Cramersche Regel
Die Cramersche Regel oder Determinantenmethode ist eine mathematische Formel für die Lösung eines linearen Gleichungssystems. Sie ist bei der theoretischen Betrachtung linearer Gleichungssysteme hilfreich. Für die Berechnung einer Lösung ist der Rechenaufwand jedoch in der Regel zu hoch, da dabei verhältnismäßig viele Determinanten auftreten. Deshalb kommen dazu andere Verfahren aus der numerischen Mathematik zum Einsatz. Die Cramersche Regel ist nach Gabriel Cramer benannt, der sie im Jahr 1750 veröffentlichte, jedoch wurde sie bereits vorher von Leibniz gefunden.
Regel
Gegeben sei ein lineares Gleichungssystem[1] mit gleich vielen Gleichungen wie Unbekannten in der Form
bzw. in Matrixschreibweise
mit
Vorausgesetzt sei außerdem, dass die quadratische Koeffizientenmatrix
regulär
(invertierbar) ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn
ist.
Dann ist das Gleichungssystem eindeutig lösbar und die Komponenten
des eindeutig bestimmten Lösungsvektors
sind gegeben durch
für alle
.
Hierbei ist
die Matrix, die gebildet wird, indem die
-te
Spalte der Koeffizientenmatrix
durch die rechte Seite des Gleichungssystems
ersetzt wird:
Beispiele
Lineares Gleichungssystem 2. Ordnung
Diesem Beispiel liegt das folgende lineare Gleichungssystem zu Grunde:
Die erweiterte Koeffizientenmatrix des Gleichungssystems ist dann:
Nach der Cramerschen Regel berechnet sich dessen Lösung wie folgt:
Lineares Gleichungssystem 3. Ordnung
Diesem Beispiel liegt das folgende lineare Gleichungssystem zu Grunde:
Die erweiterte Koeffizientenmatrix des Gleichungssystems ist dann:
Nach der Cramerschen Regel berechnet sich die Lösung des Gleichungssystems wie folgt:
Geschichte
Die Cramersche Regel wurde 1750 von Gabriel Cramer im Anhang 1 seines Buchs „Introduction à l′analyse des lignes courbes algébriques“ veröffentlicht. Er gab darin explizit die Formeln für lineare Gleichungssysteme mit bis zu drei Gleichungen an und beschrieb, wie man die Lösungsformeln für Gleichungssysteme mit mehr Gleichungen erstellen kann. Da die Determinante noch nicht eingeführt war, verwendete er Brüche mit je einem Polynom im Zähler und Nenner. Wie der folgende Auszug aus der Originalarbeit zeigt, sind diese mit den Polynomen der Leibniz-Formel identisch.
An diesem Beispiel sieht man auch, dass Cramer noch nicht die heutige Notation linearer Gleichungssysteme verwendete. Mit dieser lautet die Formel wie folgt:
Cramer selbst war bewusst, dass lineare Gleichungssysteme nicht immer eindeutig lösbar sind. Étienne Bézout zeigte dann 1764, dass der Nenner null wird, wenn das Gleichungssystem nicht eindeutig lösbar ist. Des Weiteren gab Cramer keinen Beweis für seine Formel an. Diesen lieferte erst Augustin Louis Cauchy im Jahr 1815. Dabei führte er auch die heutzutage verwendete Notation der Cramerschen Regel ein.
Gottfried Wilhelm Leibniz brachte die Cramersche Regel schon 1678 in einem Manuskript zu Papier. Dieses wurde allerdings erst später entdeckt und hatte somit keine Auswirkung auf die Entwicklung von Lösungsverfahren für lineare Gleichungssysteme. Colin Maclaurin beschrieb in seinem Werk „Treatise of Algebra“, das 1748 veröffentlicht wurde, die Spezialfälle der Cramerschen Regel für lineare Gleichungssysteme aus zwei oder drei Gleichungen. Er hatte zwar die Idee, diese Formeln auf Gleichungssysteme mit mehreren Gleichungen zu erweitern, doch im Gegensatz zu Cramer fand er keine Regel, wie man die Vorzeichen in den dabei verwendeten Polynomen richtig setzt. Im 20. Jahrhundert entfachte Carl Benjamin Boyer einen Streit unter Mathematik-Historikern, ob Maclaurin oder Cramer der Entdecker der Formel war. Er empfahl dabei auch eine Umbenennung in Maclaurin-Cramer-Regel.
