mögliche Einstellungen: parallel
oder antiparallel. Es liegt demnach ein elektronischer Dublett-Zustand
vor. Die Multiplizität des Einelektronen-Systems ist
.
- Beispiel: Das Elektron eines einzelnen Wasserstoff-Atoms H• (So könnte es auch als Beispiel für ein Radikal mit null gepaarten Elektronen in der Tabelle unten stehen.)
Mehrelektronen-Systeme
Bei Atomen
(bzw. Ionen) mit
mehreren Elektronen und bei Molekülen
muss zunächst die Gesamtspin-Quantenzahl
des gesamten elektronischen Systems ermittelt werden. Für ein Atom mit
Elektronen ist
gegeben durch
wobei
die Spinquantenzahl des i-ten Elektrons ist. Da die individuellen Spins
gepaarter Elektronen aufgrund entgegengesetzter Ausrichtung nicht zum Gesamtspin
beitragen, reicht es aus, die ungepaarten Elektronen zu zählen. Ihre
individuellen Spin-Quantenzahlen
addieren sich zur Gesamtspin-Quantenzahl
Als einfaches Beispiel kann das Heliumatom
als 2-Elektronensystem dienen, dafür sind die Zustände
als Singulett (Parahelium) und
als Triplett (Orthohelium) möglich.
System | Beispiel | Elektronen im Grundzustand | Gesamtspin-Quantenzahl |
Multiplizität |
Grundzustand | |
---|---|---|---|---|---|---|
gepaart | ungepaart | |||||
die meisten Moleküle | Wasserstoff-Molekül H-H | alle (hier 1x2) |
0 | 0/2 = 0 | 2x0+1 = 1 | Singulett |
Radikale | Stickstoffmonoxid •N=O bzw. N-O• | hier 5x2 | 1 | 1/2 | 2x(1/2)+1 = 2 | Dublett |
Biradikale | Sauerstoff-Molekül •O-O• | hier 5x2 | 2 | 2/2 = 1 | 2x1+1 = 3 | Triplett |
Metallionen,
vor allem der Nebengruppe, und Komplexe |
…x2 | Triplett, Quartett, … |
Der Zahlenwert der Multiplizität wird in den Termsymbolen links hochgestellt angegeben, die häufig zur Kennzeichnung der Quantenzustände von Atomen und Molekülen verwendet werden.
- Beispiel: Für Wasserstoffatome (H) im Grundzustand ist das Termsymbol 2S1/2 (Multiplizität 2).
Bedeutung: Auswahlregeln, Interkombinationsverbot
Die Spinmultiplizität spielt eine wichtige Rolle für die Auswahlregeln in der Spektroskopie bei Mehrelektronensystemen. So erfolgen elektrische Übergänge besonders gut, wenn die Kopplung der Spins und damit die Multiplizität erhalten bleibt (erlaubter Übergang, z.B. Fluoreszenz aus dem ersten angeregten Singulett-Zustand in den Singulett-Grundzustand).
Dagegen gelten Prozesse, bei denen sich die Multiplizität ändert (Interkombination), nach dem in der Spektroskopie üblichen Sprachgebrauch als verboten (Interkombinationsverbot). Genauer ist damit ausgedrückt, dass sie meist nur in geringem Ausmaß bzw. „langsam“ (d.h. statistisch selten) stattfinden, wie z.B. in der Phosphoreszenz (Übergang aus dem tiefsten angeregten Triplett-Zustand in den Singulett-Grundzustand).
Multiplizität des Kernspins
Der Spin der Nukleonen und ihr Bahndrehimpuls ergeben den Gesamtspin
des Kerns. Dieser wird meist als Kernspin bezeichnet, obwohl auch die
Bahndrehimpulse der Nukleonen beitragen.
Der Gesamtdrehimpuls des Atoms – auch als Atomspin bezeichnet – ergibt sich aus
Kerndrehimpuls
und Hüllendrehimpuls
und kann die Werte
annehmen, sodass die Multiplizität
für
und
für
ist.
Literatur
- Walter Greiner: Theoretische Physik: Quantenmechanik – Einführung. Harri Deutsch Verlag, 2005, ISBN 978-3-8171-1765-9.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 10.12. 2023