Noether-Theorem
Das Noether-Theorem (formuliert 1918 von Emmy Noether) verknüpft elementare physikalische Begriffe wie Ladung, Energie und Impuls mit geometrischen Eigenschaften, nämlich der Invarianz (Unveränderlichkeit) der Wirkung unter Symmetrietransformationen:
-
- Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße.
Dabei ist eine Symmetrie eine Transformation (zum Beispiel eine Drehung oder Verschiebung), die das Verhalten des physikalischen Systems nicht ändert.
Eine Erhaltungsgröße
eines Systems von Teilchen ist eine Funktion der Zeit
,
des Ortes
der Teilchen und ihrer Geschwindigkeit
,
deren Wert sich auf jeder physikalisch durchlaufenen Bahn
nicht mit der Zeit ändert. Zum Beispiel ist die Energie
eines Teilchens der Masse
,
das sich in einem skalaren Potential
bewegt, eine Erhaltungsgröße, d.h. für alle Zeiten
und überall, also für jede feste Koordinate
gilt:
.
Beispiele für Symmetrien und zugehörige Erhaltungsgrößen
- Aus der Homogenität der Zeit (Wahl der Startzeit spielt keine Rolle) folgt die Erhaltung der Energie (Energieerhaltungssatz). So bleibt die Energie eines Pendels bei Vernachlässigung von Reibung stets gleich, nicht aber die Energie einer Schaukel, auf der ein Kind durch Heben und Senken seines Körpers die Länge von der Aufhängung bis zum Schwerpunkt zeitlich verändert.
- Aus der Homogenität des Raums (Wahl des Startortes spielt keine Rolle)
ergibt sich die Erhaltung des Impulses (Impulserhaltungssatz).
So ist der Impuls eines freien Teilchens konstant, nicht aber der Impuls eines
Teilchens im Gravitationsfeld
der Sonne; ihr Ort ist für die Bewegung des Teilchens wesentlich. Weil sich
ein freies Teilchen der Masse
unverändert mit gleichförmiger Geschwindigkeit
bewegt, wenn es ein gleichförmig bewegter Beobachter betrachtet, ist der gewichtete Startort,
, eine Erhaltungsgröße,
. Auf mehrere Teilchen verallgemeinert folgt, dass sich der Schwerpunkt mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegt, wenn die Gesamtkraft verschwindet.
- Aus der Isotropie
des Raums, also der Rotationsinvarianz (Richtung im Raum spielt keine Rolle),
ergibt sich die Erhaltung des Drehimpulses
(Drehimpulserhaltungssatz).
So bleibt der Drehimpuls eines Teilchens im Gravitationsfeld der Sonne
erhalten, denn das Gravitationspotential
ist in allen Richtungen gleich.
Die Symmetrien, die zur Erhaltung der elektrischen Ladung und anderer Ladungen von Elementarteilchen gehören, betreffen Wellenfunktionen von Elektronen, Quarks und Neutrinos. Jede solche Ladung ist ein lorentzinvarianter Skalar, das heißt, sie hat in allen Bezugssystemen denselben Wert, anders als beispielsweise der Drehimpuls, die Energie oder der Impuls.
Mathematische Formulierung
Wirkung
Der im Noether-Theorem formulierte Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungsgrößen gilt für solche physikalischen Systeme, deren Bewegungs- oder Feldgleichungen aus einem Variationsprinzip abgeleitet werden können. Man verlangt hierbei, dass das so genannte Wirkungsfunktional einen Extremwert annimmt (siehe auch Prinzip der kleinsten Wirkung).
Bei der Bewegung von Massepunkten ist dieses Wirkungsfunktional
durch eine Lagrangefunktion
der Zeit
,
des Ortes
und der Geschwindigkeit
charakterisiert und ordnet jeder differenzierbaren Bahnkurve
das Zeitintegral
zu. Beispielsweise ist in Newtonscher Physik die Lagrangefunktion eines
Teilchens im Potential
die Differenz von kinetischer und potentieller Energie
.
Die physikalisch tatsächlich durchlaufene Bahn, die zur Anfangszeit
durch den Startpunkt
und zur Endzeit
durch den Endpunkt
geht, macht den Wert der Wirkung im Vergleich mit allen anderen
(differenzierbaren) Bahnen, die durch denselben Start- bzw. Endpunkt gehen,
stationär (oder extremal).
Die physikalisch tatsächlich durchlaufene Bahn erfüllt daher die
Bewegungsgleichung
(Herleitung siehe Variationsrechnung). Dies entspricht gerade der Newtonschen Bewegungsgleichung
.
Differentialgleichungen, die sich derart aus einem Wirkungsfunktional durch Variation ableiten lassen, nennt man variationell selbstadjungiert. Alle elementaren Feld- und Bewegungsgleichungen der Physik sind variationell selbstadjungiert.
Symmetrie
Man sagt, dass eine Differentialgleichung eine Symmetrie besitzt, wenn es eine Transformation des Raumes der Kurven gibt, die die Lösungen der Differentialgleichungen auf Lösungen abbildet. Für variationell selbstadjungierte Differentialgleichungen erhält man eine solche Transformation, wenn die Transformation das Wirkungsfunktional bis auf Randterme invariant lässt. Das Noether-Theorem besagt, dass die Invarianz des Wirkungsfunktionals gegenüber einer einparametrigen stetigen Transformationsgruppe die Existenz einer Erhaltungsgröße zur Folge hat und dass umgekehrt jede Erhaltungsgröße die Existenz einer (mindestens infinitesimalen) Symmetrie der Wirkung zur Folge hat.
Wir beschränken uns hier auf Symmetrien in der klassischen Mechanik.
