Ideales Fermigas
Als Fermigas (nach Enrico Fermi, der es 1926 erstmals vorstellte) bezeichnet man in der Quantenphysik ein System identischer Teilchen vom Typ Fermion, die in so großer Anzahl vorliegen, dass man sich zur Systembeschreibung auf statistische Aussagen beschränken muss. Im Unterschied zum Gas in der klassischen Physik gilt hier das quantentheoretische Ausschließungsprinzip.
Das ideale Fermigas ist eine Modellvorstellung hierzu, in der man die gegenseitige Wechselwirkung der Teilchen völlig vernachlässigt, analog zum idealen Gas in der klassischen Physik. Dies stellt eine starke Vereinfachung dar, vereinfacht aber die Formeln so, dass in vielen praktisch wichtigen Fällen physikalisch korrekte Voraussagen gemacht werden können, z.B. für
- das Elektronengas, das in metallischen Festkörpern und Halbleitern für die elektrische Leitfähigkeit sorgt
- Protonen und Neutronen im Atomkern
- Neutronen in Neutronensternen
- flüssiges Helium-3.
Grundzustand (verschwindende Temperatur)
Da wegen des Ausschließungsprinzips nur wenige Teilchen das (Einteilchen-)Niveau mit der
tiefstmöglichen Energie (als
gesetzt) besetzen können, müssen im energetisch
tiefstmöglichen Zustand des ganzen Gases die meisten der Teilchen höhere
Niveaus besetzen. Die Energie des höchsten besetzten Niveaus wird als Fermi-Energie
bezeichnet. Sie hängt ab von der Teilchendichte
(Anzahl pro Volumen):
Darin ist
das (durch
geteilte) Plancksche Wirkungsquantum
die Teilchenmasse.
Die Formel gilt für Teilchen mit Spin
wie z.B. Elektronen und wird in der Quantenstatistik
begründet.
Bei einer räumlichen Dichte von 1022 Teilchen pro cm3 (etwa wie Leitungselektronen im Metall) ergibt sich die Fermienergie zu einigen Elektronenvolt. Das liegt in derselben Größenordnung wie die Energie atomarer Anregungen und wirkt sich deutlich auf das makroskopische Verhalten des Gases aus. Man spricht dann von einem entarteten Fermigas. Die Fermienergie bildet sein hervorstechendes Charakteristikum, das weitreichende Konsequenzen für die physikalischen Eigenschaften der (kondensierten) Materie hat.
Nur in extrem verdünntem Fermigas ist die Fermienergie zu vernachlässigen. Es verhält sich dann „nicht entartet“, d.h. wie ein normales (klassisches) verdünntes Gas.
Vereinfachte Herleitung
Wenn ein Gas aus
Teilchen in einem räumlichen Volumen
(mit potenzieller
Energie Null) den Grundzustand einnimmt, dann werden von unten an so viel
Zustände mit verschiedener kinetischer
Energie
besetzt, bis alle Teilchen untergebracht sind. Die höchste so erreichte Energie
ist
,
worin
als Fermi-Impuls bezeichnet
wird. Im dreidimensionalen Impulsraum
kommen dann alle Teilchenimpulse zwischen
und
vor, und zwar in allen Richtungen. Sie bilden eine Kugel mit Radius
und Volumen
bzw. Fermi-Kugel
mit Radius
und Volumen
.
Wären die Teilchen Massepunkte,
würden sie in ihrem 6-dimensionalen Phasenraum
das Volumen
füllen. Für Teilchen mit Spin
ist mit der Spin-Multiplizität
zu multiplizieren. Da jeder (linear unabhängige) Zustand im Phasenraum eine
Zelle von der Größe
beansprucht, ergeben sich
verschiedene Zustände, die je eins der
Teilchen aufnehmen können (Besetzungszahl 1):
Durch Umrechnen auf
und Einsetzen von
folgt die oben genannte Formel.
Angeregter Zustand (endliche Temperatur)
Wird einem idealen Fermigas bei der in Wirklichkeit nicht erreichbaren, also
hypothetischen Temperatur T=0 K (→ Dritter
Hauptsatz der Thermodynamik) Energie zugeführt, müssen Teilchen aus Niveaus
unterhalb der Fermienergie in Niveaus oberhalb übergehen. Im thermischen
Gleichgewicht bildet sich für die Niveaus ein Verlauf der Besetzungszahlen heraus,
der stetig von Eins auf Null abfällt. Dieser Verlauf, der große Bedeutung in
verschiedenen physikalischen Gebieten hat, heißt Fermi-Verteilung oder
Fermi-Dirac-Verteilung. Die mittlere Besetzungszahl
eines Zustands
mit der Energie
ist:
Hierbei ist
das Fermi-Niveau oder chemische Potential
die Temperatur und
die Boltzmannkonstante.
Die Fermi-Verteilung kann im Rahmen der statistischen Physik mit Hilfe der großkanonischen Gesamtheit hergeleitet werden.
Vereinfachte Herleitung
Eine einfache Herleitung unter Rückgriff auf die klassische Boltzmann-Statistik, das Prinzip des detaillierten Gleichgewichts und des Ausschließungsprinzips folgt hier:
Betrachten wir den Gleichgewichtszustand eines Fermigases bei Temperatur
T im thermischen Kontakt mit einem klassischen Gas. Ein Fermion mit
Energie
kann dann von einem Teilchen des klassischen Systems Energie aufnehmen und in
einen Zustand mit Energie
übergehen. Wegen der Energieerhaltung ändert das klassische Teilchen seinen
Zustand im umgekehrten Sinn von
zu
,
wobei
.
Die Besetzungszahlen sind
bzw.
für die beiden Zustände des Fermions,
bzw.
für die beiden Zustände des klassischen Teilchens. Damit diese Prozesse die
Gleichgewichtsverteilung nicht ändern, müssen sie vorwärts und rückwärts mit
insgesamt gleicher Häufigkeit auftreten. Die Häufigkeit (oder gesamte
Übergangsrate) bestimmt sich aus dem Produkt der Übergangswahrscheinlichkeit
,
wie sie für einzelne Teilchen gilt, wenn keine anderen Teilchen da wären, mit
statistischen Faktoren, die die Anwesenheit der anderen Teilchen
berücksichtigen:
In Worten: Die Gesamtzahl der Übergänge eines Fermions von
nach
(linke Seite der Gleichung) ist proportional zur Anzahl von Fermionen im Zustand
1, zur Anzahl der Reaktionspartnerteilchen im Zustand 2', und – damit das
Ausschließungsprinzip berücksichtigt wird – zur Anzahl der freien Plätze
für das Fermion im Zustand 2. Analog für die Rückreaktion (rechte Seite der
Gleichung). Da nach dem Prinzip des detaillierten Gleichgewichts
für Hin- und Rücksprung den gleichen Wert hat (
),
sind auch die statistischen Faktoren für sich gleich. Nun gilt für die
klassischen Teilchen der Boltzmannfaktor
Durch Einsetzen dieser Beziehung und Verwenden der oben genannten Gleichung
folgt:
Diese Größe hat demnach für beide Zustände des Fermions denselben Wert. Da
die Wahl dieser Zustände frei war, gilt diese Gleichheit für alle möglichen
Zustände, stellt also eine für alle Einteilchenzustände im ganzen Fermigas
konstante Größe dar, die wir mit
parametrisieren:
Aufgelöst nach n folgt:
Der Parameter
dieser Herleitung erweist sich somit als das Fermi-Niveau.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 08.08. 2022