Flammschutzmittel

Flammschutzmittel (oder Brandhemmer) sind Stoffe, welche die Ausbreitung von Bränden einschränken, verlangsamen oder verhindern sollen. Angewendet werden Flammschutzmittel überall dort, wo sich potentielle Zündquellen befinden, wie z. B. in elektronischen Geräten (Elektrischer Kurzschluss), Polstermöbeln oder Teppichen.

Flammschutzmittel werden hauptsächlich in brennbaren Werkstoffen und Fertigteilen verwendet, um brandschutztechnische Anforderungen im Bau- und Verkehrswesen sowie im Elektro-/Elektronik-Sektor (E&E) zu erfüllen. Grundlage dazu sind Vorschriften zum vorbeugenden Brandschutz, die für das Bauwesen heute noch weitgehend national, im Bereich Verkehrswesen und E&E aber überwiegend international sind. Allerdings sind in der Europäischen Union seit dem Jahr 2002 harmonisierte Klassifizierungssysteme und Prüfverfahren für das Brandverhalten von Bauprodukten eingeführt worden. Ziel des vorbeugenden Brandschutzes ist es, das Risiko eines Brandes zu minimieren und dadurch Leben, Gesundheit und Besitz des Menschen sowie die Umwelt zu schützen.

Für das Jahr 2012 wurde der weltweite Jahresverbrauch von Flammschutzmitteln auf knapp 2 Mio. Tonnen geschätzt, was einem Verkaufsvolumen von ca. 5 Mrd. US-$ entspricht. Es wird davon ausgegangen, dass der Marktwert bis zum Jahr 2018 auf rund 5,8 Mrd. US-$ ansteigen würde. Abhängig ist der zu erwartende Anstieg jedoch von der Entwicklung der Regulationen in Industrie- und Schwellenländern, die den von Flammschutzmitteln ausgehenden Gefahren Rechnung tragen sollen.

Viele Flammschutzmittel sind gesundheitlich und/oder ökologisch bedenklich. Im Hausstaub, im Blutserum und in der Muttermilch findet man von einigen Flammschutzmitteln seit Jahren steigende Konzentrationen. Teilweise reichern sie sich auf der Oberfläche von Mikroplastik an.

Wirkungsweise

Die Wirkung wird in chemische und physikalische Prinzipien unterteilt.

Bei der chemischen Wirkung wird wie folgt unterschieden:

Bei der physikalischen Wirkung unterscheidet man folgende Effekte:

Die meisten Flammschutzmittel wirken sowohl durch einen oder mehrere chemische als auch physikalische Prozesse, in jeweils unterschiedlich starken Anteilen.

Der Vorgang der Radikalkettenreaktion läuft schematisch folgendermaßen ab:

1. Freisetzung der Halogenradikale (X·) aus dem Flammschutzmittel: R–X → R· + X·
2. Bildung von Halogenwasserstoffen (HX): R–H + X· → R· + H–X
3. Endothermes Binden des Sauerstoffes über Zwischenstufen: X· + ·O–O· → X–O· + ·O·
    X· + ·O· → X–O·
    ·O· + H–X → ·OH + X·
    X-O· + H–X → 2 X· + ·OH
4. Abfangen energiereicher Radikale und Rekombination: H–X + ·OH → H2O + X·
    R· + ·OH → R–OH
    R· + R· → R–R

Die Reaktion von Halogenradikal und Halogenwasserstoff mit Sauerstoff und dessen Reaktionsprodukten dient hierbei als endothermer Schritt, um die stark exotherme Verbrennung zu bremsen und eine Ausbreitung der Flamme zu erschweren. Gleichzeitig wirkt der Halogenwasserstoff als verdünnendes Gas in der Umgebung der Flamme und verringert so den Sauerstoffanteil im Gas-Luft-Gemisch. Hierdurch wird zusätzlich ein flammhemmender Effekt erzielt.

Die Effizienz von halogenierten Flammschutzmitteln kann durch Kombination mit Antimonoxid (Sb2O3) auf ein Mehrfaches gesteigert werden. Hierbei spricht man von einem synergistischen Effekt.

Typen

Prinzipiell unterscheidet man vier Typen von Flammschutzmitteln:

Diese setzen sich anteilig aus den folgenden Flammschutzmittelfamilien zusammen (Produktionsanteile weltweit nach einer 2012 Marktstudie von Townsend Solution Estimates):

Klassifikation

halogeniert nicht halogeniert
hohe Leistung isobutyliertes Triphenylphosphat (TBPP), DOPO, Phosphinate
mittlere Leistung Br-Polystyrol, Br-Epoxide, Hexabromcyclododecan (HBCDD) Ammoniumpolyphosphat (APP), Roter Phosphor, Zinkborat, Triarylphosphate, Melaminpolyphosphat (MPP), Antimontrioxid
für Massenkunststoffe TCPP, TDCP, TBBA, Octa-BDE, Deca-BDE, RDP, BDP, Aluminiumhydroxid, Magnesiumhydroxid, Trialkylphosphate

Die DIN EN ISO 1043-4 klassifiziert Flammschutzmittel für Kunststoffe und weist ihnen zweistellige Codenummern zu:

Flammgeschützte Kunststoffe enthalten in ihrem Kurzzeichen den Zusatz FR(‹Codenummer1›+‹›‹Codenummer2›+..). Beispielsweise steht PA6 GF30 FR(52) für ein mit 30 % Glasfasern gefülltes Polyamid 6, welches mit rotem Phosphor flammgeschützt ist.

