Stoß (Physik)
Ein Stoß ist ein Vorgang, bei dem zwei oder mehr Körper kurzzeitig Kraft aufeinander ausüben. Als Folge ändern die Körper ihren Bewegungszustand, möglicherweise auch ihre Form und Zusammensetzung. In einem Inertialsystem gilt für alle Stöße der Impulserhaltungssatz – die Summe aller Impulsvektoren bleibt konstant. Auch die Energieerhaltung spielt eine Rolle; sie umfasst aber nicht nur die mechanischen Energieformen, wie inelastische und reaktive Stöße zeigen.
Die grundlegenden Stoßgesetze und ihre mathematische Beschreibung wurden in der Zeit zwischen 1651 und 1655 von Christiaan Huygens aufgestellt unter Verwendung des Galileischen Relativitätsprinzips (siehe Galilei-Transformation). Ihre empirische Gültigkeit ist wesentlich für den Begriff der trägen Masse.
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Einteilung mechanischer Stoßprozesse
Am Berührpunkt der zwei Körper lässt sich eine Tangentialebene
anlegen, die als Berührebene bezeichnet wird. Die zugehörige Normalgerade bildet die
Stoßlinie. Die Massen
der beiden Körper seien
und
,
ihre Anfangsgeschwindigkeiten
und
,
die Endgeschwindigkeiten
und
.
Die Geschwindigkeit des Schwerpunktes der beiden Massen sei
.
Sie bleibt vor, bei und nach dem Stoß konstant.
Man unterscheidet zwei ideale Grenzfälle, den elastischen Stoß und den plastischen Stoß (auch inelastisch oder unelastisch). Beim elastischen Stoß wird kinetische Energie von Körper zu Körper weitergegeben, bleibt aber insgesamt als kinetische Energie erhalten, denn sie stoßen sich voneinander weg. Beim plastischen Stoß geht dagegen ein Teil der kinetischen Energie in innere Energie über und die Körper stoßen sich nicht voneinander ab. Darum besitzen am Ende beide dieselbe Geschwindigkeit. Alle Zwischenstufen nennt man realer Stoß.
Bei einem geraden Stoß verlaufen die beiden Impulsvektoren parallel zur Stoßlinie, ansonsten handelt es sich um einen schiefen Stoß. Liegt der gemeinsame Schwerpunkt der beiden Körper auf der Stoßlinie, so spricht man von einem zentralen Stoß, andernfalls von einem exzentrischen Stoß.
Darüber hinaus grenzt sich der glatte Stoß vom unglatten Stoß (auch rauer Stoß oder Reibungsstoß) ab. Beim Reibungsstoß treten Reibungskräfte an der Berührungsfläche auf und die Impulsübertragung erfolgt nicht mehr senkrecht zur Berührebene. Zur weiteren Analyse – unter Betrachtung auch der Rotationsenergie und des Drehimpulses – eignet sich eine Vektorzerlegung in die Tangential- und Normalkomponente.
- Einteilung
-
gerader, zentraler, elastischer Stoß
-
dito, Schwerpunkt bewegt sich quer zur Stoßrichtung
-
exzentrischer Stoß
-
rauer Stoß
Vereinfachend wird für die folgenden Berechnungen angenommen, dass der Stoß in unendlich kurzer Zeit abläuft und sich währenddessen die Positionen der Stoßpartner nicht verändern. Die Geschwindigkeiten der Stoßpartner ändern sich sprunghaft. Des Weiteren wird die freie Beweglichkeit der Stoßpartner vorausgesetzt, sodass nur geradlinige Bewegungen stattfinden.
Elastischer Stoß
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Beim ideal elastischen oder vollelastischen Stoß stoßen zwei Körper aufeinander, ohne dass dabei Energie in innere Energie, beispielsweise Wärme oder Deformation, umgewandelt wird. Nach dem Energieerhaltungssatz ist die Summe der Bewegungsenergien (= der kinetischen Energien) vor dem Stoß genau so groß wie nach dem Stoß. Dasselbe gilt nach dem Impulserhaltungssatz auch für die vektorielle Summe der Impulse.
Bei makroskopischen Objekten ist der ideale elastische Stoß eine Modellvorstellung, die in der Realität nicht erreicht wird. Aufgrund von Reibung und ähnlichen Einflüssen geht kinetische Energie verloren. Sehr nahe am Modell sind jedoch beispielsweise Billardkugeln oder ein Gummiball, da diese im Regelfall so gut wie keine plastische Verformung erfahren.
Bei Atomen und/oder Elementarteilchen hingegen ist der ideale elastische Stoß häufig. Er ist sogar der einzige mögliche Prozess, wenn die kinetische Energie (im Schwerpunktsystem) kleiner ist als die Mindestenergie, die für eine innere Anregung eines der Teilchen oder eine Umwandlung der Teilchen benötigt wird (siehe auch Kinematik (Teilchenstoß)).
