Kolmogoroff-Raum
In der Topologie
und verwandten Gebieten der Mathematik
ist ein Kolmogoroff-Raum (benannt nach dem Mathematiker
Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow),
auch T0-Raum genannt, ein topologischer
Raum, in dem es keine zwei verschiedenen Punkte gibt, die topologisch
ununterscheidbar sind. Anschaulich gesprochen enthalten Kolmogoroff-Räume
niemals mehrere Punkte am gleichen Ort, während die allgemeine Definition
eines topologischen Raums dies erlaubt. Die Eigenschaft, ein Kolmogoroff-Raum zu
sein, wird auch -Axiom
genannt und ist eines der üblichen Trennungsaxiome.
Topologische Unterscheidbarkeit
Um
zu definieren, führen wir zuerst das Konzept der topologischen
Unterscheidbarkeit ein. In einem topologischen
Raum
heißen zwei Punkte
und
topologisch nicht unterscheidbar, falls eine der folgenden äquivalenten
Bedingungen erfüllt ist:
und
besitzen die gleichen Umgebungen, d.h. jede offene Menge
enthält genau dann
, wenn sie
enthält.
ist ein Element des Abschlusses von
und
gehört zum Abschluss von
.
und
haben dieselben Abschlüsse.
Andernfalls heißen
und
topologisch unterscheidbar. Topologisch ununterscheidbare Punkte haben
dieselben topologischen Eigenschaften, das heißt alle Eigenschaften eines
Punktes, die sich mittels der Topologie des Raums definieren lassen, gelten
gleichermaßen für topologisch ununterscheidbare Punkte (denn die Vertauschung
zweier topologisch ununterscheidbarer Punkte ist ein Automorphismus, also
ein Homöomorphismus
in sich selbst). Die topologische Ununterscheidbarkeit geht jedoch über diese
Eigenschaft hinaus: Auch anhand beliebiger Beziehungen zwischen den
beiden Punkten, die sich durch die Umgebungen ausdrücken lassen, lässt sich die
Ungleichheit nicht feststellen, was unmittelbar aus der Definition folgt. Das
Vorhandensein zusätzlicher topologisch ununterscheidbarer Punkte beeinflusst
nicht maßgeblich die Struktur des Raumes. Topologische Ununterscheidbarkeit ist
erhalten unter stetigen
Abbildungen, die Unterscheidbarkeit unter stetigen Urbildern.
Beispiel: In einem topologischen Raum, der mit der indiskreten Topologie ausgestattet ist, sind zwei beliebige Punkte topologisch nicht unterscheidbar.
Definition
Ein topologischer Raum
ist ein
-Raum,
wenn jedes Paar von verschiedenen Punkten topologisch unterscheidbar ist.
Topologisch unterscheidbare Punkte sind automatisch ungleich und gleiche Punkte topologisch ununterscheidbar.
Eine weitere äquivalente Definition ist:
ist genau dann ein
-Raum,
wenn für zwei beliebige Punkte in
eine offene Menge in
existiert, die genau einen der beiden Punkte enthält. Im Gegensatz zur analogen
Charakterisierung eines T₁-Raumes
kann nicht vorausgesagt werden, welcher der beiden Punkte zur offenen Menge
gehört.
Kolmogoroff-Quotientenraum
Fast alle topologischen Räume, die in der Mathematik studiert werden,
erfüllen das Axiom .
Für den Fall, dass einem trotzdem ein topologischer Raum begegnet, der
nicht erfüllt, kann der Raum oft, besonders in der Analysis,
durch einen
-Raum
ersetzt werden. Dies erweist sich in vielen Fällen als nützlich. Die folgenden
Ausführungen präzisieren dies: Bei einer gegebenen Menge
,
wo aber die Möglichkeit, die Topologie in gewissen Grenzen zu variieren,
existiert, kann es unerwünscht sein, die Topologie zu zwingen
zu sein, da nicht
-Räume
oft wichtige Spezialfälle sind. So ist es wichtig, von verschiedenen Bedingungen
an Topologien jeweils sowohl die Version mit als auch ohne
zu kennen.
Motivierendes Beispiel
Um die allgemeinen Ideen zu motivieren, beginnen wir mit einem bekannten
Beispiel. Der Raum
besteht aus allen messbaren
Funktionen
,
so dass das Lebesgue-Integral
von
über
endlich ist. Durch die Definition
wird dieser Raum mit einer Halbnorm
ausgestattet. Man möchte aber lieber einen normierten
Vektorraum erhalten. Das Problem ist, dass von der Nullfunktion verschiedene
Funktionen existieren, die die Halbnorm 0 haben (Verletzung der
Definitheitsforderung). Die Standardlösung ist es nun, zu einem Raum
von Äquivalenzklassen
überzugehen. Dies ergibt einen Faktorraum
des ursprünglichen Vektorraumes, und dieser Faktorraum ist ein normierter Raum,
der aber verschiedenste Eigenschaften des halbnormierten
Raumes erbt.
Sowohl bei der Problemstellung als auch bei der Lösung sind in erster Linie die durch die Norm und Halbnorm erzeugten Topologien involviert. Eine Funktion mit Halbnorm 0 ist von der Nullfunktion topologisch nicht unterscheidbar. Die miteinander identifizierten Funktionen sind genau die im ursprünglichen halbnormierten Raum topologisch nicht unterscheidbaren „Punkte“ (hier Funktionen).
