Partielle Ableitung
In der Differentialrechnung ist eine partielle Ableitung die Ableitung einer Funktion mit mehreren Argumenten nach einem dieser Argumente (in Richtung dieser Koordinatenachse). Die Werte der übrigen Argumente werden also konstant gehalten.
Definition
Erster Ordnung
Sei
eine offene Teilmenge des euklidischen Raums
und
eine Funktion. Sei weiterhin ein Element
in
gegeben. Falls für die natürliche Zahl
mit
der Grenzwert
existiert, dann nennt man ihn die partielle Ableitung von
nach der
-ten
Variablen
im Punkt
.
Die Funktion
heißt dann im Punkt
partiell differenzierbar. Das Symbol ∂
(es ähnelt dem kursiven
Schnitt der kyrillischen
Minuskel
д) wird als
oder zur Unterscheidung auch del
ausgesprochen. Die Schreibweise
wurde durch Verwendung von C.
G. J. Jacobi bekannt.
Dem gegenüber existiert in der Technischen
Mechanik eine andere Schreibweise, bei der die Richtung der Funktion mit
einem Komma im Index angezeigt wird um von der Richtung des Arguments der
Funktion zu unterscheiden: So ist die Ableitung der Verschiebung
(also die Verschiebung in
-Richtung)
folgendermaßen äquivalent
.
Analog dazu wäre
die Ableitung in
-Richtung
einer Verschiebung in
-Richtung.
Höhere Ordnung
Die partielle Ableitung nach
ist selbst wieder eine Funktion von
nach
,
falls
in ganz
nach
partiell differenzierbar ist. Als abkürzende Schreibweise für die partiellen
Ableitungen
ist auch oft
,
oder
zu finden.
Ist die Funktion
in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs partiell differenzierbar, so sind die
partiellen Ableitungen
wieder Funktionen von
nach
,
die wiederum auf Differenzierbarkeit untersucht werden können. Man erhält so
höhere partielle Ableitungen
und
Geometrische Deutung
In einem dreidimensionalen
Koordinatensystem
wird der Funktionsgraph
einer Funktion
betrachtet. Der Definitionsbereich
sei eine offene Teilmenge der xy-Ebene.
Ist
differenzierbar, dann ist der Graph der Funktion eine Fläche über
dem Definitionsbereich
.
Für einen festen Wert von
ist dann
eine Funktion in
.
Bei festem
ergeben die Punkte
eine Strecke
parallel zur
-Achse.
Diese Strecke wird von
auf eine gekrümmte Linie auf dem Graph von
projiziert. Die partielle Ableitung von
nach
entspricht unter diesen Voraussetzungen der Steigung der Tangente an diese Kurve
im Punkt
.
Sätze und Eigenschaften
Zusammenhang Ableitung, partielle Ableitung, Stetigkeit
- Total differenzierbare Funktionen sind stetig.
- Total differenzierbare Funktionen sind partiell differenzierbar.
- Partiell differenzierbare Funktionen sind nicht notwendigerweise stetig und damit auch nicht notwendigerweise total differenzierbar.
- Stetig partiell differenzierbare Funktionen, also Funktionen, deren partielle Ableitungen stetig sind, sind dagegen stetig total differenzierbar.
Satz von Schwarz
- Es gilt der Satz
von Schwarz: Wenn die zweiten partiellen Ableitungen stetig sind, so kann
man die Reihenfolge der Ableitung vertauschen:
Verwendung
- Die ersten partiellen Ableitungen lassen sich in einem Vektor anordnen,
dem Gradienten
von
:
-
- Hierbei ist
der Nabla-Operator.
- Die zweiten partiellen Ableitungen lassen sich in einer Matrix anordnen,
der Hesse-Matrix
- Es gilt die Taylorformel:
Wenn die Funktion
-mal stetig partiell differenzierbar ist, so lässt sie sich in der Nähe jedes Punktes
durch ihre Taylor-Polynome approximieren:
-
- mit
, wobei das Restglied
für
von höherer als
-ter Ordnung verschwindet, das heißt:
- Die Terme zu gegebenem ν ergeben die „Taylorapproximation
-ter Ordnung“.
- Einfache Extremwertprobleme findet man in der Analysis bei der Berechnung von Maxima und Minima einer Funktion einer reellen Variablen (vgl. hierzu den Artikel über Differentialrechnung). Die Verallgemeinerung des Differentialquotienten auf Funktionen mehrerer Variablen (Veränderlichen, Parameter) ermöglicht die Bestimmung ihrer Extremwerte, und für die Berechnung werden partielle Ableitungen benötigt.
