Freiheitsgrad
![](bilder/6DOF_en.jpg)
Der Freiheitsgrad
bezeichnet im engen, mechanischen Sinn die Zahl der voneinander unabhängigen
(und in diesem Sinne „frei wählbaren“) Bewegungsmöglichkeiten, im
weiteren Sinne jeden unabhängigen veränderlichen inneren oder äußeren Parameter eines
Systems.
Das System muss dabei folgende Eigenschaften haben:
- Es ist durch die Spezifizierung der Parameter eindeutig bestimmt.
- Wird ein Parameter weggelassen, so ist das System nicht mehr eindeutig bestimmt.
- Jeder Parameter kann verändert werden, ohne dass sich die anderen Parameter verändern.
Bei kinematischen
Ketten wird der Freiheitsgrad auch Laufgrad
genannt.
Die einzelnen Bewegungsmöglichkeiten werden auch Freiheiten genannt. Ein
starrer
Körper im Raum hat demnach den Freiheitsgrad ,
denn man kann den Körper in drei voneinander unabhängige Richtungen
bewegen (Translation) und
um drei voneinander unabhängige Achsen drehen (Rotation).
In einem etwas anderen Sprachgebrauch wird jede der unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Systems, also jede der genannten Freiheiten, als ein Freiheitsgrad bezeichnet. In diesem Sinne hat ein starrer Körper ohne Bindungen drei Translationsfreiheitsgrade und drei Rotationsfreiheitsgrade.
Mechanik
![](bilder/double-Pendulum.png)
Jeder Freiheitsgrad eines physikalischen Systems entspricht einer unabhängigen verallgemeinerten Koordinate, mit der das System beschrieben werden kann.
Was mit dem Wort „unabhängig“ gemeint ist, sieht man an einem Beispiel: Angenommen, ein Teilchen befindet sich in einer Ebene (z.B. auf einem Tisch) mit einem Koordinatensystem und kann sich in dieser Ebene nur entlang einer „schrägen“ Geraden bewegen. Die Position des Teilchens kann dann durch eine einzige Zahl beschrieben werden. Es gibt dafür zwar verschiedene Möglichkeiten, z.B.
- die x-Koordinate des Teilchens (über die Geradengleichung lässt sich daraus dann auch y-Koordinate eindeutig berechnen),
- die y-Koordinate (daraus lässt sich umgekehrt die x-Koordinate berechnen),
- die Winkel-Koordinate in einem polaren Koordinatensystem
- oder den Abstand von einem vorgegebenen festen Punkt auf der Geraden.
In jedem dieser Fälle reicht jedoch stets die Angabe eines einzelnen Werts zur Festlegung der Position. Das Teilchen besitzt daher also nur einen Freiheitsgrad.
Die Zahl der verallgemeinerten Koordinaten ist eine Systemeigenschaft. Beispielsweise hat ein freier Massenpunkt im Raum drei Translationsfreiheitsgrade, die seine Position festlegen. Da ein Punkt keine Ausdehnung hat, hat er jedoch keine Orientierung. Ein starrer Körper besitzt demgegenüber zusätzlich noch drei Rotationsfreiheitsgrade, jeweils beschreibbar durch Drehwinkel.
Gemäß der Grüblerschen Gleichung ist die Zahl der Freiheiten eines Systems, das aus vielen Teilsystemen gebildet wird, gleich der Summe der Freiheiten der Teilsysteme, sofern diese nicht durch Zwangsbedingungen eingeschränkt wird (z.B. Anhängerkupplung: Der Anhänger kann sich nicht vollständig unabhängig vom Zugfahrzeug bewegen).
Grundsätzlich lassen sich folgende Fälle unterscheiden:
- Für
kann sich das System bewegen (Mechanismus)
- Für
ist das System in sich beweglich, d.h. die Bewegungen mehrerer Elemente müssen vorgegeben werden (z.B. mehrere Antriebe), damit die Bewegungen aller Elemente definiert sind.
