Rayleigh-Ritz-Prinzip
Das Rayleigh-Ritz-Prinzip (auch Verfahren von Ritz oder Rayleigh-Ritzsches Variationsverfahren) ist ein Variationsprinzip zur Bestimmung des kleinsten Eigenwerts eines Eigenwertproblems. Es geht auf The Theory of Sound von John William Strutt, 3. Baron Rayleigh (1877) zurück und wurde 1908 vom Mathematiker Walter Ritz als mathematisches Verfahren veröffentlicht.[1]
Es sei
ein selbstadjungierter
Operator mit Definitionsbereich
in einem Hilbertraum. Dann ist das
Infimum
des Spektrums
gegeben durch
.
Ist das Infimum
ein Eigenwert, so erhält man die Ungleichung
mit Gleichheit genau dann, wenn
ein Eigenvektor
zu
ist. Der Quotient auf der rechten Seite ist als Rayleigh-Quotient
bekannt.
In der Praxis eignet es sich auch als Näherungsverfahren, indem man einen
Ansatz für
mit unbestimmten Parametern macht und die Parameter so optimiert, dass der
Rayleigh-Quotient minimal wird. Statt über Vektoren im Definitionsbereich
kann man auch über Vektoren im quadratischen
Formenbereich
optimieren, was dann einer schwachen Formulierung des Eigenwertproblems
entspricht.
Anwendungen
Das Prinzip kommt beispielsweise bei der Berechnung von Parametern des Schwingungsverhaltens von elastischen Platten, aber auch anderer elastischer Körper (wie etwa Balken), zur Anwendung, wenn exakte Lösungen nicht mehr mit elementaren Rechenmethoden zu erreichen sind.
Grundgedanke ist das Gleichgewicht der potenziellen Kräfte von äußeren, eingeprägten und inneren Kräften. Diese Potenziale werden durch Verformungsgrößen ausgedrückt (z.B. Durchbiegung). Die Spannungen werden dabei durch Dehnungen oder Scherungen nach dem Hookeschen Gesetz ausgedrückt.
In der Quantenmechanik
besagt das Prinzip, dass für die Gesamtenergie
des Systems im Grundzustand
(also für den diesbezüglichen Erwartungswert
des Hamilton-Operators
)
und für beliebige Wellenfunktionen
bzw. Zustände
der Erwartungswert
größer oder gleich (gleich im Fall der exakten Grundzustandswellenfunktion) der
Grundzustandsenergie des Systems ist:
In der Regel ist der Hamilton-Operator dabei nach unten beschränkt und hat an der unteren Grenze des Spektrums einen (nicht entarteten) Eigenwert („Grundzustand“). Die Probe-Wellenfunktion kann zwar von der exakten Grundzustandsfunktion erheblich abweichen, wird ihr aber umso ähnlicher, je näher die berechnete Gesamtenergie an der Grundzustandsenergie ist.
Ritz-Verfahren
Das Ritz'sche Variationsverfahren[2]
wendet das Rayleigh-Ritz-Prinzip direkt an. Dazu wird eine Familie von
Testvektoren, die über einen Satz von Parametern β variiert werden,
verwendet. So kann eine (nicht notwendig endliche) Menge von Vektoren
gewählt werden und der Testvektor als Linearkombination dargestellt werden:
Oder man wählt eine Familie von Funktionen, die über einen Parameter variiert
werden, wie etwa Gauß-Kurven
mit verschiedener Breite :
Nun setzt man diese Funktionen in obigen Ausdruck ein und sucht den minimalen
Wert von .
Im einfachsten Fall kann dies durch Differentiation nach dem Parameter
geschehen:
Löst man diese Gleichung, so erhält man für
einen Wert, für den die Grundzustandsenergie minimiert wird. Mit diesem Wert hat
man eine Näherungslösung, weiß aber nicht, wie gut der Ansatz wirklich ist,
weshalb man von „unkontrollierten Verfahren“ spricht. Immerhin kann man den
Minimalwert als „beste Annäherung“ an die tatsächliche Grundzustandsenergie
benutzen.
Zum Beweis
Das Prinzip ist unmittelbar einsichtig, wenn man voraussetzt, dass es eine Orthonormalbasis aus
Eigenvektoren
von
mit zugehörigen Eigenwerten
gibt. Diese Eigenwerte
seien geordnet, dann erhält man durch Entwicklung
eines beliebigen Vektors
nach dieser Orthonormalbasis
Im allgemeinen Fall eines beliebigen Spektrums kann zum Beweis ein analoges Argument gemacht werden, indem man gemäß dem Spektralsatz die Summe durch ein Integral über die Spektralschar ersetzt.
Erweiterungen
Eine Erweiterung ist der Satz von Courant-Fischer,[3] der ein Variationsprinzip für alle Eigenwerte unterhalb des wesentlichen Spektrums darstellt. Eine exakte Abschätzung eines Eigenwerts nach oben und unten liefert die Temple-Ungleichung.[4][5]
Literatur
- Hans Cycon, Richard G. Froese, Werner Kirsch, Barry Simon: Schrödinger Operators, Springer 1987
- Michael Reed, Barry Simon: Methods of Modern Mathematical Physics, 4 Bände, Academic Press 1978, 1980
- John William Strutt, 3. Baron Rayleigh, The Theory of Sound, 1877
- W. Ritz: Über eine neue Methode zur Lösung gewisser Variationsprobleme der mathematischen Physik. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik ISSN 0075-4102, Bd. 135, 1908, S. 1–61
- W. Ritz: Theorie der Transversalschwingungen einer quadratischen Platte mit freien Rändern. In: Annalen der Physik ISSN 0003-3804, (4. Folge) Bd. 28, 1909, S. 737–786
- G.M. Vainikko: Ritz method. In: Michiel
Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia
of Mathematics. Springer-Verlag
und EMS
Press, Berlin 2002, ISBN
978-1-55608-010-4 (englisch,
online).
- Gerald
Teschl: Mathematical Methods in Quantum Mechanics; With Applications to
Schrödinger Operators, American Mathematical Society, 2009 (
Freie Online-Version)
- Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik. Auf der Suche nach dem Gleichgewicht, Ernst und Sohn, Berlin 2016, S. 519ff, ISBN 978-3-433-03134-6.
Einzelnachweise
- ↑ W.B. Krätziget al.: Tragwerke 2. Theorie und Berechnungsmethoden statisch unbestimmter Stabtragwerke. Gabler Wissenschaftsverlage, 2004, ISBN 978-3-540-67636-2, S. 232.
- ↑ J.K. MacDonald, Successive Approximations by the Rayleigh-Ritz Variation Method, Physical Review ISSN 0031-899X, Bd. 43, (1933), S. 830–833.
- ↑ Gerald Teschl: Mathematical Methods in Quantum Mechanics. With Applications to Schrödinger Operators. American Mathematical Society, 2009, ISBN 978-0-8218-4660-5, S. 119.
- ↑ George Temple: The theory of Rayleigh's principle as applied to continuous systems. In: Proc. Roy. Soc. London. Ser. A 119, 1928, S. 276–293.
- ↑ Gerald Teschl: Mathematical Methods in Quantum Mechanics. With Applications to Schrödinger Operators. American Mathematical Society, 2009, ISBN 978-0-8218-4660-5.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 25.03. 2024