Compton-Effekt
![](bilder/Compton_scattering-de.png)
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Als Compton-Effekt bezeichnet man die Vergrößerung der Wellenlänge eines Photons bei der Streuung an einem Teilchen. Erstmals wurde der Compton-Effekt an Elektronen beobachtet. Diese Compton-Streuung (nach Arthur Holly Compton) ist ein wichtiger Ionisationsprozess und der dominierende Wechselwirkungsprozess energiereicher Strahlung mit Materie für Photonenenergien zwischen etwa 100 keV und 10 MeV.
Geschichte
Bis zur Entdeckung des Compton-Effekts war der Photoeffekt der einzige Befund, dass Licht sich nicht nur wie eine Welle, sondern auch, wie von Albert Einstein 1905 postuliert, wie ein Strom von Teilchen verhält (siehe auch Welle-Teilchen-Dualismus).
Als Arthur Compton im Jahre 1922 die Streuung von hochenergetischen Röntgenstrahlen an Graphit untersuchte, machte er zwei Beobachtungen: Zum einen war die Streuwinkelverteilung in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung nicht gleich und zum anderen war die Wellenlänge der gestreuten Strahlung größer als die der einfallenden Strahlung. Beide Beobachtungen waren mit der Vorstellung unverträglich, eine elektromagnetische Welle werde an freien Elektronen (Thomson-Streuung) oder an gebundenen Elektronen (Rayleigh-Streuung) gestreut, denn dann würden die Elektronen mit der Frequenz der einfallenden Welle schwingen und eine Welle mit unveränderter Frequenz aussenden.
Stattdessen zeigten Comptons Messungen, dass sich die Wellenlänge der gestreuten Strahlung je nach Streuwinkel wie bei einem Stoß zwischen Teilchen, dem Photon und dem Elektron, verhält (Herleitung siehe unten). Damit bestätigte Compton den Teilchencharakter von Licht – oder den Wellencharakter der Elektronen, denn behandelt man Elektronen als Materiewellen und Licht als elektromagnetische Welle, so ergibt sich wie in den obigen Feynmangraphen der Compton-Effekt.
Compton-Wellenlänge
![](bilder/Compton_transferred_energy_de.png)
Beim Stoß an einem (quasi) freien, ruhenden Elektron übernimmt dieses einen
Teil der Energie
des Photons, dessen Energie sich auf
vermindert – es handelt sich um einen elastischen
Stoß. Je größer seine Ausgangsenergie, desto vollständiger kann die
Energie übertragen werden, siehe Abbildungen rechts. Der Streuwinkel
ist der Winkel, um den sich die Bewegungsrichtung des Photons ändert. Bei einem
„Streifschuss“ mit Ablenkung um
behält das Photon fast seine ganze Energie, bei einem „Frontalzusammenstoß“ mit
wird das Photon zurückgestreut und gibt die maximal übertragbare Energie ab.
Durch den Energieverlust nimmt die Wellenlänge
des Photons zu. Bemerkenswert ist, dass diese Zunahme
nur vom Winkel
und nicht von der ursprünglichen Photonenenergie abhängt:
Die Compton-Wellenlänge ist für ein Teilchen mit Masse eine charakteristische Größe. Sie gibt die Zunahme der Wellenlänge des rechtwinklig an ihm gestreuten Photons an.
Die Compton-Wellenlänge eines Teilchens der Masse
beträgt
wobei
das Plancksche
Wirkungsquantum und
die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit
ist.
Häufig (besonders in der Elementarteilchenphysik) wird auch die reduzierte
Comptonwellenlänge
mit dem reduzierten Planckschen Wirkungsquantum
benutzt und auch ohne den Zusatz reduziert als Comptonwellenlänge
bezeichnet.
In dieser Form taucht die Comptonwellenlänge als Parameter in der
Klein-Gordon-Gleichung
auf.
Compton-Wellenlängen von Elektron, Proton und Neutron
Die Compton-Wellenlängen von Elektronen, Protonen und Neutronen sind somit, anders als deren De-Broglie-Wellenlängen, von ihrer Geschwindigkeit unabhängig; ihre Werte betragen nach derzeitiger Messgenauigkeit:
Die reduzierte Compton-Wellenlänge des Elektrons beträgt 386 fm, die des Protons und Neutrons 0,210 fm.
Die sehr geringen Wellenlängenänderungen sind der Grund dafür, dass der Compton-Effekt nur bei sehr kurzwelliger Strahlung, im Bereich der Röntgen- und Gammastrahlung, beobachtet werden kann. Bei großer Wellenlänge ist deren relative Zunahme zu gering, die Streuung scheint ohne Energieverlust stattzufinden, man spricht dann von Thomson-Streuung.