- In der Differentialgeometrie benötigt man partielle Ableitungen zur Bestimmung eines totalen Differentials. Anwendungen für totale Differentiale findet man in großem Maße in der Thermodynamik.
- Partielle Ableitungen sind darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil der Vektoranalysis. Sie bilden die Komponenten des Gradienten, des Laplace-Operators, der Divergenz und der Rotation in Skalar- und Vektorfeldern. Sie treten auch in der Jacobi-Matrix auf.
Beispiele
Beispiel 1
![](bilder/220px-Graph_Paraboloid.gif)
Als Beispiel wird die Funktion
mit
betrachtet, die von den beiden Variablen
und
abhängt.
Betrachtet man
als eine Konstante, z.B.
,
so hängt die Funktion
mit
nur noch von der Variablen
ab:
Für die neue Funktion gilt folglich
und man kann den Differenzialquotienten bilden
Das gleiche Ergebnis erhält man, wenn man die partielle Ableitung der
Funktion
nach
bildet:
Die partielle Ableitung von
nach
lautet entsprechend:
Dieses Beispiel demonstriert, wie die partielle Ableitung einer Funktion bestimmt wird, die von mehreren Variablen abhängt:
Bis auf eine Variable werden alle anderen Variablen als konstant angenommen, bezüglich dieser einen Variablen wird der Differenzialquotient bestimmt. Als Ergebnis erhält man die partielle Ableitung der Funktion nach dieser einen Variablen.
Beispiel 2
Da die partielle Ableitung nach einer Variablen der gewöhnlichen Ableitung bei festgehaltenen Werten aller anderen Variablen entspricht, können für die Berechnung alle Ableitungsregeln wie bei Funktionen einer Variablen verwendet werden. Ist beispielsweise
,
so folgt mit Produkt- und Kettenregel:
und
.
Beispiel 3
![](bilder/220px-Sin_x_plus_cos_y_plot.gif)
In der obigen Animation sieht man den Graphen der Funktion .
Legt man einen Punkt
aus dem Definitionsbereich fest, so kann man den Graphen
der Funktion mit einer senkrechten Ebene in x-Richtung schneiden. Der Schnitt
des Graphen mit der Ebene erzeugt einen klassischen Graphen aus der
eindimensionalen Analysis. Partielle Ableitungen können so auch anschaulich auf
die klassische eindimensionale Analysis zurückgeführt werden.
,
und
.
Partielle und totale Ableitung nach der Zeit
In der Physik (vor allem in der theoretischen
Mechanik) tritt häufig die folgende Situation auf: Eine Größe hängt durch
eine total differenzierbare Funktion
von den Ortskoordinaten
,
,
und von der Zeit
ab. Man kann also die partiellen Ableitungen
,
,
und
bilden. Die Koordinaten eines sich bewegenden Punktes sind durch die Funktionen
,
und
gegeben. Die zeitliche Entwicklung des Werts der Größe am jeweiligen Bahnpunkt
wird dann durch die verkettete Funktion
beschrieben. Diese Funktion hängt nur von einer Variablen, der Zeit ,
ab. Man kann also die gewöhnliche Ableitung bilden. Diese nennt man die
totale oder vollständige Ableitung von
nach der Zeit
und schreibt dafür auch kurz
.
Sie berechnet sich nach der mehrdimensionalen
Kettenregel wie folgt:
Während bei der partiellen Ableitung
nach der Zeit nur die explizite Abhängigkeit der Funktion
von
berücksichtigt wird und alle anderen Variablen konstant gehalten werden,
berücksichtigt die totale Ableitung
auch die indirekte (oder implizite) Abhängigkeit von
,
die dadurch zustande kommt, dass längs der Bahnbewegung die Ortskoordinaten von
der Zeit abhängen.
(Indem man also die implizite Zeitabhängigkeit mitberücksichtigt, redet man im Jargon der Physik auch von „substantieller“ Zeitableitung, bzw. im Jargon der Strömungsmechanik von der Euler-Ableitung im Gegensatz zur Lagrange-Ableitung.)
→ Für eine ausführlichere Darstellung siehe totales Differential
Verallgemeinerung: Richtungsableitung
Eine Verallgemeinerung der partiellen Ableitung stellt die Richtungsableitung dar. Dabei wird die Ableitung in Richtung eines beliebigen Vektors betrachtet und nicht nur in Richtung der Koordinatenachsen.
Literatur
- Kurt Endl; Wolfgang Luh: Analysis II, Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt am Main, 1974
- Hans Grauert; Wolfgang Fischer: Differential- und Integralrechnung II, 2., verbesserte Auflage, Springer Verlag Berlin, 1978
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 30.12. 2021