Komplexer Schubmodul

Der komplexe Schubmodul G^{*} beschreibt in der Schwingungsrheometrie das Verhalten viskoelastischer Körper bei einer oszillierenden Scherbelastung. Er verknüpft die auf die Probe einwirkende Schubspannung \tau mit der resultierenden Scherdeformation \gamma .

Der komplexe Schubmodul kann messtechnisch relativ einfach mit einem Rheometer (für Flüssigkeiten) und durch Dynamisch-mechanische Analyse (für Feststoffe) bestimmt werden. Die Veränderung des komplexen Schubmoduls bei Variation von Amplitude, Frequenz oder anderen Parametern wie der Temperatur gibt Aufschluss über die Eigenschaften des Materials. So kann z.B. der lineare Bereich ermittelt, auf die Molekülstruktur geschlossen oder ein Vernetzungsvorgang untersucht werden.

Speicher- und Verlustmodul

Allgemein hat der komplexe Schubmodul die Form einer komplexen Zahl:

G^{*}=G'+i\cdot G''

mit

Der Quotient aus G'' und G' ist der Verlustfaktor \tan \delta:

\tan \delta = \frac{G''}{G'}

Er nimmt für einen ideal elastischen Körper den Wert 0 an \left(G''=0\Rightarrow \tan \delta =0\right),
für einen ideal viskosen Körper geht er gegen unendlich \left(G'\to 0\Rightarrow \tan \delta \to \infty \right).

Grundlagen

Prinzip der Scherung
Maxwell-Körper

Erfährt ein Körper eine Scherung

\gamma =\tan \theta ={\frac  {\Delta x}{l}},

so ist dazu die Schubspannung

\tau ={\frac  {F}{A}}

notwendig

mit

Das Verhalten eines viskoelastischen Materials, d.h. der Zusammenhang zwischen Schubspannung und Scherung, kann durch rheologische Modellkörper nachgebildet werden, die sich zusammensetzen aus

\tau _{H}=G\cdot \gamma _{H}
Setzt man den Körper einer sinusförmigen Scherung mit Amplitude {\hat  \gamma } und Kreisfrequenz \omega aus:
\gamma (t)={\hat  \gamma }\cdot \sin(\omega t),
so gilt im elastischen Zweig:
\tau _{H}(t)=G\cdot {\hat  \gamma }\cdot \sin(\omega t)
Bei einem ideal elastischen Körper hat also auch die Schubspannung einen sinusförmigen Verlauf, und zwar in Phase mit der Scherung: im Nulldurchgang der Schwingung erfährt der Körper keine Verformung und deswegen ist auch keine Schubspannung zur Überwindung der Rückstellkraft notwendig. In der Amplitude ist dagegen der Körper maximal verformt, dann ist auch die Rückstellkraft am größten.
{\begin{aligned}\tau _{N}&=\eta \cdot {\dot  \gamma }_{N}\\&=\eta \cdot ({\hat  \gamma }\cdot \sin(\omega t))'\\&=\eta \cdot {\hat  \gamma }\cdot \omega \cdot \cos(\omega t)\end{aligned}}
Ein ideal viskoser Körper weist also einen um 90° phasenverschobenen Verlauf der Schubspannung auf: im Nulldurchgang der Deformation ist die Änderung der Verformung am größten, deswegen ist auch der von der Flüssigkeit entgegengesetzte Widerstand, der überwunden werden muss, am größten. In der Amplitude kehrt sich die Bewegungsrichtung um, die Schergeschwindigkeit und damit auch die Schubspannung werden für einen Moment zu Null.

Einfache Modelle zur Beschreibung eines viskoelastischen Festkörpers sind z.B.