Streuquerschnitt
Der winkelabhängige Wirkungsquerschnitt für die Compton-Streuung ist (in der Näherung freier, ruhender Elektronen) durch die Klein-Nishina-Formel gegeben. Bei der Compton-Streuung in Materie wird ein Elektron aus der Atomhülle geschlagen. In diesem Fall gelten diese Formeln nur noch näherungsweise. Der Einfluss des Impulses des gebundenen Elektrons auf die Energie des gestreuten Photons wird als Dopplerverbreiterung bezeichnet. Es handelt sich dabei um die Projektion der Impulsverteilung der streuenden Elektronen auf die Richtung des Impulsübertrags während der Streuung. Sie ist bei niedrigen Photonenergien, großen Streuwinkeln und Atomen mit hoher Kernladungszahl besonders ausgeprägt.
Streut man Photonen an anderen Objekten als Elektronen, zum Beispiel an einem
Proton, so muss in obigen Gleichungen die Masse
entsprechend angepasst werden, wodurch sich Compton-Wellenlänge und
Wirkungsquerschnitt ändern würden.
Inverser Compton-Effekt
Beim inversen Compton-Effekt streut ein hochenergetisches Elektron (oder ein anderes geladenes Teilchen, etwa ein Proton) an einem niederenergetischen Photon und überträgt Energie auf das Photon. Der inverse Compton-Effekt tritt in Teilchenbeschleunigern auf und kann in der Astrophysik bei Ausströmungen in den Koronen von Akkretionsscheiben aktiver Galaxienkerne und bei Supernovae beobachtet werden. Inverse Compton-Streuung an der Hintergrundstrahlung beschränkt die Maximalenergie von Protonen in der kosmischen Strahlung.
Anwendungen
Da es sehr schwierig ist, Gammastrahlung mittels Linsen zu fokussieren, spielt der Compton-Effekt eine wichtige Rolle bei der Abbildung mittels Gammastrahlen im Energiebereich von einigen hundert keV bis zu einigen zehn MeV. In sogenannten Compton-Teleskopen (auch Compton-Kameras genannt) misst man Energie und Richtung des gestreuten Photons sowie Energie und (manchmal) auch Richtung des Elektrons. So können Energie, Ursprungsrichtung und unter Umständen die Polarisation des einfallenden Photons bestimmt werden. In der Realität wird dies durch Messunsicherheiten und nicht gemessene Größen wie die Richtung des Elektrons jedoch stark erschwert, so dass komplexe Ereignis- und Bildrekonstruktionsmethoden angewandt werden müssen.
Das wohl bekannteste Compton-Teleskop war COMPTEL, das an Bord des NASA-Satelliten CGRO von 1991 bis 2000 als erstes Teleskop den Sternenhimmel im Energiebereich zwischen 0,75 und 30 MeV erforschte. Zu den Erfolgen von COMPTEL zählen u.a. die Erstellung der ersten Himmelskarten in diesem Energiebereich, die Erforschung der Nukleosynthese z.B. von radioaktivem 26Al (massereiche Sterne und Supernovae) und 44Ti sowie Fortschritte bei der Erforschung von Pulsaren, Aktiven Galaxien (AGNs) etc.
Compton-Kameras könnten zukünftig im Bereich der Medizin gegenüber den heute (2016) verwendeten Szintigraphie-Gammakameras bessere räumliche Auflösung liefern, also Tumore und Metastasen exakter lokalisieren. In der Nukleartechnik könnten in Zukunft mittels Compton-Kameras z.B. Nuklearanlagen oder nukleare Abfälle überwacht werden.
Für die Sicherheitskontrollen an Flughäfen wurden Scanner-Geräte entwickelt, welche die Compton-Rückstreuung (engl. Backscatter) von Röntgenstrahlung an Oberflächen nutzen. Diese werden zurzeit in den USA getestet.
Der inverse Compton-Effekt wird genutzt, um durch Rückstreuung von Laserphotonen an hochenergetischen Elektronen monochromatische, linear polarisierte Gammastrahlung zu erzeugen.
Compton-Kontinuum und Compton-Kante
![](bilder/Compton-spektrum.png)
Aus den unten hergeleiteten Formeln errechnet man leicht einen Ausdruck für
die winkelabhängige Energie des Photons
und die kinetische
Energie des Elektrons
nach der Streuung (Klein-Nishina-Formel):
- Photon:
- Elektron:
Werden viele Photonen der Energie
nach Compton gestreut (etwa in einem Szintillator
oder anderen Detektor), so ergibt sich ein charakteristisches Energiespektrum
der gestreuten Elektronen, wie es die nebenstehende Grafik zeigt. Die hierbei
auf die Elektronen übertragene Energie ist eine kontinuierliche Funktion des
Streuwinkels
(Compton-Kontinuum), hat jedoch eine scharfe obere Schranke. Diese
sogenannte Compton-Kante ergibt sich, weil die gestreuten Photonen bei
= 180° die größtmögliche Energie an die Elektronen übertragen. Somit liegt die
Kante im Spektrum bei
.
Zusätzlich erhält man im Energiespektrum einen „Photopeak“
oder „Full Energy Peak“, eine Spektrallinie bei der Energie .