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Es folgt die Berechnung des elastischen Stoßes nach der klassischen
Mechanik, d.h., die Geschwindigkeiten
vor bzw. nach dem Stoß liegen weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit. Nach der
Definition von „elastisch“ muss die Summe der kinetischen Energie vor und nach
dem Stoß gleich hoch sein:
Zugleich gilt für alle Arten von Stößen der vektorielle Impulserhaltungssatz:
Die letzte Zeile bedeutet, dass die vektoriellen Impulsänderungen entgegengesetzt gleich sind. Daraus folgt, dass auch die Geschwindigkeitsänderungen entgegengesetzte Richtung haben, ihre Beträge aber vom Massenverhältnis abhängen:
Im Folgenden werden nur die Geschwindigkeitskomponenten in Richtung des
Impulsübertrags betrachtet und mit
bezeichnet. Die dazu orthogonalen
Komponenten der Anfangsimpulse und -geschwindigkeiten können unbeachtet bleiben,
denn sie ändern sich durch den Stoß nicht. So wird das ganze Problem auf den
eindimensionalen Stoß zurückgeführt. Die obigen Gleichungen (1) und (2) werden
dann zu den folgenden Gleichungen (1’) und (2’), aus denen man durch Einsetzen
Gleichung (3) erhält:
Nach Gleichung (3) hat die mittlere Geschwindigkeit
(längs der Richtung des Impulsübertrags) vor und nach dem Stoß für beide Massen
und
den gleichen Wert:
Multipliziert man die Gleichung (3) mit
und addiert sie zu Gleichung (2’), fällt die Größe
heraus, und man kann nach
auflösen. Damit erhält man aus Gleichung (2’) oder (3) dann auch die Formel für
.
Es ergibt sich:
(4a)
(4b)
Aus jeder der beiden letzten Gleichungen ergibt sich :
(5)
Das ist die Geschwindigkeit des gemeinsamen Schwerpunktes (Komponente in Richtung des Impulsübertrags).
Für den Sonderfall
ergibt sich:
Für den Sonderfall
(„
ist sehr viel kleiner als
“)
und
(z.B. „Ball gegen Wand“) ergibt sich:
und
Zweidimensionaler elastischer Stoß
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Der zweidimensionale elastische Stoß beruht prinzipiell auf dem oben
geschilderten eindimensionalen elastischen Stoß. Zunächst muss die sogenannte
Zentralsteigung
berechnet werden. Diese beschreibt die Steigung der Geraden durch die
Mittelpunkte der Kugeln. Die Steigung
der Tangente
durch den Berührpunkt der Kugeln errechnet sich dann durch:
Zerlegt man die Bewegungsvektoren
und
nun in zwei Komponenten
parallel zur Tangente und
orthogonal
dazu, so kann man den zweidimensionalen Stoß zu einem eindimensionalen
vereinfachen. Es gilt dann die obige Formel, jedoch nur für die Komponenten in
Zentralrichtung.
Daher müssen zunächst die Vektoren
und
errechnet werden. Dies geschieht anhand der Steigungen
,
,
und
.
Ab hier soll zugunsten einer einfacheren Darstellung auf die Indizes 1 und 2 verzichtet werden.
Aus
folgt:
Für
(Entsprechendes gilt für
und
)
kann die zweite Gleichung vereinfacht werden:
Man erhält also das Gleichungssystem:
Durch Umformen erhält man:
Für
und
setzt man entsprechend ein.
Zuletzt müssen nun noch die neuen Vektoren
und
wie oben angegeben berechnet werden. Im einfachsten Falle, nämlich bei
gilt:
Andernfalls muss die obige Formel angewendet werden.
Die neuen Geschwindigkeitsvektoren
und
werden dann durch Vektoraddition der Vektoren
bzw.
und
bzw.
berechnet:
Unelastischer Stoß
Beim unelastischen Stoß (auch inelastischer oder plastischer
Stoß genannt) wird ein Teil der kinetischen Energie in innere
Energie
umgewandelt. Die gesamte innere Energie (beider Körper zusammen) erhöht sich
dabei um den Betrag
.
Im einfachsten Fall geschieht das durch
plastische
Deformation der beteiligten Körper. Die Energie kann jedoch auch in Reibungswärme
umgesetzt werden, wie beispielsweise bei einem Stoßdämpfer.
Beim ideal unelastischen Stoß (auch vollkommen unelastischer
oder vollplastischer Stoß genannt) wird der maximal mögliche
Anteil der kinetischen Energie in innere Energie umgewandelt, dabei „kleben“ die
beiden Massen nach dem Stoß aneinander und bewegen sich mit derselben
Geschwindigkeit
weiter (
).
Ein Beispiel sind zwei Plastilinkugeln,
die nach dem Stoß aneinander haften.
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Die folgenden Formeln beschreiben einen vollkommen unelastischen Stoß. Wiederum gelten die beiden Erhaltungssätze:
- Vor dem Stoß:
- Nach dem Stoß:
Aus dem Impulserhaltungssatz kann man Folgendes ableiten:
Aus dem Energieerhaltungssatz lässt sich die innere Energie
berechnen:
Realer Stoß
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Jeder Aufschlag des Balls ist ein teilplastischer Stoß, deshalb wird die mechanische Energie des Balls mit jedem Aufschlag geringer.
