Prädikatenlogik zweiter Stufe
Die Prädikatenlogik zweiter Stufe ist ein Teilgebiet der mathematischen Logik. Sie erweitert die Prädikatenlogik erster Stufe um die Möglichkeit, über alle Relationen zu quantifizieren. Die Prädikatenlogik der zweiten Stufe ist daher echt ausdrucksstärker als die der ersten Stufe, bestimmte wichtige Sätze gelten jedoch nicht mehr, wie etwa der Kompaktheitssatz.
Die Sprache der Prädikatenlogik zweiter Stufe
Dieser Artikel benutzt die im Artikel Prädikatenlogik erster Stufe eingeführten Begriffe und Bezeichnungen.
Symbole
Die Symbole der Prädikatenlogik zweiter Stufe enthalten neben denjenigen der ersten Stufe
- logische Symbole
,
,
,
,
,
,
,
,
,
- Variablensymbole
,
,
, …
- eine (möglicherweise leere) Menge
von Konstantensymbolen
- eine (möglicherweise leere) Menge
von Funktionssymbolen
- eine (möglicherweise leere) Menge
von Relationssymbolen
zusätzlich noch
- Relationsvariablensymbole
,
,
, …
deren Stelligkeit nötigenfalls
als oberer Index notiert wird. Sie treten neben die Variablensymbole .
Auch wenn die intendierte Anwendung, nämlich die Quantifizierung über alle
Relationen, schon im Namen steckt, wollen wir an dieser Stelle wie in der
Prädikatenlogik erster Ordnung davon absehen und die Symbole und die
nachfolgenden Bildungsgesetze zunächst rein syntaktisch
sehen. Die Konstanten-, Funktions- und Relationssymbole
,
und
werden wieder zu einer Menge
zusammengefasst, die man dann die Signatur der Sprache nennt. Man beachte, dass
die Relationssymbole zur Signatur gehören, die Relationsvariablensymbole
hingegen nicht.
Terme und Ausdrücke
Terme, genauer -Terme,
werden wie in der Prädikatenlogik erster Stufe durch die dort angegebenen
Bildungsgesetze erklärt. Damit wurden mittels weiterer Bildungsgesetze
-Ausdrücke
definiert. Wir ergänzen diese durch zwei weitere Regeln:
- Ist
ein n-stelliges Relationsvariablensymbol und sind
Terme, so ist
ein
-Ausdruck.
- Sind
ein
-Ausdruck und
ein Relationsvariablensymbol, so sind
und
ebenfalls
-Ausdrücke.
2. Stufe
Alle -Ausdrücke,
die sich nach oben angegebenen Regeln erstellen lassen, bilden die mit
bezeichnete Sprache, wobei die römische
für die zweite Stufe steht. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass man hier
nicht nur über alle Variablen quantifizieren kann, sondern gemäß dem oben
angegebenen zweiten Bildungsgesetz auch über alle Relationsvariablen. Damit
können wir mehr Ausdrücke als in der Prädikatenlogik erster Stufe bilden,
während zum Beispiel die Peano-Axiome
in der Prädikatenlogik erster Stufe nicht formulierbar sind, werden wir unten
sehen, dass die zweite Stufe über eine hinreichende Ausdrucksstärke verfügt.
Metasprachliche Ausdrücke
Im Folgenden werden wir metasprachliche
Ausdrücke für Formeln aus
verwenden, das heißt wir werden in unseren Formeln Schreibweisen einsetzen, die
nicht durch oben angegebene Regeln gedeckt sind. An Stelle von
verwenden wir kleine Buchstaben wie
und statt
große Buchstaben wie
und achten darauf, dass keine Konflikte mit den Elementen der Signatur
entstehen. Ferner erlauben wir uns suggestive Abkürzungen wie zum Beispiel
für
.
Der einzige Grund dafür ist die bessere Lesbarkeit der auftretenden Formeln; es
ist in jedem Fall klar, welcher syntaktisch korrekte Ausdruck mit einer solchen
Formel gemeint ist.
Semantik
Strukturen und Interpretationen
Wir gehen von einer Sprache
aus und werden jetzt den oben eingeführten Symbolen eine Bedeutung zuweisen. Wir
gehen wie in der Prädikatenlogik erster Stufe vor und definieren wie dort Strukturen
über der Signatur
,
um unseren Symbolen darin Konstanten, Funktionen, Relationen zuordnen zu können.
