Bernoulli-Zahl
Die Bernoulli-Zahlen oder Bernoullischen Zahlen, 1, ±1⁄2, 1⁄6, 0, −1⁄30, … sind eine Folge rationaler Zahlen, die in der Mathematik in verschiedenen Zusammenhängen auftreten: in den Entwicklungskoeffizienten trigonometrischer, hyperbolischer und anderer Funktionen, in der Euler-Maclaurin-Formel und in der Zahlentheorie in Zusammenhang mit der Riemannschen Zetafunktion. Die Benennung dieser Zahlen nach ihrem Entdecker Jakob I Bernoulli wurde von Abraham de Moivre eingeführt.
Definition
In der mathematischen Fachliteratur werden die Bernoulli-Zahlen als drei
unterschiedliche Folgen definiert, die aber sehr eng zusammenhängen. Da ist
einmal die ältere Notation (bis ins 20. Jahrhundert im Wesentlichen
genutzt), die hier mit
bezeichnet wird, und die beiden neueren Formen, die in diesem Artikel mit
und
bezeichnet und seit circa Mitte des 20. Jahrhunderts meistens benutzt
werden. Eine genauere Verbreitung oder der historische Übergang der Konventionen
lässt sich schwer objektivieren, da dies stark vom jeweiligen Mathematiker und
dem Verbreitungsgebiet seiner Schriften abhing bzw. abhängt. Eine heutzutage
gängige implizite Definition der Bernoulli-Zahlen ist, sie über die
Koeffizienten folgender Taylorreihen
entweder als
oder (durch Spiegelung an der y-Achse) als
bzw. früher als
einzuführen. Hierbei sind die Zahlen
und
die Koeffizienten der Reihenentwicklung
bzw. die Glieder der Bernoulli-Zahlenfolge. Die Reihenentwicklungen konvergieren
für alle x mit
Ersetzt man
durch
,
so erkennt man die Gültigkeit von
,
d.h. die beiden erstgenannten Definitionen unterscheiden sich lediglich
für den Index 1, alle anderen
bzw.
mit ungeradem Index sind null. Zur sicheren Unterscheidung können die Glieder
als die der ersten Art (mit
)
und die
als die der zweiten Art (mit
)
bezeichnet werden.
Auf der zuletzt aufgeführten Reihe fußt die ältere Definition; bei dieser
kommen nur Glieder mit Indizes
vor, d.h. die Glieder mit Index 0 und 1 müssen separat betrachtet werden.
Für die verbleibenden Koeffizienten mit geradem Index
(genau diese sind nicht null) wählt man eine eigene Definition, so dass diese
alle positiv sind. Daher gilt
Genau dies hatte auch Jakob
I Bernoulli bei seiner Erstbestimmung gemacht und so die ältere Notation
begründet, er hatte sie allerdings noch nicht durchnummeriert. Er entdeckte
diese Zahlen durch die Betrachtung der Polynome, welche die Summe der Potenzen natürlicher Zahlen
von 1 bis zu einem gegeben
mit kleinen ganzzahligen Exponenten beschreiben. Z.B.
Dies führt letztlich über die Faulhaberschen Formeln auf die Euler-Maclaurin-Formel, in der die Bernoulli-Zahlen eine zentrale Rolle spielen. Bewiesen hat er ihre allgemeinen Werte nicht, nur die der kleineren Koeffizienten korrekt errechnet – seine entsprechenden Aufzeichnungen wurden postum veröffentlicht.