Halogenierte Flammschutzmittel

Die wichtigsten Vertreter sind polybromierte Diphenylether (PentaBDE, OctaBDE, DecaBDE), DBDPE, BTBPE, TBBPA und HBCDD. Bis in die 1970er-Jahre wurden außerdem Polybromierte Biphenyle (PBB) als Flammschutzmittel verwendet. Zu den chlorierten Flammschutzmitteln zählen z. B. Chlorparaffine und Mirex. Mit Ausnahme von TBBPA werden diese Substanzen nur als additive Flammschutzmittel eingesetzt. Haupteinsatzbereiche sind Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Geräten (z. B. Fernseher, Computer), Textilien (Polstermöbel, Matratzen, Vorhänge, Sonnenstoren, Teppiche), Automobilindustrie (Kunststoffbestandteile und Polsterüberzüge) und Bau (Isolationsmaterialien und Montageschäume).

Vor allem bei Bränden stellen halogenierte Flammschutzmittel eine große Gefahr dar. Unter der Hitzeeinwirkung wirken sie zwar brandhemmend, indem die bei der Pyrolyse gebildeten Halogen-Radikale die Reaktion mit Sauerstoff hemmen. Allerdings entstehen auch hohe Konzentration an polybromierten (PBDD und PBDF) oder polychlorierten Dibenzodioxinen und Dibenzofuranen (PCDD und PCDF). Diese sind auch unter dem Überbegriff „Dioxine“ für ihre hohe Toxizität bekannt („Seveso-Gift“). Überdies kann während der Produktion, der Gebrauchsphase und der Entsorgung eine Emission von Flammschutzmitteln stattfinden.

TBBPA stellt einen Spezialfall der bromierten Flammschutzmittel dar. Es wird hauptsächlich als reaktives Flammschutzmittel eingesetzt, d. h., es wird chemisch in die Polymermatrix (z. B. Epoxidharze von Leiterplatten) eingebunden und stellt einen festen Bestandteil des Kunststoffes dar. Weitere reaktive bromierte Flammschutzmittel sind z. B. Brom- und Dibromstyrol, sowie 2,4,6-Tribromphenol. Ins Polymer eingebunden, sind die Emissionen dieses Flammschutzmittels sehr gering, und stellen meistens keine Gefahr dar. Die Dioxinbildung ist dennoch nicht grundsätzlich geringer. Im geringeren Maß wird TBBPA jedoch auch als additives Flammschutzmittel eingesetzt. Über die Abbauprodukte des durch Licht leicht zersetzlichen TBBPA liegen erst sehr wenige Daten vor.

Nach Prüfung der Stoffe im Rahmen von REACH wurden die oben genannten bromierten Flammschutzmittel wie folgt eingestuft: Aufnahmen in Anhang XIV (und damit einem Vertriebsverbot):

Als nicht gefährlich eingestuft wurden:

Die Gefahrenpotentiale von Flammschutzmitteln wie polybromierten Diphenylethern (PBDE) und polybromierten Biphenylen (PBB) in Bezug auf deren Bildung von PBDD/F haben zu einem Verbot durch die EU geführt (WEEE, RoHS, ElektroG). Eine Ausnahme bildete DecaBDE, das von diesem Verbot vorerst ausgenommen war. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist dieses ab dem 1. Juli 2008 in Elektro- und Elektronikgeräten nun doch verboten.

Im Jahr 2000 wurden weltweit 38 % der rund 5 Millionen Tonnen Brom für die Herstellung von bromierten Flammschutzmitteln verwendet.

Gehalt an Flammschutzmitteln in verschiedenen Kunststoffen: Hinweis: Diese Liste stammt aus 2001 und enthält noch das mittlerweile verbotene DecaBDE.

Polymer Gehalt [%] Flammschutzmittel
Polystyrolschaum 0,8–4 Bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer (früher: HBCD)
HIPS 11–15 DecaBDE, bromiertes Polystyrol
Epoxidharz 19–33 TBBPA
Polyamide 13–16 DecaBDE, bromiertes Polystyrol
Polyolefine 5–8 DecaBDE, Propylendibromstyrol
Polyurethan 10–18 PentaBDE, TBBPA-Ester
Polyethylenterephthalat 8–11 Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat
Ungesättigte Polyester 13–28 TBBPA
Polycarbonate 4–6 Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat
Styrol-Copolymere 12–15 OctaBDE, bromiertes Polystyrol

Ausschließlich aus halogenierten Monomeren bestehende Kunststoffe wie z. B. Polyvinylchlorid (PVC) und Polytetrafluorethen (PTFE), aber auch Polydibromstyrol und ähnliche Kunststoffe, sind durch ihre besonderen chemischen Eigenschaften nicht brennbar und werden als inhärent Flammgeschützt bezeichnet. Sie benötigen, je nach Flammschutzkategorie, kein oder nur wenig zusätzliches Flammschutzmittel.

Stickstoffbasierte Flammschutzmittel

Stickstoffbasierte Flammschutzmittel sind beispielsweise Melamin und Harnstoff.

Organophosphor-Flammschutzmittel

Bei dieser Verbindungsklasse werden typischerweise aromatische und aliphatische Ester der Phosphorsäure eingesetzt, wie beispielsweise:

Diese Flammschutzmittel kommen beispielsweise bei weichen und harten PUR-Schäumen in Polstermöbeln, Fahrzeugsitzen oder Baumaterialien zum Einsatz. In letzter Zeit werden BDP und RDP jedoch zunehmend als Ersatzstoffe für OctaBDE in Elektrogeräte-Kunststoffen eingesetzt.

Anorganische Flammschutzmittel

Anorganische Flammschutzmittel sind beispielsweise:

Literatur

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 01.10. 2024