Definition
Topologische Nichtunterscheidbarkeit ist eine Äquivalenzrelation. Egal mit
welchem topologischen Raum
wir starten, der Quotientenraum
unter dieser Äquivalenzrelation ist ein T0-Raum. Dieser Quotient
heißt Kolmogoroff-Quotient von
;
er wird mit
bezeichnet. Falls
bereits ein
-Raum
war, sind
und
homöomorph.
Zwei topologische Räume heißen kolmogoroff-äquivalent, falls ihre
Kolmogoroff-Quotienten homöomorph sind. Das Interessante an
Kolmogoroff-Äquivalenz ist, dass viele Eigenschaften von topologischen Räumen
unter dieser Äquivalenz erhalten bleiben, das heißt für zwei
kolmogoroff-äquivalente Räume keiner oder beide eine solche Eigenschaft
besitzen. Andererseits folgt aus verschiedenen anderen Eigenschaften
topologischer Räume das -Axiom,
das heißt, wenn ein Raum eine solche Eigenschaft erfüllt, so ist er ein
-Raum.
Es existieren nur wenige Ausnahmen, so zum Beispiel die Eigenschaft, ein
indiskreter Raum zu sein. Oft ist die Situation noch komfortabler, denn viele mathematische
Strukturen auf topologischen Räumen übertragen sich von
auf
und umgekehrt. Das bedeutet, dass wenn man einen Raum ohne
hat, kann man mit dem Kolmogoroff-Quotienten
einen
-Raum
mit derselben Struktur und denselben Eigenschaften konstruieren.
Das Beispiel
(siehe Lp-Raum) kann als Demonstration
dieser Möglichkeit dienen. Aus topologischer Sicht hat der halbnormierte Raum,
mit dem wir gestartet sind, viele zusätzliche Strukturen. So ist
ein Vektorraum mit einer
Halbnorm. Diese definiert eine Semimetrik
und eine mit der Topologie verträglichen uniforme Struktur.
Diese Struktur besitzt weitere Eigenschaften. So erfüllt die Seminorm die Parallelogrammgleichung
und die uniforme Struktur ist vollständig.
Der Kolmogoroff-Quotient, ebenfalls mit
bezeichnet, behält diese Eigenschaften.
ist ebenfalls ein vollständiger, halbnormierter Raum, dessen Halbnorm die
Parallelogrammgleichung erfüllt. Wir erhalten aber sogar etwas mehr, denn der
Raum ist ein T0-Raum. Da ein halbnormierter Raum, genau dann ein
normierter Raum ist, wenn die unterliegende Topologie T0 erfüllt, ist
ein vollständiger normierter Raum, dessen Norm die Parallelogrammgleichung
erfüllt. Solche Räume heißen Hilbert-Räume.
Wir haben es hier mit einem Beispiel zu tun, das sowohl in der Mathematik als auch in der
Physik,
speziell in der Quantenmechanik,
untersucht wird.
Entfernen von T0
Wenn man die historische Entwicklung untersucht, wird man feststellen, dass
obwohl die Norm zuerst definiert wurde, später die schwächere Halbnorm
eingeführt wurde, also eine nicht--Variante
einer Norm. Es ist allgemein möglich, solche nicht-
-Versionen
sowohl für Eigenschaften als auch Strukturen für topologische Räume einzuführen.
Beginnen wir mit der Eigenschaft eines topologischen Raumes, ein Hausdorff-Raum zu sein.
Man kann eine weitere Eigenschaft eines topologischen Raume definieren, indem
man sagt, dass der Raum
genau dann diese Eigenschaft erfüllt, wenn der Kolmogoroff-Quotient
ein Hausdorff-Raum
ist. Dies ist durchaus eine sinnvolle Definition, auch wenn sie weniger bekannt
ist. Solch einen Raum nennt man präregulären
Raum. (Die Präregularität lässt sich auch direkt innerhalb des Raums
definieren: Zwei beliebige topologisch unterscheidbare Punkte sind durch
Umgebungen getrennt.) Nehmen wir nun eine Struktur, die auf einen topologischen
Raum gelegt werden kann, wie zum Beispiel eine Metrik.
Wir können eine neue Struktur auf einen topologischen Raum legen, indem wir auf
eine Metrik definieren. Auch hier erhalten wir eine bekannte Struktur, nämlich
eine Pseudometrik. (Diese
erlaubt verschiedene Punkte mit dem Abstand null.)
Dies ergibt einen natürlichen Weg, die Eigenschaft
von den Anforderungen an eine Eigenschaft oder einer Struktur zu entfernen. Im
Allgemeinen ist es einfacher, Räume zu untersuchen, die
erfüllen, aber es kann andererseits auch nützlich sein, Räume ohne T0
miteinzubeziehen, um über Stellvertreter des Kolmogoroff-Quotienten direkt als
Punkte reden zu können. Je nach Bedarf kann die Eigenschaft
mit Hilfe des Kolmogoroff-Quotienten hinzugefügt oder entfernt werden.
Kategorielle Eigenschaften
Der Kolmogoroff-Quotient ist ein kovarianter, voller, wesentlich surjektiver Funktor von der Kategorie Top der topologischen Räume in die Kategorie Top₀ der Kolmogoroff-Räume.
Der Kolmogoroff-Quotient ist eine Linksadjunktion der kanonischen Einbettung von Top₀ in Top.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 13.01. 2023