Funktionenraum
In der Mathematik ist ein Funktionenraum eine Menge von Funktionen, die alle denselben Definitionsbereich besitzen. Allerdings kann der Begriff Funktionenraum ähnlich wie der mathematische Begriff Raum nicht scharf abgegrenzt werden.
Meist ist ein Funktionenraum mit einer Vektoraddition und Skalarmultiplikation versehen, so dass er einen Vektorraum bildet, dann spricht man von einem linearen Funktionenraum. Viele wichtige lineare Funktionenräume sind unendlichdimensional. Diese bilden einen wichtigen Untersuchungsgegenstand der Funktionalanalysis. Lineare Funktionenräume werden häufig mit einer Norm versehen, sodass ein normierter Raum oder – im Falle der Vollständigkeit – sogar ein Banachraum entsteht. In anderen Fällen werden lineare Funktionenräume durch Definition einer Topologie zu einem topologischen Vektorraum oder einem lokalkonvexen Raum.
Begrifflichkeit
Funktionenräume sind im Bereich der linearen Algebra Vektorräume, deren Elemente als Funktionen aufgefasst werden. Hauptsächlich werden Funktionenräume allerdings im Bereich der Funktionalanalysis betrachtet. Hier wird unter einem Funktionenraum ein Vektorraum mit einer topologischen Struktur verstanden, dessen Elemente als Funktionen aufgefasst werden.
In der linearen Algebra
![](bilder/220px-Example_for_addition_of_functions.svg.png)
Sei
eine nichtleere Menge
und
ein Vektorraum über einem Körper
,
dann bezeichnet
(auch
oder
)
die Menge aller Funktionen von
nach
.
Die Menge
wird für
und für Skalare
durch die folgenden beiden Verknüpfungen zu einem Vektorraum:
- Addition:
- Skalarmultiplikation
Dieser Vektorraum
und die Untervektorräume
von
werden im Bereich der linearen Algebra als linearer Funktionenraum
bezeichnet.
In der Topologie
In der Topologie versteht man unter einem Funktionenraum einen topologischen Raum,
dessen Elemente Funktionen von einer Menge oder einem topologischen Raum
in einen topologischen Raum
sind und dessen Topologie von der Topologie von
und
und eventuellen Zusatzstrukturen, wie zum Beispiel einer Metrik oder einer uniformen Struktur,
abgeleitet ist. Häufig wird die Kompakt-Offen-Topologie
verwendet.
In der Funktionalanalysis
Sei
eine nichtleere Menge,
ein topologischer
Vektorraum (oftmals ein Banachraum
oder lokalkonvexer
Vektorraum) und
der Vektorraum aller Abbildungen von
nach
.
Ein linearer Funktionenraum im Bereich der Funktionalanalysis
ist ein Untervektorraum von
,
der mit einer von
abgeleiteten topologischen Struktur versehen ist.
Geschichte
Die Geschichte der Funktionenräume kann in drei Phasen unterteilt werden. Die
erste Phase begann etwa zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und dauerte bis
in die Mitte der 1930er-Jahre. In dieser Zeit entstanden die Funktionenräume
der
-mal
stetig-differenzierbaren Funktionen, genauso wie die klassischen Lebesgue-Räume der
-integrierbaren
Funktionen. Außerdem werden noch die Räume der hölderstetigen
Funktionen und die klassischen Hardy-Räume
zu dieser Phase gerechnet.
Die zweite, die konstruktive Phase, begann mit den Veröffentlichungen von Sergei Lwowitsch Sobolew aus den Jahren 1935 bis 1938, in denen er die heute nach ihm benannten (ganzzahligen) Sobolew-Räume einführte. Die Theorie der Distributionen entstand und neue Techniken, wie zum Beispiel Einbettungssätze, wurden zum Lösen partieller Differentialgleichungen entwickelt. In dieser Phase wurden Funktionenräume mit Normen beziehungsweise Quasi-Normen ausgestattet. Wichtige neuentwickelte Räume dieser Zeit sind die Zygmund-Räume (oder Klassen), die Slobodeckij-Räume, die klassischen Besov-Räume und die Bessel-Potential-Räume. In den 1960er-Jahren wurden außerdem der BMO-Raum von Fritz John und Louis Nirenberg und die reellen Hardy-Räume von Elias Stein und Guido Weiss eingeführt.
Die dritte Phase, welche als systematische Phase bezeichnet wird, begann in
den 1960er-Jahren und überschnitt sich klar mit der konstruktiven Phase. Hier
wurden die Techniken der Fourier-Analysis
weiterentwickelt und sogenannte Maximalungleichungen untersucht. Mit Hilfe
dieser Werkzeuge wurden die Besov-Lebesgue-Räume
und die Lizorkin-Triebel-Räume
entwickelt. Diese beiden Räume lassen sich in den Raum der temperierten
Distributionen
einbetten. Wie ihre Definitionen vermuten lassen, sind diese Räume sehr eng mit
Fourier-Analysis verflochten.
Ein ähnliches Konzept, allerdings mit kongruenten statt dyadischen Überdeckungen
verfolgen die Modulationsräume.
Beispiele
Topologie
- Sind
und
topologische Räume, so schreibt man
für die Menge der stetigen Funktionen
.
- Ist auf
eine Metrik
gegeben, dann kann man sinnvoll von der Menge der beschränkten Funktionen sprechen (auch ohne Topologie auf
). Für diese Abbildungsmenge wird unter anderem die Notation
verwendet. Ist auch auf
eine Topologie definiert, schreibt man
für die Menge der beschränkten stetigen Funktionen. Auf diesen Räumen wird durch
-
- eine Metrik definiert. Alternativ ist auch die Metrik
- möglich. Diese beiden Metriken erzeugen aber dieselben offenen Mengen, sodass sie äquivalent behandelt werden können.
