Maßerweiterungssatz von Carathéodory
Der Maßerweiterungssatz von Carathéodory ist ein Satz aus dem mathematischen Teilgebiet der Maßtheorie. Dieser Satz dient dazu, Prämaße, die auf Mengenringen definiert sind, auf Maße auf σ-Algebren auszudehnen. Mit dieser auf Constantin Carathéodory zurückgehenden Methode kann insbesondere das Lebesguemaß auf die Längenbestimmung von Intervallen zurückgeführt werden.
Formulierung des Satzes
Es sei
ein Prämaß auf einem Mengenring
von Mengen aus einer Grundmenge
.
Dann gibt es eine
umfassende σ-Algebra
auf
und eine Erweiterung
von >
zu einem Maß auf
,
so dass
ein vollständiger
Maßraum ist.
Konstruktion
Man definiert mittels des auf dem Ring gegebenen Prämaßes ein auf der
gesamten Potenzmenge
definiertes äußeres
Maß und daraus mittels einer geeigneten Einschränkung ein Maß auf einer
σ-Algebra. Diese Konstruktion wird nun im Einzelnen beschrieben und parallel auf
die Konstruktion des Lebesguemaßes angewandt.
Maße auf Ringen
Ein Mengenring enthält die leere Menge und ist bezüglich endlicher
Vereinigungen und Bildung von Differenzmengen abgeschlossen. Ein Prämaß auf
einem solchen Mengenring ist eine Funktion
mit
und
,
falls
paarweise disjunkte Mengen aus
sind, deren Vereinigung wieder in
liegt.
Das Standardbeispiel ist die Menge
aller endlichen Vereinigungen halboffener
Intervalle
in
,
wobei stets
sei. Derartige Vereinigungen können immer auch als disjunkte Vereinigung
solcher Intervalle geschrieben werden, und die Festsetzung
,
wobei
die Länge eines solchen Intervalls sei, definiert ein Prämaß auf
,
das sogenannte Lebesguesche
Prämaß.
Dies verallgemeinert sich leicht auf
Dimensionen,
wenn man auf
den Mengenring
aller endlichen Vereinigungen n-dimensionaler
Intervalle (Quader)
betrachtet, wobei stets
sei. Auch hier kann man sich auf disjunkte Vereinigungen beschränken und in
einem solchen Fall
definieren, wobei
das übliche elementargeometrische Volumen
eines Quaders sei. Man nennt auch dieses Beispiel das n-dimensionale
lebesguesche Prämaß.
Konstruktion des äußeren Maßes
Es sei ein Inhalt
auf einem Mengenring
von Mengen aus einer Grundmenge
gegeben. Für jede Teilmenge
sei
wobei .
Dann ist
ein äußeres Maß auf
.
Man kann zeigen, dass
für alle
und
.
Die erste Eigenschaft besagt, dass
das vorgegebene Maß fortsetzt, die zweite, dass jede Menge des Grundraums durch
jede Menge des vorgegebenen Ringes in zwei Teile zerlegt wird, die sich bzgl.
additiv verhalten.
Übergang zu messbaren Mengen
Der Kern in Carathéodorys Konstruktion ist die Definition von
,
der Nachweis, dass dies eine σ-Algebra definiert, die sogenannte σ-Algebra
der Carathéodory-messbaren
Mengen, und dass die Einschränkung
ein Maß ist. Wegen obiger zweiter Eigenschaft des äußeren Maßes ist
und wegen der ersten ist
eine Fortsetzung von
.
Schließlich zeigt man, dass
jede Menge mit äußerem Maß 0 enthält, woraus sich dann die Vollständigkeit
des Maßraums
ergibt.
Wendet man diese Konstruktion auf unser Beispiel des lebesgueschen Prämaßes
an, so erhält man das Lebesguemaß auf der lebesgueschen σ-Algebra. In diesem
Fall kann man zeigen, dass die lebesguesche σ-Algebra echt größer ist als die
von
erzeugte σ-Algebra, die mit der borelschen
σ-Algebra zusammenfällt.
Allerdings ist der Unterschied nicht zu groß, denn jede Menge der lebesgueschen
σ-Algebra unterscheidet sich nur um eine
-Nullmenge
von einer Borelmenge, das heißt die lebesguesche σ-Algebra ist die
Vervollständigung der borelschen.
Bemerkungen
Eindeutigkeit
Als Folgerung aus obigem Satz erhält man, dass sich jedes Maß auf einem Ring
zu einem Maß auf der vom Ring erzeugten σ-Algebra fortsetzen lässt. Man erhält
hier aus dem Eindeutigkeitssatz
eine Eindeutigkeitsaussage, wenn man zusätzlich voraussetzt, dass
als abzählbare Vereinigung von Ringmengen endlichen Prämaßes geschrieben werden
kann, das Prämaß also
-endlich
ist.
Größe der Fortsetzung
Es lässt sich zeigen, dass wenn das zur Konstruktion verwendete äußere Maß ein metrisches äußeres Maß ist, dass dann die σ-Algebra der messbaren Mengen die Borelsche σ-Algebra enthält. Dies ist eine weitere Erklärung dafür, dass lebesguesche σ-Algebra echt größer ist als die borelsche σ-Algebra.
Halbringe
Statt von Mengenringen kann man auch vom allgemeineren Begriff des Halbrings
ausgehen. Ein Maß bzw. Prämaß auf einem Halbring
wird wie auf Ringen definiert, das heißt, es handelt sich um eine Mengenfunktion
,
so dass
und
,
falls
paarweise disjunkte Mengen aus
sind, deren Vereinigung wieder in
liegt.
Um in dieser Situation zu einer Maßerweiterung zu kommen, bildet man zunächst
den von
erzeugten Ring
,
der gleich der Menge aller endlichen, disjunkten Vereinigungen von Mengen aus
ist.
Ist
eine solche disjunkte Vereinigung, so wird durch die Festsetzung
ein Maß
auf dem Mengenring
erklärt.
Darauf kann dann die oben beschriebene Konstruktion angewendet werden.
Das Standardbeispiel ist der Halbring
aller halboffenen n-dimensionalen Intervalle (Quader)
mit
und das darauf erklärte Maß des elementargeometrischen Inhalts. Die hier
vorgestellte Konstruktion führt also direkt von der Definition des
Quadervolumens als Produkt der Seitenlängen zum Lebesguemaß. Sie kann direkt auf
allgemeine Produktmaße
verallgemeinert werden.
Verallgemeinerungen
Allgemeiner lässt sich zeigen, dass wenn
ein Halbring ist und
eine additive,
-subadditive
und
-endliche
Mengenfunktion, dann
existiert eine eindeutige Fortsetzung von
auf
,
die ein Maß ist und auf jeder Menge des Halbrings mit der Mengenfunktion
übereinstimmt. Diese Formulierung enthält die obige als Spezialfall.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 01.10. 2019