Ein realer Stoß zwischen zwei Massen stellt immer eine Mischform aus ideal elastischem und ideal plastischem Stoß dar, deshalb wird er auch teilelastischer oder teilplastischer Stoß genannt. Die Mischform wird dargestellt durch die Stoßzahl k, die auch Restitutionskoeffizient genannt wird:
(6)
Die Stoßzahl lässt sich auch über einen Fallversuch bestimmen.
Wegen
gilt:
Es gilt:
: Vollkommen plastischer Stoß
: Vollkommen elastischer Stoß
Für einen teilelastischen Stoß mit der Stoßzahl k ergeben sich mithilfe der Impulserhaltung folgende Geschwindigkeiten (, die für den unelastischen/plastischen Stoß (k = 0) in Gl. 4a und 4b übergehen):
(7a)
(7b)
Die Formänderungsarbeit = Umwandlung der kinetischen Energie lässt sich bestimmen aus:
Mit den Grenzwerten 0 und 1 für die Stoßzahl lassen sich die Gleichungen der Geschwindigkeiten nach dem Stoß sowie die Gleichung zur Formänderungsarbeit zu den Gleichungen vereinfachen, wie sie in den Abschnitten elastischer und plastischer Stoß stehen.
Zeitlicher Verlauf bei realen Körpern
Beim Stoß realer Körper erfolgt die Impulsübertragung nicht momentan,
sondern über eine kleine Zeitspanne verteilt. Die Geschwindigkeit, mit der der
Impuls eines Körpers sich ändert, ist nach dem 2. Newtonschen Gesetz ()
durch die zwischen den Körpern wirkende Kraft gegeben. Fällt z.B. ein elastischer
Ball auf den Boden, so entsteht durch seine Verformung
eine nach oben gerichtete Kraft, die ihn zuerst verzögert, bis er momentan die
Geschwindigkeit Null erreicht, und dann wieder aufwärts beschleunigt, bis er
sich vom Boden löst. Der gesamte Ablauf entspricht einem Kraftstoß. Weiterhin
gilt das dritte Newtonsche Gesetz actio =
reactio:
mit der Kraft F und der Zeit t.
Während eines Stoßes erfahren beide Stoßpartner einen gleich großen Kraftstoß in entgegengesetzter Richtung. Ein Experiment, um die Impulsübertragung zu visualisieren, ist der Doppelball-Versuch, in dem spektakulär kinetische Energie von einem Stoßpartner auf den anderen übertragen wird.
Superelastischer Stoß
Beim superelastischen Stoß geht innere Energie von mindestens einem der
Stoßpartner in kinetische Energie über. Die kinetische Energie ist nach diesem
Stoß größer als vor dem Stoß. Die mathematische Behandlung erfolgt wie beim
allgemeinen inelastischen Stoß, nur ist .
Reaktiver Stoß
Beim reaktiven Stoß kommt es zu Reaktionen, wie z.B. chemischen Reaktionen, oder zur Erzeugung neuer Teilchen durch Stöße hochenergetischer Teilchen in der Elementarteilchenphysik. Dabei muss berücksichtigt werden, dass vor und nach dem Stoß unterschiedliche Teilchen zu Energie und Impuls beitragen. Es ändern sich also neben der Geschwindigkeit auch die Massen und unter Umständen die Anzahl der Teilchen.
Eine Art des reaktiven Stoßes ist z.B. der Ladungsaustausch, ein atomphysikalischer Prozess, bei dem während eines Stoßes zwischen Atomen, Molekülen oder Ionen ein oder mehrere Elektronen ausgetauscht werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden dabei die Elektronen auf den Stoßpartner mit der positiveren Ladung übergehen. So können z.B. im Sonnenwind enthaltene positive Ionen beim Durchgang durch die einen Kometen umgebende dünne Gasatmosphäre Elektronen einfangen und dabei Strahlung, u.a. im Röntgenbereich, emittieren.
Streuung
In der Teilchenphysik, Atomphysik, Kernphysik oder wenn Photonen beteiligt sind, spricht man auch von Streuung. Auch hier bedeutet inelastische Streuung (inelastischer Stoß), dass die kinetische Energie nicht als solche erhalten bleibt, sondern teilweise z.B. in Anregungsenergie verwandelt oder zum Aufbrechen von Bindungen verwendet wird. Wenn ein Photon an einer inelastischen Streuung beteiligt ist, ändert sich im Allgemeinen seine Wellenlänge.
Literatur
- Felix Hausdorff (Hrsg.), Christiaan Huygens: Christiaan Huygens’ nachgelassene Abhandlungen: Über die Bewegung der Körper durch den Stoss: Über die Centrifugalkraft. Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig um 1921.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 09.05. 2021