Zahlenwerte
Die ersten Bernoulli-Zahlen ,
≠ 0 lauten
Index | Zähler | Nenner | auf 6 Nach- kommastellen | multipliziert mit |
|
---|---|---|---|---|---|
0 | 1 | 1 | 1,000000 | 0 | |
1 | ± 1 | 2 | ± 0,500000 | ± 1 | 1 |
2 | 1 | 6 | 0,166666 | 1 | 1 |
4 | −1 | 30 | −0,033333 | −1 | 2 |
6 | 1 | 42 | 0,023809 | 3 | 16 |
8 | −1 | 30 | −0,033333 | −17 | 272 |
10 | 5 | 66 | 0,075757 | 155 | 7936 |
12 | −691 | 2730 | −0,253113 | −2073 | 353792 |
14 | 7 | 6 | 1,166666 | 38227 | 22368256 |
16 | −3617 | 510 | −7,092156 | −929569 | 1903757312 |
18 | 43867 | 798 | 54,971177 | 28820619 | 209865342976 |
20 | −174611 | 330 | −529,124242 | −1109652905 | 29088885112832 |
22 | 854513 | 138 | 6192,123188 | 51943281731 | 4951498053124096 |
24 | −236364091 | 2730 | −86580,253113 | −2905151042481 | 1015423886506852352 |
Die Zahlen
bilden eine streng konvexe (ihre Differenzen wachsen) Folge. Die Nenner der
sind stets ein Vielfaches von 6, denn es gilt
der Satz von Clausen und von-Staudt, auch Staudt-Clausen’scher Satz
genannt:
Er ist benannt nach der unabhängigen Entdeckung von Thomas Clausen und Karl von Staudt 1840. Der Nenner der
ist also das Produkt aller Primzahlen, für die gilt, dass
den Index
teilt. Unter Nutzung des kleinen
Fermatschen Satzes folgt somit, dass der Faktor
diese rationalen Zahlen in ganze Zahlen überführt.
Auch wenn die Folge der
zunächst betragsmäßig relativ kleine Zahlenwerte annimmt, geht
mit wachsendem
doch schneller gegen Unendlich als jede Exponentialfunktion.
So ist z.B.
und
Ihr asymptotisches Verhalten lässt sich mit
beschreiben, daher ist auch der Konvergenzradius
der Taylorreihen, die oben zu ihrer Definition herangezogen wurden, gleich
Rekursionsformeln
Möchte man die Bernoulli-Zahlen der ersten Art beschreiben, also ,
so ergeben sich diese Bernoulli-Zahlen
aus der Rekursionsformel mit
und dem Startwert .
Für ungerade Indizes
folgt daraus wieder
.
Diese Formel entstammt der impliziten Definition der Bernoulli-Zahlen erster
Art, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts auch die gebräuchlichste Definition
war, da sie eine leicht zu merkende Gestalt hat:
die auch in der weniger verbreiteten Form geschrieben werden kann als
wobei in diesen Darstellungen Potenzen von
als die entsprechend indizierten Bernoulli-Zahlen zu interpretieren sind.
Für die Bernoulli-Zahlen der zweiten Art lässt sich analog
als auch
oder eleganter
schreiben und als induktive Definition der Bernoulli-Zahlen zweiter Art
verwenden mit
zu
mit dem Startwert
oder für alle
als
Reihen mit Bernoulli-Zahlen
Diese Zahlen treten beispielsweise in der Taylorreihe des Tangens, des Tangens hyperbolicus oder des Cosecans auf; im Allgemeinen, wenn eine Funktion eine geschlossene Darstellung hat, wo die Sinusfunktion (oder Sinus-hyperbolicus-Funktion) im Nenner steht – d.h. durch die Summe oder Differenz zweier e-Funktionen dividiert wird:
Hier zwei nicht konvergierende asymptotische Reihen, die der Trigamma-Funktion (der zweiten Ableitung des natürlichen Logarithmus der Gammafunktion)
und die des natürlichen Logarithmus der Gammafunktion
die als Logarithmus der Stirlingformel bekannt ist. Diese lässt sich einfach aus der asymptotischen Form der Euler-Maclaurin-Formel ableiten, die in ihrer symmetrischen Schreibweise
lautet – wobei hier der Ausdruck
die
-te
Ableitung (speziell für
das Integral) der Funktion
ausgewertet an der Stelle
bedeutet –, wenn man dort
setzt, die untere Summationsgrenze
zu
wählt und die obere Summationsgrenze
mit
variabel hält. Dies ist eine der bekanntesten Anwendungen der Bernoulli-Zahlen
und gilt für alle analytischen Funktionen
,
auch wenn diese asymptotische Entwicklung in den meisten Fällen nicht
konvergiert.