Herleitung für den Kelvin-Körper

Kelvin-Körper

Bei einem Kelvin-Körper ist wegen der Parallelschaltung die Scherung \gamma in beiden Zweigen dieselbe, die Gesamtschubspannung setzt sich dagegen aus den Schubspannungen in Hooke- und Newton-Element zusammen:

{\begin{alignedat}{2}\gamma (t)&=\gamma _{H}(t)&&=\gamma _{N}(t)\\\tau (t)&=\tau _{H}(t)&&+\tau _{N}(t)\\&=G\cdot {\hat  \gamma }\cdot \sin(\omega t)&&+\eta \cdot \omega \cdot {\hat  \gamma }\cdot \cos(\omega t)\end{alignedat}}

Rein formal entsprechen die Beziehungen der Parallelschaltung eines ohmschen Widerstandes mit einer Induktivität in der Elektrizitätslehre. Wie dort kann die Gleichung mit einem Zeigerdiagramm umgeformt werden zu:

\tau (t)=|G^{*}|\cdot {\hat  \gamma }\cdot \sin(\omega t+\delta )

mit

|G^{*}|={\sqrt  {G^{2}+(\eta \cdot \omega )^{2}}}

und

\tan \delta ={\frac  {\eta \cdot \omega }{G}}

Die Schubspannung ist also um den Phasenwinkel \delta , der einen Wert zwischen 0° und 90° annehmen kann, gegenüber der Scherung verschoben.

In Analogie zur komplexen Wechselstromrechnung können die Größen auch mit komplexen Funktionen beschrieben werden:

\gamma ^{*}={\hat  \gamma }\cdot e^{{i\omega t}}\qquad \qquad \qquad \qquad \qquad {\text{mit}}\quad \gamma (t)=\operatorname {Re}(\gamma ^{*})
\tau ^{*}=(G\cdot {\hat  \gamma }+i\cdot \eta \cdot \omega \cdot {\hat  \gamma })\cdot e^{{i\omega t}}\qquad {\text{mit}}\quad \tau (t)=\operatorname {Re}(\tau ^{*})

Dann ist der komplexe Schubmodul G^{*} der Quotient aus komplexer Schubspannung und komplexer Scherung:

G^{*}={\frac  {\tau ^{*}}{\gamma ^{*}}}={\frac  {(G\cdot {\hat  \gamma }+i\cdot \eta \cdot \omega \cdot {\hat  \gamma })\cdot e^{{i\omega t}}}{{\hat  \gamma }\cdot e^{{i\omega t}}}}=G+i\cdot \eta \cdot \omega

Der Kehrwert

J^{*}={\frac  {1}{G^{*}}}={\frac  {\gamma ^{*}}{\tau ^{*}}}

wird als komplexe Nachgiebigkeit bezeichnet.

Komplexe Viskosität

Leitet man \gamma ^{*} ab, so erhält man die komplexe Schergeschwindigkeit:

{\dot  \gamma }^{*}={\frac  {{\mathrm  {d}}({\hat  \gamma }\cdot e^{{i\omega t}})}{{\mathrm  {d}}t}}={\hat  \gamma }\cdot (i\cdot \omega )\cdot e^{{i\omega t}}

Damit lässt sich die komplexe Viskosität \eta ^{*}=\eta '+i\cdot \eta '' berechnen:

\eta ^{*}={\frac  {\tau ^{*}}{{\dot  \gamma }^{*}}}={\frac  {G^{*}\cdot \gamma ^{*}}{{\dot  \gamma }^{*}}}={\frac  {(G'+i\cdot G'')\cdot {\hat  \gamma }\cdot e^{{i\omega t}}}{{\hat  \gamma }\cdot (i\cdot \omega )\cdot e^{{i\omega t}}}}=\underbrace {{\frac  {G''}{\omega }}}_{{\eta '}}+i\cdot \underbrace {\left(-{\frac  {G'}{\omega }}\right)}_{{\eta ''}}

Ihr Betrag ist:

|\eta ^{*}|={\sqrt  {\left({\frac  {G''}{\omega }}\right)^{2}+\left({\frac  {G'}{\omega }}\right)^{2}}}={\frac  {|G^{*}|}{\omega }}

Aus dem Realteil von \eta ^{*} wird die dynamische Viskosität berechnet:

{\displaystyle Re(\eta ^{*})={\frac {G''}{\omega }}={\frac {\eta \omega }{\omega }}=\eta }
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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung:  Jena, den: 04.08. 2022