Kanonisches Ensemble
Das kanonische Ensemble (auch NVT-Ensemble oder Gibbs-Ensemble nach J. W. Gibbs) ist in der statistischen Physik ein System mit festgelegter Teilchenzahl in einem konstanten Volumen, das Energie mit einem Reservoir austauschen kann und mit diesem im thermischen Gleichgewicht ist. Dies entspricht einem System mit vorgegebener Temperatur, wie ein geschlossenes System (kein Teilchenaustausch) in einem Wärmebad (makroskopisches System, das sehr viel größer ist als das betrachtete System).
Ein solches Ensemble wird durch einen kanonischen Zustand
beschrieben. Dies ist der Gleichgewichtszustand, dessen statistische Entropie
,
unter Berücksichtigung der Nebenbedingung
(der Energieerwartungswert ist festgelegt), nach der Maximum-Entropie-Methode
maximal ist, wobei der Zustand mit von außen vorgegebenen Parametern, wie
Volumen und Teilchenzahl, verträglich sein muss.
Quantenmechanisch
Der Dichteoperator des kanonischen Zustands ist festgelegt durch
wobei die
die zu
gehörenden Energieeigenzustände
zur Energie
sind und die kanonische Zustandssumme
durch
gegeben ist. Der Parameter
kann als inverse Temperatur
aufgefasst werden:
Die Spur
eines Operators ist folgendermaßen definiert: ,
wobei
ein beliebiges vollständiges
Orthonormalsystem ist.
In der Energieeigenbasis ist die zugehörige Dichtematrix diagonal
Die kanonische Zustandssumme
lässt sich mit Hilfe der mikrokanonischen
Zustandssumme
ausdrücken:
Während die Summe über
alle Zustände abzählt, zählt der Index
nur die Energielevel ab. Die Zahl der verschiedenen Zustände zu einer bestimmten
Energie
(also der Entartungsgrad) ist durch
gegeben.
Klassisch
Analog ergibt sich der klassische kanonische Zustand (Phasenraumdichte)
mit der klassischen kanonischen Zustandssumme
mit
wobei für
identische Teilchen der Faktor
die Mehrfachzählung ununterscheidbarer
Teilchen verhindert,
und für
verschiedene Teilchensorten mit
Teilchenzahlen und
der Faktor
.
Der Zusammenhang zwischen dem klassischen Phasenraumintegral und der Spur in der quantenmechanischen Zustandssumme kann mit Hilfe kohärenter Zustände hergestellt werden. Damit wird auch geklärt, weshalb das Plancksche Wirkungsquantum in dem klassischen Ausdruck auftritt.
Die kanonische Zustandssumme
lässt sich mit Hilfe der mikrokanonischen Zustandssumme
ausdrücken:
Somit ist die kanonische Zustandssumme die Laplace-Transformierte
der mikrokanonischen Zustandsdichte .
Da die Laplace-Transformation eindeutig ist, enthalten beide Funktionen
identische Informationen.
Erwartungswerte
Im Folgenden werden Erwartungswerte verschiedener makroskopischer Größen
gebildet. Der Index k bedeutet kanonisch. Der Hamiltonoperator ist vom
Volumen und der Teilchenzahl abhängig ,
die Zustandssumme von Temperatur, Volumen und Teilchenzahl
bzw.
.