Zusammenhang mit der Riemannschen Zeta-Funktion
Die folgenden Reihenentwicklungen liefern die (im oben genannten Sinne) „klassischen“ Bernoulli-Zahlen:
Für die „modernen“ Bernoulli-Zahlen gilt
wobei im Fall der neueren Definition für n=1 undefinierte Ausdrücke der Form
entstehen, die aber gemäß der Regel
von de l’Hospital wegen
den Pol erster Ordnung der Riemannschen
Zetafunktion bei 1 (bzw. in der letzten Darstellung den Term
im Nenner) aufheben und somit korrekt den Wert
liefern.
Für die Bernoulli-Zahlen zweiter Art gibt es noch die prägnante Darstellung
so dass die gesamte Theorie der Riemannschen Zetafunktion zur Charakterisierung der Bernoulli-Zahlen bereitsteht.
Beispielsweise geht aus der Produktdarstellung der Riemannschen Zeta-Funktion und obigen Reihenentwicklungen der Bernoulli-Zahlen die folgende Darstellung hervor:
.
Hierbei erstreckt sich das Produkt über alle Primzahlen .
Integraldarstellungen
Es gibt viele uneigentliche Integrale mit Summen oder Differenzen von zwei Exponentialfunktionen im Nenner des Integranden, deren Werte durch Bernoulli-Zahlen gegeben sind. Einige einfache Beispiele sind
aber auch
Bernoulli-Polynome
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Für jedes
ist das Bernoulli-Polynom eine Abbildung
und durch folgende Rekursionsgleichungen vollständig charakterisiert: Für
setzen wir
und für
ergibt sich das
-te
Bernoulli-Polynom
eindeutig durch die beiden Bedingungen
und
rekursiv aus dem vorherigen. Als Summe der Potenzen von
geschrieben lautet der Ausdruck für das
-te
Polynom
wobei hier wieder die
die Bernoulli-Zahlen erster Art bezeichnen. Diese Form folgt direkt aus der
symbolischen Formel
worin man die Potenzen von
als die entsprechende n-te Bernoulli-Zahl
interpretiert. Die ersten Bernoulli-Polynome lauten
Diese Polynome sind symmetrisch um
genauer
. Ihre konstanten Terme sind die Bernoulli-Zahlen erster Art, also
die Bernoulli-Zahlen zweiter Art erhält man aus
und schließlich gilt
in der Intervallmitte. Das k-te Bernoulli-Polynom hat für k > 5 weniger
als k Nullstellen in ganz
und für gerades n ≠ 0 zwei und für ungerades n ≠ 1 die drei Nullstellen
im Intervall
.
Sei
die Nullstellenmenge
dieser Polynome. Dann ist
für alle n ≠ 5 und n ≠ 2 und es gilt
wobei die Funktion
angewandt auf eine Menge deren Elementanzahl angibt.
Die Funktionswerte der Bernoulli-Polynome im Intervall [0,1] sind für geraden Index durch
und für ungeraden Index
(aber nicht scharf) durch
beschränkt.
Ferner genügen sie der Gleichung
falls man sie auf ganz
analytisch fortsetzt und die Summe der Potenz der ersten n natürlichen Zahlen
lässt sich mit ihnen als
beschreiben. Die Indexverschiebung von
zu
auf der rechten Seite der Gleichung ist hier notwendig, da man historisch die
Bernoulli-Poynome an den Bernoulli-Zahlen erster Art (und nicht zweiter Art)
„fälschlicherweise“ festmachte
und somit statt
den Summanden
in obigen Bernoulli-Poynomen erhält, was hier genau den Wert
zu wenig ergibt (den letzten Term der Summe auf der linken Seite) und daher auf
der rechten Seite dieser Index noch „eins weiter“ laufen muss.