Eine Interpretation ist ein Paar
bestehend aus einer
-Struktur
über einer Menge
und einer sogenannten Belegungsfunktion
die jeder Variablen
ein Element aus
und jeder Relationsvariablen
eine Relation gleicher Stelligkeit über
zuordnet. Ist
eine solche Belegung,
eine Variable und
,
so sei
wieder diejenige Belegung, die mit Ausnahme von
an allen Stellen mit
übereinstimmt und lediglich an der Stelle
den möglicherweise abweichenden Wert
hat. Ist analog
eine Relationsvariable und
eine Relation auf
,
so sei
diejenige Belegung, die mit Ausnahme von
an allen Stellen mit
übereinstimmt, lediglich an der Stelle
den möglicherweise abweichenden Wert
hat. Man schreibt
und
Modelle
Wir sagen, dass eine Interpretation
ein Modell für einen Ausdruck
ist, und schreiben dafür
,
wenn sich dies auf Grund folgender Regeln ergibt, wobei der regelhafte Aufbau
der Sprache
verwendet wird:
Damit ist den Symbolen eine inhaltliche Bedeutung zugewiesen. Ist
eine Menge von Ausdrücken der betrachteten Sprache und ist
für alle
,
so schreiben wir abkürzend wieder
.
Ist
eine Menge von Sätzen, das heißt die
enthalten keine freien Variablen, so sagt man auch, dass
ein Modell ist, denn die Modellbeziehung hängt in diesem Fall gar nicht von der
konkreten Belegung ab.
Peano-Axiome
Bekanntlich lassen sich die Peano-Axiome nicht in der Prädikatenlogik erster
Stufe formulieren, da das Induktionsaxiom
eine Aussage über alle Teilmengen der betrachteten Grundmenge trifft, aber nicht
über alle Teilmengen quantifiziert werden kann. Da Teilmengen aber nichts
anderes als einstellige Relationen sind, kann man mit der Signatur ,
wobei 0 ein Konstantensymbol ist, genannt Nullelement, und
ein einstelliges Funktionssymbol, genannt Nachfolgerfunktion, folgende Ausdrücke
bilden:
Betrachten wir Interpretationen, also -Strukturen,
in denen das Symbol 0 dann Element einer Menge ist und
eine auf dieser definierte Funktion, so sagt der erste Ausdruck, dass 0 kein
Nachfolger ist, denn 0 ist von allen Bildern
verschieden. Die zweite Zeile drückt die Injektivität
der Nachfolgerfunktion aus. Die dritte Zeile schließlich besagt, dass jede
einstellige Relation
(das heißt Teilmenge des betrachteten Grundbereichs), die auf 0 zutrifft und mit
jedem
,
auf das sie zutrifft, auch auf den Nachfolger
zutrifft, für alle Variablen
gilt, womit das Induktionsaxiom formuliert ist. Damit ist die Prädikatenlogik
zweiter Stufe echt ausdrucksstärker als diejenige erster Stufe.
Schließlich kann man zeigen, dass je zwei -Strukturen,
die Modelle obiger
-Ausdrücke
sind, isomorph sind. In der Prädikatenlogik zweiter Stufe gibt es also keine
Nichtstandardmodelle der natürlichen Zahlen.
Reelle Zahlen
Die Theorie der geordneten
Körper, die sich mit der Signatur
in der Sprache
formulieren lässt, erlaubt keine eindeutige Kennzeichnung der reellen Zahlen bis
auf Isomorphie, denn das Vollständigkeitsaxiom,
nach dem jede nicht-leere, nach oben beschränkte Menge ein Supremum
besitzt, lässt sich in
nicht formulieren. Dieser Mangel an Ausdrucksstärke der Prädikatenlogik erster
Stufe führt zur Nichtstandardanalysis.
In der hier behandelten Prädikatenlogik zweiter Stufe gelingt folgende
Symbolisierung der Vollständigkeit:
Zur Erläuterung dieser Formel beachte man, dass die einstellige Relation
wieder für Teilmengen der Grundgesamtheit einer Interpretation steht. Für alle
Teilmengen soll also gelten: Wenn diese nicht leer ist,
,
und wenn diese nach oben beschränkt ist,
,
dann gibt es ein
,
so dass dieses obere Schranke der Menge ist,
,
und jedes kleinere Element nicht mehr obere Schranke ist,
.
Damit ist das Vollständigkeitsaxiom in
formuliert.