Energie
Der Energieerwartungswert kann über die Zustandssumme berechnet werden
Entropie
Die statistische Entropie lässt sich nun durch die Zustandssumme ausdrücken
Druck
Der Druckerwartungswert ist gleich:
Chemisches Potential
Für große Systeme lässt sich auch das chemische
Potential berechnen (die Teilchenzahl
ist eine diskrete Größe; erst im thermodynamischen Limes lässt sich
quasi-kontinuierlich behandeln und Ableitungen nach
sind möglich):
Freie Energie
Freie Energie für Gleichgewichtszustände
Offensichtlich spielt bei der Berechnung von Erwartungswerten der Logarithmus der Zustandssumme eine wichtige Rolle. Deswegen definiert man die Freie Energie:
Bzw. unter Verwendung der Temperatur
statt des Parameters
:
Freie Energie als thermodynamisches Potential
Die freie Energie ist das thermodynamische Potential des kanonischen Zustands. Obige Erwartungswerte lassen sich nun kompakt als Gradient des Potentials schreiben:
Das totale Differential der freien Energie lautet somit:
Allgemeine Definition der freien Energie
Auch für Nicht-Gleichgewichtszustände lässt sich die freie Energie definieren, und zwar als Funktional des Dichteoperators über
bzw. umgeformt
Im Gleichgewicht mit
bzw.
erhält man obige Gleichgewichts-Definition der freien Energie:
Zustand mit extremalen Eigenschaften
Maximum der Entropie
Es seien zwei Dichteoperatoren
und
gegeben, die beide denselben Energieerwartungswert liefern:
.
Die Entropie des Zustands
(der nicht notwendigerweise ein Gleichgewichtszustand sein muss) lässt sich mit
Hilfe der Gibbs-Ungleichung
wie folgt abschätzen:
Sei
die Dichteverteilung des Gleichgewichtszustands des kanonischen Ensembles.
Einsetzen liefert:
Daraus folgt:
Das kanonische Ensemble besitzt unter allen Ensembles mit gleicher mittlerer Energie und festgelegtem Volumen und Teilchenzahl die größte Entropie.
Minimum der freien Energie
Hier wird die allgemeine Definition der freien Energie
verwendet.
Für einen Zustand ,
der nicht dem Gleichgewichtszustand
entspricht, aber denselben Energieerwartungswert liefert
,
gilt:
d.h. die freie Energie ist im Gleichgewicht minimal.
Fluktuationen
Schwankung der Energie
Da im kanonischen Ensemble nicht die Energie, sondern nur der
Energieerwartungswert festgelegt ist, sind gewisse Fluktuationen möglich. Im
Folgenden wird das Quadrat der Schwankungsbreite
der Energie um ihren Mittelwert
berechnet:
Die erste Ableitung von
nach
lässt sich mit dem Energieerwartungswert identifizieren:
Dabei wurde im letzten Schritt die Wärmekapazität
eingeführt. Sie ist eine Suszeptibilität,
die angibt wie sich eine extensive Größe (Energie) mit Erhöhung einer intensiven
Größe (Temperatur) ändert. Der Response der Energie auf eine Temperaturerhöhung
ist korreliert mit den spontanen Fluktuationen der Energie
(siehe Fluktuations-Dissipations-Theorem).
Die Wärmekapazität ist stets positiv, da die Standardabweichung nicht-negativ
sein kann: .
Außerdem lässt sich mittels
die Energiefluktuation mit der zweiten Ableitung der freien Energie nach der
Temperatur in Verbindung bringen:
Äquivalenz der Ensembles im thermodynamischen Limes
Die Wärmekapazität und somit das Schwankungsquadrat ist eine extensive Größe,
also von der Ordnung .
Ebenso ist der Energieerwartungswert von der Ordnung
.
Der Quotient aus Schwankungsbreite und Mittelwert ist von der Ordnung
:
Für thermodynamische Systeme mit
Teilchen ist der Quotient sehr klein (von der Ordnung
)
und somit die Energieverteilung sehr scharf um den Mittelwert
konzentriert (siehe Gesetz
der großen Zahlen). Im Grenzfall großer Teilchenzahlen werden
Energiemittelwert
und der Energiewert mit der höchsten Wahrscheinlichkeit
identisch.
Die Wahrscheinlichkeitsdichte
der Energie (nicht eines bestimmten Zustandes
zu gegebener Energie) ist gegeben durch ,
wobei
die mikrokanonische Zustandssumme ist.
