Partielle Integration
Die partielle Integration (teilweise Integration, Integration durch Teile, lat. integratio per partes), auch Produktintegration genannt, ist in der Integralrechnung eine Möglichkeit zur Berechnung bestimmter Integrale und zur Bestimmung von Stammfunktionen. Sie kann als Analogon zur Produktregel der Differentialrechnung aufgefasst werden. Der Gaußsche Integralsatz aus der Vektoranalysis mit einigen seiner Spezialfälle ist eine Verallgemeinerung der partiellen Integration für Funktionen mehrerer Variablen.
Regel der partiellen Integration
Ist
ein Intervall
und sind
zwei stetig
differenzierbare Funktionen auf
,
dann gilt
Diese Regel wird partielle Integration genannt.
Ihren Namen hat sie erhalten, weil bei ihrer Anwendung nur ein Teil des
Integrals auf der linken Seite des Gleichheitszeichens bestimmt wird, nämlich
,
und der zweite Ausdruck, nämlich
,
noch ein Integral beinhaltet. Diese Regel ist daher dann sinnvoll anzuwenden,
wenn die Stammfunktion
zu
bekannt, beziehungsweise leicht zu berechnen ist, und wenn der Integralausdruck
auf der rechten Seite einfacher zu berechnen ist.
Beispiel
Als Beispiel wird das Integral
betrachtet, wobei
der natürliche Logarithmus ist.
Setzt man
und
,
so erhält man
und
.
Dies ergibt dann
Weitere Beispiele sind im Abschnitt Unbestimmte Integrale und partielle Integration dieses Artikels zu finden. Im Unterschied zu diesem Beispiel werden dort nur unbestimmte Integrale berechnet. Das heißt, dass an den Integralen keine Grenzen stehen, die dann, wie hier im Beispiel geschehen, im letzten Schritt in die Funktion eingesetzt werden.
Geschichte
Eine geometrische Form der Regel der partiellen Integration findet sich schon in Blaise Pascals Arbeit Traité des Trilignes Rectangles et de leurs Onglets (Abhandlung über Kurvendreiecke und ihre ‚adjungierten Körper‘), die 1658 als Teil des Lettre de A. Dettonville à M. Carcavy erschien. Da zu jener Zeit der Integralbegriff noch nicht geprägt war, wurde diese Regel nicht mittels Integralen, sondern durch Summation von Infinitesimalen beschrieben.
Gottfried Wilhelm Leibniz, der zusammen mit Isaac Newton als der Erfinder der Differential- und Integralrechnung gilt, bewies die in moderner Notation lautende Aussage
Sie ist ein Spezialfall der Regel zur partiellen Integration. Leibniz nannte diese Regel Transmutationstheorem und teilte sie Newton in seinem Brief mit, den er als Antwort auf die epistola prior, den ersten Brief Newtons, nach England schickte. Mithilfe dieses Theorems untersuchte Leibniz den Flächeninhalt eines Kreises und konnte die Formel
beweisen. Sie wird heute Leibniz-Reihe genannt.
Unbestimmte Integrale und partielle Integration
Die partielle Integration kann auch dafür verwendet werden, um unbestimmte Integrale zu berechnen – also um Stammfunktionen zu bestimmen. Dazu werden in der Regel zur partiellen Integration die Integralgrenzen gestrichen, daher muss nun die Integrationskonstante beachtet werden.
Regel
Seien
und
zwei stetig
differenzierbare Funktionen und ist die Stammfunktion von
bekannt, dann kann mit der Regel zur partiellen Integration
eine Stammfunktion zu
gefunden werden.
Beispiele
In diesem Abschnitt wird an zwei Beispielen aufgezeigt, wie mit Hilfe der partiellen Integration eine Stammfunktion ermittelt wird. Im ersten Beispiel wird keine Stammfunktion bestimmt. Dieses Beispiel zeigt auf, dass beim Bestimmen einer Stammfunktion mit der partiellen Integration auch auf die Integrationskonstante geachtet werden muss. Im zweiten Beispiel wird die Stammfunktion des Logarithmus und im dritten Beispiel wird eine Stammfunktion zu einer gebrochenrationalen Funktion bestimmt.
Kehrwertfunktion
In diesem Beispiel wird das unbestimmte Integral von
betrachtet und partiell integriert. Obgleich nicht hilfreich zur
konkreten Bestimmung der Stammfunktion von
,
verdeutlicht es doch, dass auf die Integrationskonstante geachtet werden muss.
Es gilt
Im Sinne unbestimmter Integrale ist diese Gleichung richtig, denn die
Funktionen
und
sind beide Stammfunktionen der Funktion
.
Würde man diesen Ausdruck als bestimmtes Integral mit den Grenzen
betrachten, so würde der mittlere (der integralfreie) Term wegfallen, denn es
gilt
.
