Stationärer stochastischer Prozess
Ein stationärer stochastischer Prozess ist ein spezieller stochastischer Prozess und damit Untersuchungsobjekt der Wahrscheinlichkeitstheorie. Man unterscheidet in schwach stationäre Prozesse (selten auch kovarianzstationäre Prozesse genannt) und stark stationäre Prozesse, wobei bei letzteren der Zusatz „stark“ oftmals weggelassen wird und man lediglich von stationären Prozessen spricht. Beiden Begriffen ist gemein, dass sie Eigenschaften besitzen, die zeitunabhängig sind.
Definition
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Ein stochastischer Prozess
heißt stark stationär, wenn die Verteilung
von
nicht von der Verschiebung
abhängt.
Ein stochastischer Prozess
heißt schwach stationär (selten kovarianzstationär[1][2]),
wenn
-
- der Erwartungswert konstant ist, das heißt für alle
gilt
,
- die Varianz endlich ist, das heißt für alle
gilt
und
- die Autokovarianz
stabil gegenüber Verschiebungen ist, das heißt für alle
gilt
.
- der Erwartungswert konstant ist, das heißt für alle
Hier bezeichnet
den Erwartungswert.
steht für eine beliebige Indexmenge (auf der eine binäre Operation
erklärt ist), meist die ganzen
Zahlen, manchmal auch die natürlichen
Zahlen oder die reellen
Zahlen. Häufig wird mit
die Zeit
modelliert.
bezeichnet die Varianz,
die Kovarianz.
Interpretation
Stationarität ist eine der bedeutendsten Eigenschaften stochastischer Prozesse in der Zeitreihenanalyse. Mit der Stationarität erhält man Eigenschaften, die nicht nur für einzelne Zeitpunkte gelten, sondern Invarianzen über die Zeit hinweg sind. Die Zeitreihe hat zu allen Zeitpunkten den gleichen Erwartungswert und die gleiche Varianz. (Die wichtigste Klasse von nichtstationären Prozessen sind integrierte Prozesse.)
Mit der ersten Eigenschaft kann man zu einem neuen Prozess
übergehen, für den dann
gilt. Dieser Prozess wird auch zentrierter Prozess genannt. Man kann also
ohne
Beschränkung der Allgemeinheit annehmen, ein stationärer stochastischer
Prozess habe den Mittelwert 0.
Die zweite Eigenschaft sagt schlichtweg, dass jede der Zufallsvariablen
endliche Varianz hat und somit zu dem Hilbertraum
gehört. Hieraus folgt dann auch, dass der Erwartungswert
existiert.
Die dritte Forderung stellt eine Beziehung zwischen den unterschiedlichen
Zeitpunkten her und ist damit die bedeutendste Eigenschaft. Sie sagt aus, dass
die Kovarianzen zwischen den Zeitpunkten nicht von den beiden Zeitpunkten
selbst, sondern nur von dem Abstand
der beiden Zeitpunkte zueinander abhängt. Die Bedingung kann auch so formuliert
werden, dass
eine Funktion nur einer einzigen Variablen
ist. Dies hat unter anderem zur Konsequenz, dass
eine unendliche Block-Toeplitz-Matrix
ist.
Geometrische Bedeutung
Die geometrische Interpretation des univariaten Falles ()
greift auf den Hilbertraum
zurück, dessen Elemente die einzelnen Zufallsvariablen des Prozesses sind. Die
geometrische Interpretation unterstützt das tiefere Verständnis des Begriffs der
Stationarität.
Da
eine Norm
in
ist, kann die Forderung
so verstanden werden, dass alle Prozessvariablen gleich lang sind, d. h. auf
einer Kugel liegen.
sagt dann, obiger Interpretation folgend, dass für festes
alle
den gleichen Winkel einschließen. Erhöht man
um Eins, so wird immer um denselben Winkel weitergedreht.
Forderung (ii) bedeutet nichts anderes als ,
also der Winkel zwischen der Einheit und jeder
Prozessvariablen ist konstant. Hier wird ein Breitengrad aus der
Einheitskugel
ausgeschnitten.
Stationarisierung
Eine nichtstationäre Zeitreihe stationär zu machen ist eine wichtige erste Aufgabe bei der Zeitreihenanalyse. Weit verbreitete Methoden sind hier die Bildung von Differenzen, das Umskalieren oder das Logarithmieren der Zeitreihe. Allgemeiner kann man versuchen eine stationäre Zeitreihe zu erhalten, indem man ein geeignetes Trend-Saison-Modell verwendet.
Beispiele
Der wichtigste (schwach) stationäre Prozess ist das weiße Rauschen. Des Weiteren sind noch bestimmte Gauß-Prozesse und ARMA-Modelle stationär. Von theoretischer Bedeutung sind auch noch harmonische Prozesse, die unter gewissen Bedingungen stationär sind. Des Weiteren sind Markow-Ketten, die in ihrer stationären Verteilung starten, stationäre Prozesse.
Eigenschaften
Stationäre stochastische Prozesse in diskreter Zeit, die als kanonische
Prozesse gegeben sind, lassen sich als maßerhaltendes
dynamisches System auffassen. Dazu definiert man den Shift-Operator
als
.
Dann ist
und der Prozess entsteht durch iterierte Anwendung von
.
Somit handelt es sich um ein dynamisches
System, das aufgrund der Stationarität maßerhaltend ist. Darauf aufbauend
lassen sich auch ergodische
stochastische Prozesse definieren, für die wichtige Sätze der Ergodentheorie wie
beispielsweise der individuelle
Ergodensatz gelten und damit starke
Gesetze der großen Zahlen für abhängige Folgen von Zufallsvariablen liefern.
Anmerkungen
- ↑ nur 332 Google-Suchergebnisse, v.a. Uniskripte und Statistikbücher, verglichen mit ca. 149.000 teilweise vergleichbar hochwertigen Ergebnissen für schwach stationär. Im Englischen sind beide Begriffe etwa gleich populär, 2.360.000 vs. 2.870.000 Ergebnisse. Abgerufen am 27. Mai 2012, 01:38
- ↑ Kovarianzstationär wird manchmal auch so definiert, dass die Autokovarianz stabil gegenüber Verschiebungen in der Zeit ist und nicht unbedingt der Erwartungswert. Zum Beispiel Kirchgässner, u.a. Introduction to modern time series analysis, Springer 2013, S. 14. Sind Erwartungswert (mean stationarity) und Autokovarianz (covariance stationarity) stabil bei zeitlichen Verschiebungen wird das dort als schwache Stationarität (weak stationarity) definiert.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 29.01. 2021