Kelvinscher Wirbelsatz
Der Kelvin’sche Wirbelsatz, Thomson’sche Wirbelsatz oder Kelvin’sche Zirkulationssatz von William Thomson, 1. Baron Kelvin ist eine Aussage der Strömungsmechanik über die Geschwindigkeit in einem barotropen, reibungsfreien Fluid unter dem Einfluss eines konservativen Schwerefeldes. Wenn es gelingt unter den genannten Voraussetzungen in einer Strömung alle Fluidelemente auf einer geschlossenen Kurve zu markieren und die Zirkulation der Geschwindigkeit entlang dieser mit der Strömung mitschwimmenden Kurve zu ermitteln, dann wird die Zirkulation immer die gleiche sein. Diese Zirkulation ist gleich der Intensität der Wirbelröhre mit der von der Kurve umschlossenen Querschnittsfläche. Demnach ist die Intensität einer Wirbelröhre auch für alle Zeiten konstant.
Die Annahme der Reibungsfreiheit passt abseits von hydrodynamischen Grenzschichten gut zu Strömungen von Fluiden mit niedriger Viskosität. Reibungsfreiheit ist bei realen Gasen bei niedrigen Drücken und hohen Temperaturen eine probate Annahme. Das Schwerefeld der Erde ist ein Beispiel eines konservativen Schwerefeldes. Trotzdem sind die Voraussetzungen in realen Fluiden nur näherungsweise gegeben, so dass die Zirkulation durch die im Satz nicht berücksichtigte Dissipation in Wirklichkeit mit der Zeit abnimmt.
Der Kelvin’sche Wirbelsatz ist zwar historisch nach den Helmholtz’schen Wirbelsätzen formuliert worden, dient aber heute dazu letztere zu beweisen. Auch wenn die Voraussetzungen des Satzes unter realen Verhältnissen nur näherungsweise gegeben sind, können mit den Wirbelsätzen einige bemerkenswerte Eigenschaften von Strömungen erklärt werden.
Vorbemerkungen
Es wird eine materielle Kurve von Fluidelementen definiert und die Zirkulation der Geschwindigkeit entlang dieser Kurve über die Zeit verfolgt. Es stellt sich heraus, dass die Zeitableitung der Zirkulation in einem barotropen Fluid von zwei rotationsfreien Feldern abhängt. Weil die Zirkulation entlang der Kurve nach dem Satz von Stokes auch aus der Rotation der Felder berechnet werden kann, verschwindet die Zeitableitung der Zirkulation und diese ist mithin über die Zeit konstant.
Die für den Satz benötigte Zeitableitung des Integrals einer Feldgröße entlang eines bewegten Weges und die benötigten Eigenschaften barotroper Fluide werden im Folgenden bereitgestellt.
Zeitableitung eines Wegintegrals entlang eines bewegten Weges
Die Zirkulation ist das Kurvenintegral der Geschwindigkeit entlang eines zeitabhängigen Weges. Um die Zeitableitung der Zirkulation berechnen zu können, wird das Analogon des Reynolds’schen Transportsatzes für Kurvenintegrale benötigt. Es gilt:
Darin ist
- der Differentialoperator D/Dt und der aufgesetzte Punkt die substantielle Zeitableitung,
die Kurve, entlang derer mit räumlichem, vektoriellem Linienelement
integriert wird und die im vom Fluid zur Zeit t eingenommenen Volumen v verläuft,
eine vom Fluid transportierte Feldgröße,
die Strömungsgeschwindigkeit des Fluides und
- grad der Gradient.
Der Vektorgradient
ist eine andere Schreibweise für das Produkt
Beweis | |
Gegeben sei eine Kurve Die Fluidelemente, die auf der Kurve B liegen, werden (gedanklich) mit
den materiellen Koordinaten |
![]() Strömung
(dunkel blau) mit materieller Kurve (blau), die eine Fläche (gelb)
berandet |
Barotrope Fluide
Bei einem barotropen Fluid ist die Dichte eine Funktion allein des Druckes. Dann gibt es eine Funktion P mit der Eigenschaft
Damit lauten die Euler-Gleichungen
in einem konservativen Schwerefeld
für ein barotropes Fluid:
Als Gradient ist die substantielle Beschleunigung
in einem barotropen, reibungsfreien Fluid, das sich in einem konservativen
Beschleunigungsfeld bewegt, also rotationsfrei.
Beweis des Kelvin’schen Wirbelsatzes
Gegeben sei eine geschlossene Kurve
mit vektoriellem Linienelement
im vom Fluid zur Zeit t eingenommenen Volumen v. Dann ist die Zirkulation Γ der
Geschwindigkeit
entlang der räumlichen Kurve b das Kurvenintegral
Mit dem oben angegebenen Transportsatz für Linienintegrale kann hiervon die substantielle Zeitableitung berechnet werden:
denn nach der Produktregel ist
Nach dem Satz
von Stokes kann die Zeitableitung der Zirkulation auch als Flächenintegral
der Rotation
des Integranden über eine von der Kurve b berandete, ansonsten aber
beliebige Fläche a und ihrem vektoriellen Oberflächenelement
gemäß
berechnet werden. Die Zirkulation ist folglich genau dann konstant, wenn die
substantielle Beschleunigung
rotationsfrei ist. Diese Aussage wird auch allgemeiner Thomson’scher
Wirbelsatz genannt.
Weil die substantielle Beschleunigung in einem reibungsfreien, barotropen
Fluid, das sich unter dem Einfluss eines konservativen Schwerefeldes bewegt, als
Gradientenfeld, wie oben gezeigt, tatsächlich rotationsfrei ist, folgt die
eingangs formulierte, spezielle Aussage.
Siehe auch
Literatur
- Ludwig Prandtl: Führer durch die Strömungslehre. Hrsg.: Herbert Oertel. Vieweg, 2008, ISBN 978-3-8348-0430-3.
- F. Kameier, C. O. Paschereit: Strömungslehre. Walter de Gruyter, 2013, ISBN 978-3-11-029221-3.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 16.04. 2021