Logarithmusfunktion
Steht nur ein Term im Integrand, auf dessen Stammfunktion ohne Tabellenwert
nicht ohne weiteres zu schließen ist, kann man gelegentlich durch Einfügen des
Faktors
partiell integrieren. Dies funktioniert beispielsweise bei der Logarithmusfunktion
.
Um die Stammfunktion von
zu bestimmen, wird bei der partiellen Integration der Logarithmus differenziert
und von der Eins-Funktion die Stammfunktion gebildet. Es gilt also
Produkt von Sinus- und Kosinusfunktion
Manchmal kann man es sich zunutze machen, dass nach mehreren Schritten der partiellen Integration das ursprüngliche Integral auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens wiederkehrt, welches man dann durch Äquivalenzumformung mit dem ursprünglichen Integral auf der linken Seite zusammenfassen kann.
Als Beispiel wird das unbestimmte Integral
berechnet. Dazu setzt man
und
,
so ergibt sich
und
und man erhält
.
Addiert man auf beiden Seiten der Gleichung das Ausgangsintegral, folgt
.
Wird nun auf beiden Seiten durch 2 dividiert, so ergibt sich
und man hat eine Stammfunktion gefunden. Alle Stammfunktionen sehen daher so aus:
.
Vertauscht man bei der partiellen Integration die Rollen von
und
,
so ergibt sich analog
.
was man auch durch Einsetzen von
in die zuerst gefundene Formel erhält. Man kann daher mit gleicher Berechtigung
sowohl
als auch
als Stammfunktion angeben, beide unterscheiden sich nur durch eine
Konstante.
Produkt von Polynom- und Exponentialfunktion
Bei manchen unbestimmten Integralen bietet es sich an, für
einen Term zu wählen, der sich bei der Integration nicht oder nur unwesentlich
verändert, beispielsweise die natürliche
Exponentialfunktion oder die trigonometrischen
Funktionen.
Als Beispiel wird das unbestimmte Integral
betrachtet. Setzt man bei jedem partiellen Integrationsschritt
und für
den übrigen Term unter dem Integral, so ergibt sich
Herleitung
Die Produktregel aus der Differentialrechnung
besagt, dass für zwei stetige differenzierbare Funktionen
und
die Gleichheit
gilt und mittels Termumformung folgt
Mittels des Hauptsatzes der Integral- und Differentialrechnung folgt
woraus sich die Regel
zur partiellen Integration ergibt.
Mehrdimensionale partielle Integration
Die partielle Integration in mehreren Dimensionen ist ein Sonderfall des Gaußschen
Integralsatzes: Sei
kompakt mit
abschnittsweise glattem Rand
.
Der Rand sei orientiert durch ein äußeres Normalen-Einheitsfeld
.
Sei ferner
ein stetig
differenzierbares Vektorfeld
auf einer offenen Umgebung von
und
ein stetig differenzierbares Skalarfeld
auf
.
Dann gilt
mit der Abkürzung .
Dann folgt die Verallgemeinerung der partiellen Integration in mehreren
Dimensionen
.
Regel der partiellen Integration für Stieltjesintegrale
Es seien
und
zwei Funktionen von finiter Variation, dann gilt
bzw. anders geschrieben
.
Schwache Ableitung
In der Theorie der partiellen Differentialgleichungen wurde mittels der Methode der partiellen Integration eine Verallgemeinerung der Ableitung einer differenzierbaren Funktion gefunden.
Betrachtet man eine auf einem offenen Intervall
(klassisch) differenzierbare Funktion
und eine beliebig oft differenzierbare Funktion
mit kompaktem
Träger
in
,
dann gilt
.
Hierbei wurde die partielle Integration eingesetzt. Der Randterm, also der
Term ohne Integral, fehlt, da die Funktion
eben einen kompakten Träger hat und daher
und
gilt.
Wird die Funktion
nun als eine
-Funktion
gewählt, dann kann, selbst wenn
nicht differenzierbar ist (genauer: keinen differenzierbaren Vertreter in der
Äquivalenzklasse besitzt), eine Funktion
existieren, die die Gleichung
für jede Funktion
erfüllt. Eine solche Funktion
heißt schwache Ableitung von
.
Die so entstehende Menge von schwach differenzierbaren
-Funktionen
ist ein Vektorraum und er gehört zur
Klasse der Sobolev-Räume.
Die glatten Funktionen mit kompaktem Träger, deren Vektorraum mit
bezeichnet wird, heißen Testfunktionen.
Existiert jedoch keine Funktion
mit der geforderten Bedingung, so kann immer eine Distribution
gefunden werden, so dass obige Bedingung im Distributionensinn erfüllt ist. Dann
heißt
die Distributionenableitung
von
.
Siehe auch
- Integration durch Substitution, eine weitere wichtige Regel zur Berechnung von Integralen
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 17.11. 2020