Mächtigkeiten
Die Prädikatenlogik zweiter Stufe bietet Möglichkeiten, über Mächtigkeiten von Mengen zu reden, die weit über die Prädikatenlogik erster Stufe hinausgehen. Im Folgenden verwenden wir die Abkürzung
für
was in jeder Interpretation offenbar bedeutet, dass es genau ein
mit
gibt.
Endliche Mengen
Bekanntlich kann man in der Prädikatenlogik erster Stufe nicht ausdrücken, dass eine Menge endlich ist. Man kann lediglich mittels Sätzen der Art
sagen, dass eine Menge (das heißt der Grundbereich einer Interpretation)
mindestens
Elemente hat.
trifft dann nur auf Mengen mit genau
Elementen zu. Die Endlichkeit einer Menge wäre dann eine unendliche
Disjunktion
die man weder in der ersten noch in der zweiten Stufe bilden kann. In der Prädikatenlogik zweiter Stufe hat man aber
.
In jedem Modell dieses Satzes bedeutet ,
dass die zweistellige Relation
eine Funktion des Grundbereichs in sich ist,
sagt, dass diese injektiv ist, und
,
dass sie surjektiv ist. Obige Formel sagt also aus, dass jede injektive Funktion
des Grundbereichs in sich automatisch surjektiv ist, eine Aussage, die
bekanntlich genau auf endliche Mengen zutrifft. Daher bedeutet die Formel
tatsächlich, dass alle sie erfüllenden Modelle endlich sind. Dies zeigt erneut,
dass die Prädikatenlogik zweiter Stufe echt ausdrucksstärker ist als die erste
Stufe.
Abzählbare Mengen
Man kann in der Prädikatenlogik zweiter Stufe sogar ausdrücken, dass eine
Menge höchstens abzählbar
ist, denn eine Menge ist genau dann höchstens abzählbar, wenn es eine lineare
Ordnungsrelation auf ihr gibt, in der jeder Anfangsabschnitt endlich ist.
Dass
eine lineare Ordnung ist, wird offenbar durch
beschrieben, denn diese Formel bedeutet von links nach rechts, dass die
zweistellige Relation irreflexiv, transitiv und linear ist. Eine einstellige
Relation ,
die für eine Teilmenge des Grundbereichs steht, ist genau dann endlich, wenn
jede injektive Funktion dieser Teilmenge in sich schon surjektiv ist, was sich
in Analogie zu obigem
wie folgt symbolisieren lässt:
.
Die folgende Formel symbolisiert dann, dass es auf einer Menge eine lineare Ordnung gibt, in der jeder Anfangsabschnitt endlich ist, und das ist äquivalent dazu, dass die Menge höchstens abzählbar ist:
Mängel der Prädikatenlogik zweiter Stufe
Wie die folgenden Ausführungen zeigen, führt die größere Ausdrucksstärke der Prädikatenlogik zweiter Stufe dazu, dass viele wichtige Sätze der Prädikatenlogik erster Stufe nicht mehr gelten.
Ungültigkeit des Kompaktheitssatzes
Mit den oben eingeführten Formeln
und
lässt sich leicht zeigen, dass für die Prädikatenlogik zweiter Stufe kein Kompaktheitssatz
gelten kann. Offenbar ist jede endliche Teilmenge der Formelmenge
erfüllbar, das heißt, sie hat ein Modell, denn eine endliche Teilmenge dieser
Formelmenge ist für geeignetes
in
enthalten, weshalb jede endliche Menge mit mindestens
Elementen ein Modell ist. Dagegen gibt es kein Modell für die gesamte
Formelmenge, denn ein Modell von
muss eine endliche Menge sein und kann daher nicht alle
erfüllen.
Da der Kompaktheitssatz aber für die Prädikatenlogik erster Stufe gilt, zeigt
diese Überlegung noch einmal, dass
in der Prädikatenlogik erster Stufe nicht formulierbar sein kann.
Ungültigkeit des Satzes von Löwenheim-Skolem
Im Abschnitt Mächtigkeit hatten wir eine -Formel
erstellt, deren Modelle genau die höchstens abzählbaren Mengen sind. Würde der
Satz
von Löwenheim-Skolem auch für die Prädikatenlogik zweiter Stufe gelten, so
müsste es zur Formelmenge
ein abzählbares Modell geben, was aber nicht sein kann, denn jedes Modell von
ist notwendigerweise überabzählbar.