Bernoulli-Zahlen in der algebraischen Zahlentheorie
Satz von Staudt:
Als Satz von Staudt-Clausen ist auch die Aussage
bekannt, die etwas stärker ist als der vorherige Satz von Clausen und
von-Staudt zur Charakterisierung der Nenner. Die Folge der so bestimmten ganzen
Zahlen für geradzahligen Index lautet .
Kummersche Kongruenz:
Eine ungerade Zahl
heißt reguläre
Primzahl, wenn sie keinen der Zähler der Bernoulli-Zahlen
mit
teilt. Ernst Eduard Kummer
zeigte, dass diese Bedingung äquivalent dazu ist, dass
nicht die Klassenzahl
des p-ten Kreisteilungskörpers
teilt. Er konnte so 1850 beweisen, dass der große
Fermatsche Satz, nämlich
hat für
keine Lösungen in
,
für alle Exponenten
gilt, die eine reguläre Primzahl sind. Damit war beispielsweise durch das
Überprüfen der Bernoulli-Zahlen bis Index 94 der große Fermatsche Satz mit
Ausnahme der Exponenten 37, 59, 67 und 74 für alle anderen Exponenten
bewiesen.
Tangentenzahlen und Anwendungen in der Kombinatorik
Betrachtet man die Eulerschen Zahlen und die Taylorentwicklung der Tangens-Funktion, so kann man die Tangenten-Zahlen implizit definieren zu
und für Index Null noch
setzen. Man hat somit die Transformation
die aus den Bernoulli-Zahlen erster Art diese Folge ganzer Zahlen erzeugt:
Da die Vorzeichenwahl in der impliziten Definition völlig willkürlich ist, kann man genauso berechtigt mittels
die Tangentenzahlen definieren, mit der Konsequenz
und hat für alle Indizes
In jedem Fall sind mit Ausnahme von
alle Zahlen mit geradem Index Null und die mit ungeradem Index haben
alternierendes Vorzeichen.
Die Werte
sind nun genau die Anzahl alternierender
Permutationen einer >
elementigen Menge. Weitere Informationen zur direkten Bestimmung der
Tangentenzahlen findet man im Artikel Eulersche
Zahlen.
In der Kombinatorik lassen sich die Bernoulli-Zahlen zweiter Art auch durch
die Stirling-Zahlen
zweiter Art
darstellen als
Die Werte
werden auch als Worpitzky-Zahlen
bezeichnet.
Ein weiterer Zusammenhang ergibt sich über die erzeugende Potenzreihe der Stirling-Polynome
mit
wegen
mit den Stirling-Zahlen erster Art
zu
die man so für negatives
definieren könnte. Daher sind die Bernoulli-Zahlen zweiter Art auch die Werte
der Sterling-Polynome bei Null
aufgrund der gleichen formalen Potenzreihe.
Algebraische Topologie
Hier im Artikel sind die Bernoulli-Zahlen zu Anfang willkürlich mittels
erzeugender Potenzreihen definiert worden. Die formale Potenzreihe von
tritt aber auch direkt bei der Bestimmung der Todd-Klasse
eines Vektorbündels
auf einem topologischen
Raum
auf:
wobei die
die Kohomologieklassen von
sind. Wenn
endlich-dimensional ist, dann ist
ein Polynom. Die Bernoulli-Zahlen zweiter Art "zählen" hier also ganz natürlich
gewisse topologische Objekte. Diese formale Potenzreihe schlägt sich genauso im
L-Geschlecht bzw. Todd-Geschlecht der charakteristischen Potenzreihe einer orientierbaren
Mannigfaltigkeit
nieder.
Siehe auch
- Eulersche Zahlen sind eng mit den Bernoulli-Zahlen verwandt.
- Faulhabersche Formel
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 25.08. 2021