- Für
liegt „Zwanglauf“ vor. Gibt man die Bewegung eines Elementes vor (z.B. ein Antrieb), sind auch die Bewegungen aller restlichen Elemente definiert. Beispiele: Ein Punkt bewegt sich entlang einer Linie. In einem (idealisierten) Zahnradgetriebe bewirkt die Drehung eines Zahnrads stets eine genau definierte Bewegung aller anderen Zahnräder.
- Bei
können sich z.B. zwei Punkte eines Systems unabhängig voneinander jeweils entlang einer Linie bewegen, ein einzelner Punkt kann sich in einer Ebene bewegen, oder in einem Getriebe ist neben der Drehbewegung eine weitere Bewegung möglich, etwa wenn es sich in einen zweiten Gang schalten lässt.
- Für
- Für
kann sich das System nicht bewegen
- Für
liegt ein statisch bestimmtes System vor, das nur genau eine Position einnehmen kann.
- Für
liegt ein statisch überbestimmtes System vor, in dem starke innere Spannungen auftreten können (es „klemmt“). Dies kann durch Zusatzbedingungen ggf. behoben werden.
- Für
Beispiel: Doppelpendel
Zwei freie Punktmassen
und
haben im dreidimensionalen Raum jeweils drei Translationsfreiheitsgrade,
insgesamt also sechs. Ein Doppelpendel,
das über Drehgelenke (und nicht über Kugelgelenke)
verbunden ist, kann jedoch nur in einer Ebene schwingen, so dass seine
Beweglichkeit durch folgende Zwangsbedingungen eingeschränkt ist (s. Abb.):
befindet sich in der
Ebene (
),
ebenso (
).
- Die Stäbe der beiden Pendel sind starr (
und
). Jede Punktmasse kann sich daher nur auf einem Kreisbogen rund um den Kreismittelpunkt bewegen.
Diese vier Zwangsbedingungen reduzieren die Zahl der Freiheitsgrade auf .
Für die Beschreibung des Systems genügen daher die beiden Winkel
und
als unabhängige verallgemeinerte Koordinaten.
Beispiel: Gelenke
Im Gelenk
eines Mechanismus sind zwei Teile miteinander beweglich verbunden. Der
Freiheitsgrad
ist die Anzahl der möglichen Bewegungen, die das Gelenk ausführen kann. Dafür
stehen prinzipiell die sechs
Freiheiten des starren Körpers zur Verfügung. Mindestens eine davon wird im
Gelenk unterbunden, daher stehen maximal fünf für eine technische Anwendung zur
Verfügung. Mehr als drei Freiheiten werden mit Mehrfachgelenken erreicht.
Gelenktyp | Freiheitsgrad | Abb. |
---|---|---|
Drehgelenk | Fig. 2. | |
Schraubgelenk | Fig. 3. | |
Drehschub-, Plattengelenk | Fig. 5. | |
Drehschubgelenk | Fig. 6. | |
Kugelgelenk | Fig. 7. | |
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Thermodynamik und statistische Mechanik
Freiheitsgrade der Moleküle
![](bilder/thermally_Agitated_Molecule.gif)
Jedes Molekül mit
Atomen hat
allgemein
Freiheitsgrade, weil man für jedes Atom drei Koordinaten braucht, um seine Position zu definieren. Diese kann man formal in Translations-, Rotations- und innere Schwingungsfreiheitsgrade einteilen:
Für -atomige
Moleküle gilt:
lineare Moleküle | nicht lineare Moleküle | |
---|---|---|
Summe |
Komplexe Moleküle mit vielen Atomen haben daher viele Schwingungsfreiheitsgrade (siehe Molekülschwingung) und liefern somit einen hohen Beitrag zur Entropie.
Bei Molekülen, die auf Festkörperoberflächen
adsorbiert sind, kann die Anzahl an Freiheitsgrade reduziert sein.