Während der Boltzmann-Faktor
monoton mit der Energie abnimmt, steigt die mikrokanonische Zustandsdichte
monoton mit der Energie
an (z.B.
für das klassische ideale Gas), sodass das Produkt ein Maximum besitzt. Der
Energiewert
mit der größten Wahrscheinlichkeit ist gegeben durch
Daraus folgt:
Im letzten Schritt wurde dabei die mikrokanonische Definition der inversen
Temperatur
nämlich als partielle Ableitung der mikrokanonischen Entropie
nach der inneren Energie
identifiziert. Somit gilt
also entspricht der wahrscheinlichste Wert der Energie dem Energiewert des mikrokanonischen Ensembles.
Entwickelt man die logarithmierte Wahrscheinlichkeitsdichte der Energie in
eine Potenzreihe um
so erhält man:
Dies ist eine Gaußverteilung mit der Breite .
Die relative Breite
ist von der Ordnung
und geht für
gegen Null, d.h. die Verteilung wird eine Delta-Funktion. Im Grenzfall
großer Teilchenzahlen werden mikrokanonisches und kanonisches Ensemble
identisch, wobei
gilt, also die mikronanonische innere Energie
gleich dem kanonischen Energieerwartungswert
ist (z.B.
und
für das klassische ideale Gas). Beide Ensembles umfassen dann praktisch
dieselben Bereiche im Phasenraum (bzw. Zustände im Hilbertraum).
Die genäherte Wahrscheinlichkeitsdichte wird nun zur Berechnung der kanonischen Zustandssumme verwendet:
Daraus lässt sich die freie Energie bestimmen:
Der letzte Term kann im thermodynamischen Limes vernachlässigt werden, da
dieser
ist, während die anderen
sind. Somit wurde die zum kanonischen Ensemble gehörige freie Energie auf Größen
des mikrokanonischen Ensembles
und
zurückgeführt.
Schwankung von Entropie, Druck und chemischen Potential
Die Schwankungsbreite der Entropie lässt sich auf die Schwankungsbreite der Energie zurückführen und somit mit der Wärmekapazität in Verbindung bringen:
Für die quadratische Schwankungsbreite des Drucks ergibt sich:
und für das chemische Potential:
Aus der Positivität der Varianz und der isothermen Kompressibilität folgt:
und
Herleitung des Gleichgewichtszustands bei festgelegtem Erwartungswert
Variationsproblem
Der Gleichgewichtszustand bei festgelegtem Erwartungswert(en)
kann als Variationsproblem
aufgefasst werden und mit der Methode der Lagrange-Multiplikatoren
hergeleitet werden. Gesucht ist der Dichteoperator ,
dessen statistische Entropie
unter Berücksichtigung von Nebenbedingungen maximal ist:
Der Ausdruck
soll mit den Nebenbedingungen
(Normierungsbedingung) und
(festgelegter Erwartungswert des Operators
)
maximiert werden. Sind mehrere Erwartungswerte festgelegt, so sind
mehrkomponentige Größen. Zu maximieren ist also folgendes Funktional des
Dichteoperators:
Man erhält eine stationäre Lösung, wenn die erste
Variation von
verschwindet.
Verwendet wurde im letzten Schritt die Relation .
wobei die
und
jeweils ein VONS
bilden; die Summe über
beschreibt die Spurbildung,
die Summe über
ist das Einschieben einer
(Ausnutzen der Vollständigkeit)
Der Ausdruck ist für alle ,
gleich 0, wenn
gleich 0 ist, bzw wenn gilt:
Daraus ergibt sich der Dichteoperator
mit
Die Definition eines Dichteoperators fordert, dass die Spur darüber 1 wird:
daraus folgt der Boltzmann-Gibbs-Zustand
mit
Aus der Variationsrechnung folgt nur das stationäre Verhalten; das Maximum bezüglich der Entropie lässt sich mit der Gibbs-Ungleichung zeigen.