- Sind die Topologien auf
und
durch eine Pseudometrik oder eine Metrik gegeben, dann schreibt man
für die Menge der gleichmäßig stetigen Funktionen. Sind
uniforme Räume, dann bezeichnet diese Notation die Menge der uniform-stetigen Funktionen, das heißt jener Funktionen, die die uniformen Strukturen respektieren.
- Ist
der Körper der reellen Zahlen oder der komplexen Zahlen und ist aus dem Zusammenhang klar, in welchen Körper die Funktionen abbilden, wird dieser bei der Notation meist weggelassen, und man schreibt dann kurz
,
bzw.
.
Funktionalanalysis
Die meisten Funktionenräume werden in der Funktionalanalysis
untersucht. Die folgende Liste ist eine Auswahl der dort untersuchten Räume. Sei
die Definitionsmenge der untersuchten Funktionen. Dann ist
der Raum der
-fach stetig differenzierbaren Funktionen mit
. Falls
kompakt ist, ist der Raum bezüglich der üblichen Norm
-
- ein Banachraum. Siehe Differentiationsklasse.
der Raum der
-fach stetig differenzierbaren Funktionen, die hölderstetig mit Exponenten
sind. Ist
kompakt, so ist
versehen mit der Norm
-
- ein Banachraum, wobei
ein Multiindex ist.
wird auch als Raum der lipschitzstetigen Funktionen bezeichnet.
,
oder
der Raum der Testfunktionen. Er enthält alle glatten Funktionen mit kompaktem Träger und ist mit der Topologie versehen, welche durch den Konvergenzbegriff induziert wird. Eine Folge
konvergiert in
gegen
, wenn es ein Kompaktum
gibt mit
für alle j, und
-
- für alle Multiindizes
gilt.
der Raum der
-fach Lebesgue-integrierbaren Funktionen (siehe Lp). Dieser Raum besteht nicht aus einzelnen Funktionen, sondern aus Äquivalenzklassen von Funktionen, welche sich nur auf einer Lebesgue-Nullmenge unterscheiden. Aus diesem Grund ist für
auch die
-Norm
-
- positiv definit und damit wirklich eine Norm. Bezüglich dieser Norm ist
der
-Raum auf kompakten Mengen ebenfalls ein Banachraum. Der Spezialfall L2 ist sogar ein Hilbertraum. Dieser Raum wird in der Quantenmechanik häufig benutzt. Es ist der Raum der Wellenfunktionen. Für
kann man die
-Räume analog definieren, jedoch sind diese keine normierten Räume.
der Raum der lokal integrierbaren Funktionen. Sei
eine messbare Funktion. Lokal integrierbar bedeutet, dass für alle kompakten Teilmengen
das Integral
-
- endlich ist. Genauso wie die
-Räume besteht der Raum
aus Äquivalenzklassen von Funktionen. Insbesondere sind stetige Funktionen und Funktionen aus
lokal integrierbar. Der Raum
wird bei der Betrachtungen regulärer Distributionen benötigt.
der Raum der schwach differenzierbaren Funktionen. Er trägt den Namen Sobolew-Raum. Dieser Raum wird oft als Ansatzraum zum Lösen von Differentialgleichungen benutzt. Denn jede stetig differenzierbare Funktion ist auch schwach differenzierbar.
der Raum der Funktionen, die schneller fallen als jede Polynomfunktion. Die Menge heißt Schwartz-Raum, benannt nach dem gleichnamigen, französischen Mathematiker Laurent Schwartz. Der Raum wurde so konstruiert, dass die Fourier-Transformation ein Isomorphismus auf ihm ist. Der Dualraum des Schwartz-Raums ist der Raum der Temperierten Distributionen.
- Indem man reelle oder komplexe Zahlenfolgen
als Abbildungen von
nach
bzw.
auffasst, kann man auch jeden Vektorraum von Folgen als Funktionenraum verstehen.
ist der Raum der holomorphen Funktionen. Diese Funktionen sind beliebig oft differenzierbar, und ihre Taylor-Reihe konvergiert gegen die Ausgangsfunktion. Oftmals nennt man holomorphe Funktionen auch analytisch. Manchmal notiert man diesen Raum auch mit
.
ist der Raum der holomorphen, integrierbaren Funktionen, er heißt Hardy-Raum und ist ein Analogon zum
-Raum. Üblicherweise wird als Definitionsmenge die Einheitssphäre verwendet.
Funktionenräume in der theoretischen Informatik
Hier werden insbesondere Funktionenräume im Zusammenhang mit Modellen des Lambda-Kalküls
verwendet. Dessen Objekte treten gleichermaßen als Funktionen, aber auch als
deren Argumente und Resultate auf. Wünschenswert ist daher ein
Gegenstandsbereich ,
dessen Funktionenraum
isomorph zu
selbst ist, was aus Kardinalitätsgründen aber nicht möglich ist. Dana Scott konnte dieses
Problem 1969 durch Einschränkung von
auf stetige Funktionen bzgl. einer geeigneten Topologie auf
lösen.
Bezeichnet
die stetigen
Funktionen einer vollständigen
Halbordnung, dann ist
.
Diese Form von Funktionenräumen ist heute Gegenstand der Bereichstheorie.
Später konnte ein ebenfalls geeigneter Funktionenraum
als Retraktion
eines Objekts
in einer kartesisch
abgeschlossenen Kategorie gefunden werden.
Literatur
- Hans Triebel: Theory of function spaces. Birkhäuser Verlag, 1983, ISBN 3-7643-1381-1.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 26.05. 2021