Sei
eine einparametrige, differenzierbare Gruppe von Transformationen, die (genügend
differenzierbare) Kurven
auf Kurven
abbildet und gehöre der Parameterwert
zur identischen Abbildung,
.
Beispielsweise bildet
mit
jede Kurve
auf die um
früher durchlaufene Kurve ab. Die Transformation
mit
verschiebt jede Kurve um eine Konstante
.
Die Transformationen
heißen lokal, wenn sich die Ableitung bei der identischen Abbildung, die
infinitesimale Transformation
für alle Kurven
als Funktion
der Zeit, des Ortes
und der Geschwindigkeit
,
ausgewertet auf der Kurve
,
schreiben lässt,
Beispielsweise sind die Verschiebungen von Zeit und Ort lokal und gehören zur
infinitesimalen Transformation
beziehungsweise zu
.
Sei nun
die Lagrangefunktion des mechanischen Systems. Dann heißen die lokalen
Transformationen
Symmetrien der Wirkung, wenn sich für alle Kurven
die Lagrangefunktion bei infinitesimalen Transformationen nur um die
Zeitableitung einer Funktion
,
ausgewertet auf
,
ändert,
.
Denn dann ändert sich die Wirkung nur um Randterme
.
Der Zusammenhang dieser Definition der Symmetrie der Wirkung mit der
Erhaltungsgröße wird klar, wenn man die partiellen Ableitungen der
Lagrangefunktion nach
ausführt, und dabei als Kurzschrift die Definition der infinitesimalen
Transformation verwendet
Ergänzt man den ersten Term zu einem Vielfachen der Bewegungsgleichung und zieht man die Ergänzung beim zweiten Term ab, entsteht
und die Definitionsgleichung einer infinitesimalen Symmetrie einer Wirkung lautet
.
Da aber das -fache
der Bewegungsgleichungen auf den physikalisch durchlaufenen Bahnen verschwindet,
besagt diese Gleichung, dass die Funktion
die zur Symmetrie gehörige Noetherladung, sich auf den physikalisch durchlaufenen Bahnen nicht ändert,
.
Umgekehrt ist jede Erhaltungsgröße definitionsgemäß eine Funktion ,
deren Zeitableitung auf physikalischen Bahnen verschwindet, also ein Vielfaches
(von Ableitungen) der Bewegungsgleichungen ist. Dieses Vielfache definiert die
infinitesimale Symmetrie
.
Anmerkungen
- Symmetrien der Bewegungsgleichungen sind nicht immer Symmetrien der
Wirkung. Beispielsweise ist die Streckung
eine Symmetrie der Bewegungsgleichung
des freien Teilchens, nicht aber eine Symmetrie seiner Wirkung mit der Lagrangefunktion
. Zu solch einer Symmetrie der Bewegungsgleichungen gehört keine Erhaltungsgröße.
- Die zu einer Symmetrie gehörige Erhaltungsgröße als Funktion der Zeit, des Ortes und der Geschwindigkeiten verschwindet genau dann, wenn es sich um eine Eichsymmetrie handelt. In solch einem Fall sind die Bewegungsgleichungen nicht unabhängig, sondern eine Bewegungsgleichung gilt als Folge der anderen. Dies besagt das zweite Noethertheorem.
- Das Noethertheorem für translatorische und rotierende Bewegungen
- Translatorische Bewegungen: Das Noethertheorem erklärt, warum man bei Multiplikation der Newtonschen Bewegungsgleichungen mit den Geschwindigkeiten bei zeitunabhängigem Potential den Energieerhaltungssatz erhält: die Geschwindigkeit ist die infinitesimale Änderung des Ortes bei zeitlicher Verschiebung.
- Rotierende
Bewegungen: Ebenso erklärt das Noethertheorem, warum bei drehinvariantem
Potential das Produkt der Bewegungsgleichungen mit dem Kreuzprodukt
auf die Erhaltung des Drehimpulses in Richtung
führt: das Kreuzprodukt
ist die infinitesimale Änderung von
bei Drehung um die Achse
Die Eulersche Turbinengleichung wendet die Erhaltung des Drehimpulses auf die Auslegung von rotierenden Arbeitsmaschinen (Turbinen) an.
- Bei Verschiebungen und Drehungen des Ortes ist die Lagrangefunktion strikt
invariant, das heißt, die Funktion
verschwindet. Das gilt aber nicht für zeitliche Verschiebung und bei Transformation auf ein gleichmäßig bewegtes Bezugssystem. Unter zeitlichen Verschiebungen ist die Wirkung invariant, wenn die Lagrangefunktion nur vom Ort
und der Geschwindigkeit
, nicht aber von der Zeit abhängt. Dann ändert sich die Lagrangefunktion unter zeitlichen Verschiebungen um
mit
. Die zugehörige Erhaltungsgröße ist definitionsgemäß die Energie
-
.
Ist bekannt, wie die Energie von der Geschwindigkeit abhängt, so legt diese
Gleichung die Lagrangefunktion bis auf einen Anteil fest, der linear in den
Geschwindigkeiten ist und nicht zur Energie beiträgt. Denn zerlegt man die
Lagrangefunktion beispielsweise in Anteile ,
die homogen vom Grad
in der Geschwindigkeit sind, dann tragen sie mit
zur Energie bei. Ist also
,
so ist die Lagrangefunktion
.
Insbesondere besteht in Newtonscher Physik die Energie aus der kinetischen
Energie, die quadratisch in der Geschwindigkeit ist, ,
und der geschwindigkeitsunabhängigen potentiellen Energie,
.
Daher ist die Lagrangefunktion
-mal
die kinetische Energie plus
-mal
potentielle Energie. In der relativistischen Physik sind in Maßsystemen mit
die Lagrangefunktion und die Energie eines freien Teilchens der Masse
.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 29.12. 2019