Beispielsweise kann statt drei Rotationsfreiheitsgraden eines Moleküls in der Gasphase für das adsorbierte Molekül nur
einer möglich sein. Gleiches gilt für Translationsfreiheitsgrade, die z.B.
von drei (Gasphase) zu nur zwei im Fall der Adsorption
werden können. Aufgrund der diskreten Energieniveaus
der Quantenmechanik
können bei niedrigen Energien meist nicht alle
Freiheitsgrade angeregt werden, da der erste angeregte
Zustand bereits eine zu hohe Energie besitzt. Dadurch kann ein System bei
einer gegebenen Temperatur effektiv weniger Freiheitsgrade haben:
Zum Beispiel hat ein Atom bei Raumtemperatur effektiv nur die drei Translationsfreiheitsgrade, da die mittlere Energie so niedrig ist, dass atomare Anregungen praktisch nicht vorkommen.
Das Konzept der Freiheitsgrade aus der Mechanik taucht auch in der statistischen Mechanik und Thermodynamik auf: die Energie eines thermodynamischen Systems verteilt sich gemäß dem Äquipartitionstheorem gleichmäßig auf die einzelnen Freiheitsgrade. Die Zahl der Freiheitsgrade geht in die Entropie ein, die ein Maß für die Zahl der erreichbaren Zustände ist. Thermodynamische Systeme haben generell sehr viele Freiheitsgrade, etwa in der Größenordnung von 1023, der Größenordnung der Avogadro-Konstanten, da sie üblicherweise Stoffmengen in der Größenordnung eines Mols enthalten. Es können allerdings viele gleichartige Systeme mit jeweils nur wenigen Freiheitsgraden zustande kommen, z.B. 1023 Atome mit effektiv (s.u.) je drei Freiheitsgraden.
Man kann die innere
Energie
eines idealen Gases mit
Teilchen
in Abhängigkeit von der Temperatur
und der Anzahl
der Freiheitsgrade eines Gasteilchens angeben:
mit der Boltzmann-Konstante
.
Hierbei ist wichtig, dass Schwingungen
bei der Bestimmung von
doppelt gezählt werden, da sie sowohl kinetische
als auch potentielle
Energie besitzen (s.u.):
Stoff | Freiheitsgrade | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Gasmolekül, 1-atomig | 3 | 0 | 0 | 3 | 3 | 3 |
Gasmolekül, 2-atomig | 3 | 2 | 1 | 6 | 5 | 7 |
Gasmolekül, 3-atomig linear | 3 | 2 | 4 | 9 | 13 | |
Gasmolekül, 3-atomig gewinkelt | 3 | 3 | 3 | 9 | 12 | |
1 Atom im Festkörper | 0 | 0 | 3 | 3 | 6 |
Ein zweiatomiges Molekül wie molekularer Wasserstoff hat – neben den elektronischen Anregungen – sechs Freiheitsgrade: drei der Translation, zwei der Rotation, und einen Schwingungsfreiheitsgrad. Rotation und Schwingung sind quantisiert und bei geringer Gesamtenergie eines Moleküls können energetisch höher liegende Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade nicht angeregt werden; man sagt, sie seien „eingefroren“. Rotation wird bereits ab mittleren, Schwingung erst bei höheren Temperaturen angeregt. So verhalten sich die meisten zweiatomigen Gase wie z.B. Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff unter Normalbedingungen effektiv so, als hätten die Einzelmoleküle nur fünf Freiheitsgrade, was sich am Adiabatenexponenten ablesen lässt. Bei hohen Temperaturen sind dem System alle Freiheitsgrade zugänglich.
Freiheitsgrade der Zustandsgrößen
Die thermodynamischen Freiheitsgrade der Zustandsgrößen auf makroskopischer Ebene ergeben sich für beliebige Systeme im thermodynamischen Gleichgewicht über die Gibbssche Phasenregel.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 18.09. 2023