Ist
die einzige Information über das System, so ergibt sich der oben dargestellte
kanonische Zustand (ist
eine weitere Nebenbedingung erhält man den großkanonischen Zustand).
Anschauliche Herleitung
Das Wärmebad (Index 2) und das interessierende System (Index 1) haben schwach-energetischen Kontakt. Sie bilden zusammen ein Gesamtsystem, das nach außen vollständig abgeschlossen ist und somit mikrokanonisch beschrieben werden muss.
Der Hamilton-Operator des Gesamtsystems ist ,
wobei
die Hamilton-Operatoren der Teilsysteme und
der Wechselwirkungsoperator ist. Letzterer ist für die Äquilibrierung der
Teilsysteme zwar erforderlich, kann unter der Annahme des schwachen Kontakts
aber gegenüber
und
vernachlässigt werden:
,
d.h. die Wechselwirkungsenergie ist viel kleiner als die Energie der
Einzelsysteme. Somit gilt
und man betrachtet zwei praktisch unabhängige Systeme. Dann setzt sich die
Energie additiv
und die Dichtematrix multiplikativ zusammen
.
Die Entropie ist wegen
auch additiv:
.
Weiterhin gilt:
und
.
Die Gesamtenergie bleibt stets konstant:
Die Energie
des Wärmebads sei
-fach
entartet, die Energie
des angekoppelten Systems sei
-fach
entartet. Der Entartungsgrad des Gesamtsystems zur Energie
ist
.
Im mikrokanonischen Ensemble hat jeder mögliche Basiszustand dieselbe
Wahrscheinlichkeit .
Die Wahrscheinlichkeit
,
dass das System 1 die Energie
besitzt, ist gleich der Wahrscheinlichkeit
,
dass das Wärmebad die Energie
hat; diese ist der Quotient aus Gesamtentartungsgrad zur Energie
des Systems 1, nämlich
,
und des Gesamtentartungsgrads
:
Die Wahrscheinlichkeit das System 1 in einem bestimmten Basiszustand
(Quantenzahl )
mit Energie
zu finden ist:
Man logarithmiert und kann die Entropie des Wärmebades
und die Gesamtentropie
identifizieren:
Da das Wärmebad viel größer als das angekoppelte System ist, entspricht die
Gesamtenergie fast ausschließlich der Energie des Bades (minus einer
vergleichsweise kleinen mittleren Energie des Systems 1) und man kann die
Entropie
in eine Taylorreihe von
um
bis zur ersten Ordnung entwickeln:
Dabei wurde ausgenutzt, dass die Ableitung der Entropie nach der Energie die
inverse Temperatur ist (siehe Mikrokanonisches
Ensemble). Als Korrektur zu obiger Entwicklung, also in der Ordnung
,
tritt folgender Faktor auf:
Hier ist
die Wärmekapazität
des Wärmebades. Die Korrekturterme können vernachlässigt werden, da aufgrund der
Größe des Wärmebades
gilt. Deshalb ist es gerechtfertigt sich bei der Entwicklung der Entropie auf
die erste Ordnung zu beschränken. Dies setzt man in die logarithmierte
Wahrscheinlichkeit ein. Außerdem werden noch die
-unabhängigen
Terme als Konstante
zusammengefasst
Exponenzieren liefert die Wahrscheinlichkeit, dass sich das System 1 im
Basiszustand
zur Energie
befindet:
Die Konstante
lässt sich über die Normierungsbedingung für Wahrscheinlichkeiten
direkt aus den Eigenschaften des Systems 1 bestimmen (es muss eine minimale
Energie geben; angenommen das Energiespektrum erstrecke sich bis
,
so würde die Summe divergieren):
Da man normalerweise nur am System 1 interessiert ist, geht das System 2, das Wärmebad, nur über die Temperatur ein.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 13.09. 2021