Rechenaufwand
Um mit der Cramerschen Regel ein lineares Gleichungssystem mit
Unbekannten zu lösen, müssen
Determinanten berechnet werden. Die Anzahl der auszuführenden arithmetischen
Operationen hängt damit allein vom Algorithmus
zur Berechnung der Determinanten ab.
Werden die Determinanten wie von Cramer mit Hilfe der Leibniz-Formel
berechnet, so sind für jede Determinante
Multiplikationen und
Additionen notwendig. Schon bei einem System aus vier Gleichungen sind 360
Multiplikationen, 115 Additionen und 4 Divisionen notwendig. Im Vergleich zu
anderen Verfahren sind dies sehr viele Operationen. Auch unter Verwendung
effizienter Algorithmen zur Determinantenberechnung ist der Rechenaufwand für
die Lösung eines linearen Gleichungssystems mit der Cramerschen Regel wesentlich
höher als beispielsweise beim gaußschen
Eliminationsverfahren.
Bei der Berechnung einer -Matrix
auf einem Rechner mit
Gleitkommaoperationen pro Sekunde
(100 Mflops) würden sich die folgenden Rechenzeiten ergeben:
n | 10 | 12 | 14 | 16 | 18 | 20 |
Rechenzeit | 0,4 s | 1 min | 3,6 h | 41 Tage | 38 Jahre | 16 000 Jahre |
Beweis
Für diesen Beweis verwendet man eine Matrix ,
die entsteht, indem man die
-te
Spalte der Einheitsmatrix
durch den Lösungsvektor
des Gleichungssystems
ersetzt. So sieht
für ein Gleichungssystem mit vier Gleichungen folgendermaßen aus:
Anhand dieses Beispiels lässt sich auch sehen, dass
gilt.
Da zusätzlich
gilt, folgt mit der Produktregel für Determinanten
Da die Determinante
nach Voraussetzung nicht das Null-Element ist, existiert
.
Verallgemeinerung
Eine Verallgemeinerung – und gleichzeitig einen Schritt im Beweis – der Cramerschen Regel stellt der folgende Satz dar: Gegeben sei ein quadratisches lineares Gleichungssystem der Form
.
Ist
eine Lösung dieses linearen Gleichungssystems, dann gilt
für jedes
.
Die Matrix
entsteht aus der Koeffizientenmatrix
,
indem die
-te
Spalte von
durch die rechte Seite des Gleichungssystems
ersetzt wird.
Es entfällt die Einschränkung auf ein eindeutig lösbares Gleichungssystem. Da zudem keine Division mehr auftritt, gilt der Satz für alle Gleichungssysteme mit Koeffizienten aus einem kommutativen Ring. Diese Verallgemeinerung wird nicht mehr Cramersche Regel genannt.
Folgerungen aus der Cramerschen Regel
Die Inverse einer Matrix
Die einzelnen Spalten der Inversen
einer Matrix
werden jeweils von der Lösung des Gleichungssystems IMG class="text"
style="width: 8.16ex; height: 2.84ex; vertical-align: -1ex;"
alt="Ax=e_{j}" src="/svg/22fd787adb57a71954db9d9b64db62732f6c973e.svg">
mit dem
-ten
Einheitsvektor auf der
rechten Seite gebildet. Berechnet man diese mit der Cramerschen Regel, so erhält
man unter Verwendung der Adjunkten
die Formel
Diese Formel zeigt auch eine Eigenschaft von Matrizen mit Einträgen aus einem
kommutativen Ring anstatt eines Körpers.
Diese sind demnach genau dann invertierbar, wenn
invertierbar ist.
Lösung eines homogenen linearen Gleichungssystems
Mit Hilfe der Cramerschen Regel lässt sich einfach zeigen, dass die triviale Lösung
die einzige Lösung eines jeden homogenen linearen Gleichungssystems mit
ist. Da bei allen Matrizen
in der
-ten
Spalte nur Nullen stehen, sind deren Spalten nicht mehr linear
unabhängig, und es gilt deshalb
.
Damit berechnen sich alle
zu null.
Aus der obigen Eigenschaft folgt direkt, dass der Kern eines linearen
Gleichungssystems
mit
der Nullvektor ist und dieses
deshalb eindeutig lösbar ist.
Anmerkungen
- ↑ Vorausgesetzt wird, dass die Koeffizienten reelle oder komplexe Zahlen sind oder – allgemeiner – Elemente eines Körpers.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 24.02. 2020