Unvollständigkeit der Prädikatenlogik zweiter Stufe
In der Prädikatenlogik erster Stufe kann man einen Sequenzenkalkül aufstellen und von diesem nachweisen, dass er für alle Herleitungen in einer Sprache der Prädikatenlogik erster Stufe ausreichend ist, das ist der sogenannte Gödelsche Vollständigkeitssatz. Man könnte nun versuchen, einen solchen Sequenzenkalkül um Elemente, die den Umgang mit Relationsvariablensymbolen festlegen, zu erweitern, um auch für die Prädikatenlogik zweiter Stufe alle Herleitungen auf rein syntaktische Weise in einem solchen Kalkül ausführen zu können. Ein solcher Versuch muss scheitern, denn mit einem vollständigen Sequenzenkalkül für die Prädikatenlogik zweiter Stufe könnte man den Beweis, der in der Prädikatenlogik erster Stufe daraus auf den Kompaktheitssatz schließt, auf die Prädikatenlogik zweiter Stufe übertragen, aber wir wissen ja schon, dass der Kompaktheitssatz hier nicht gilt.
Bezeichnet man das Schließen in einem solchen Sequenzenkalkül
mit
,
so bedeutet
,
dass sich der Ausdruck
durch Anwendungen der Regeln des Sequenzenkalküls aus der Formelmenge
herleiten lässt. Die Schreibweise
bedeute wie oben, dass jedes Modell, das
erfüllt, auch
erfüllen muss. Die gerade ausgeführte Überlegung zeigt also, dass es keinen
Sequenzenkalkül
gibt, so dass für alle Formelmengen
und Ausdrücke
die Äquivalenz
genau dann, wenn
gilt. Das schließt nicht aus, dass es einen Sequenzenkalkül geben könnte, der
diese Äquivalenz für
erfüllt, dann hätte man immerhin einen Sequenzenkalkül für allgemeingültige
Aussagen, aber auch das ist nicht der Fall, wie Kurt Gödel zeigen konnte.
Diese Aussage nennt man die Unvollständigkeit der
Prädikatenlogik zweiter Stufe. Es sei darauf hingewiesen, dass dies nicht
der Gödelsche
Unvollständigkeitssatz ist.
Fragmente der Prädikatenlogik zweiter Stufe
Für Anwendungen werden gewisse Beschränkungen der Ausdrücke der Prädikatenlogik zweiter Stufe betrachtet, man spricht von Fragmenten der Prädikatenlogik zweiter Stufe und interessiert sich für deren Ausdrucksstärke.
∃SO und ∀SO
In der existentiellen Prädikatenlogik zweiter Stufe beschränkt man sich auf Ausdrücke der Form
,
wobei
ein Ausdruck der Prädikatenlogik erster Stufe in einer um
erweiterten Signatur ist. Insbesondere sind keine Allquantoren über
Relationensymbole erlaubt. Wegen der englischen Bezeichnung existential
second order logic wird dieses Fragment mit ∃SO bezeichnet. Die Klasse der
mittels ∃SO-Ausdrücken definierbaren Strukturen ist über den Satz von Fagin eng mit
den Sprachen
der Komplexitätsklasse
NP verbunden, so dass sich bei geeigneter Codierung ∃SO mit NP
identifizieren lassen.
Analog besteht die universelle Prädikatenlogik zweiter Stufe aus Ausdrücken der Form
,
mit einem Ausdruck
der Prädikatenlogik erster Stufe wie oben. Dieses Fragment wird mit ∀SO
bezeichnet. In der Komplexitätstheorie gehört ∀SO zur Komplexitätsklasse
coNP, denn die ∀SO-Ausdrücke sind genau die Negationen der ∃SO-Ausdrücke und
umgekehrt.
Allgemeiner lassen sich Fragmente
als Menge von Ausdrücken der Form
definieren und analog
als Menge der Negationen von
.
Damit ist
und
.
Die Fragmente
und
beschreiben dann die Komplexitätsklassen
der polynomialen
Hierarchie.
MSO
Ein weiteres wichtiges Fragment erhält man, wenn man die Quantifizierung über
Relationen auf einstellige Relationen, das heißt in jeder Interpretation auf
Teilmengen des Universums, einschränkt. Man nennt dies die monadische
Prädikatenlogik zweiter Stufe oder kurz, nach dem englischen monadic
second order logic, MSO. Auch hier interessiert man sich für die
Ausdrucksstärke und geht dazu auch auf kleinere Fragmente über wie etwa ∃MSO,
was aus Ausdrücken besteht, die in MSO und in ∃SO liegen. Auch das lässt sich
auf naheliegende Weise zu mit
und
bezeichneten Hierarchien erweitern.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 20.06. 2020