Sie stammt von Detektionsereignissen, bei denen die gesamte Energie des
Photons im Detektor deponiert wurde, beispielsweise durch den Photoeffekt.
Aus der obigen Formel lässt sich ablesen, dass sich die zu einem Photopeak
gehörige Compton-Kante bei
![](bilder/Am-Be-SourceSpectrum.jpg)
links von diesem Peak befindet.
Die Abbildung rechts zeigt ein mit einem Germaniumdetektor
(siehe Gammaspektroskopie)
aufgenommenes -Spektrum.
Bei etwa 4,4 MeV findet sich der Photopeak der Gammastrahlung, die aus
unelastischer Neutronenstreuung an 12C-Atomkernen stammt (die Linie
ist durch Rückstoßbewegung der Kohlenstoff-Kerne
dopplerverbreitert).
Aus der Gammaenergie 4,4 MeV folgt mit der obigen Gleichung, dass die zugehörige
Compton-Kante bei etwa 4,2 MeV liegen muss, wo sie in der Abbildung auch leicht
zu erkennen ist. Links von ihr zeigt sich das zugehörige Kontinuum mit darauf
aufsitzenden Peaks anderer Herkunft.
Herleitung der Compton-Formel
Bei den unterschiedlichen Herleitungen wird immer ein freies Elektron angenommen. Ist das Elektron in einem Atom gebunden, muss man die Bindungsenergie von der kinetischen Energie des Elektrons nach dem Stoß abziehen.
Ruhendes Elektron
Im Folgenden berechnen wir die Compton-Formel, indem wir das Teilchen als zu Beginn ruhend annehmen. Bei der Streuung überträgt das Photon einen Teil seiner Energie auf das Elektron, sodass sich die beiden Teilchen nach der Streuung in verschiedenen Richtungen auseinander bewegen.
![Prozessskizze des Compton-Effekts](bilder/Compton_scattering-de.png)
Zunächst betrachten wir, welche Energie und welchen Impuls die jeweiligen
Teilchen vor sowie nach der Streuung tragen (
steht dabei für die Frequenz
und
für den Streuwinkel):
-
Energie des Elektrons vorher Energie des Photons vorher Impuls des Photons vorher Impuls des Elektrons vorher Energie des Elektrons nachher Energie des Photons nachher Impuls des Photons nachher Impuls des Elektrons nachher
Die beiden Teilchen müssen vor und nach der Streuung den Energie- und Impulserhaltungssatz erfüllen.
-
Energieerhaltungssatz Impulserhaltungssatz
Da wir noch einen Ausdruck für
benötigen, stellen wir den Energieerhaltungssatz danach um und setzen die
entsprechenden Größen ein.
In der speziellen Relativitätstheorie stehen die Energie und der Impuls eines
Teilchens über die sogenannteEnergie-Impuls-Beziehung
miteinander in Zusammenhang. Weiterhin benötigen wir den Kosinussatz aus der Trigonometrie, da sich
die Teilchen auf den Seiten eines Dreiecks bewegen, die ihrem jeweiligen Impuls
entsprechen. Wir benutzen ihn dafür, um den uns unbekannten Impuls des Elektrons
durch den Impuls des Photons
auszudrücken.
-
Energie-Impuls-Beziehung Kosinussatz
Nun setzen wir unsere Ausdrücke für
und
in die Energie-Impuls-Beziehung ein, multiplizieren alle Klammern aus und fassen
die vielen Terme zusammen
Im letzten Schritt haben wir verwendet, dass die Wellenlänge und die Frequenz
über
miteinander zusammenhängen (Wellengleichung).
Beliebiges Bezugssystem
Während sich der Compton-Effekt im Falle eines ruhenden Elektrons leicht
trigonometrisch berechnen lässt, stellt sich die Situation schwieriger dar, wenn
wir sie aus einem beliebigen Bezugssystem betrachten. In diesem Fall bewegt sich
das Elektron vor dem Stoß mit der Geschwindigkeit ,
wobei es die Gesamtenergie
und den Impuls
trägt,
mit
und
.
Um den Compton-Effekt im nun betrachteten Fall zu berechnen, verwenden wir den Vierervektor-Formalismus.
Die Viererimpulse, welche die beteiligten Teilchen vor und nach dem Streuprozess besitzen, sind
-
Elektron vorher Photon vorher Elektron nachher Photon nachher
Hierbei bezeichnet
einen Einheitsvektor,
der in Bewegungsrichtung des Photons zeigt.
Da wir die Produkte von jeweils zwei der einzelnen Impulse benötigen werden, wollen wir diese nun berechnen. Für die Quadrate gilt stets
,
wobei zu beachten ist, dass
gilt, da es sich bei
um einen Vektor mit der Länge 1 handelt.
Nun fehlen uns noch die gemischten Produkte:
Bei
handelt es sich um den Winkel zwischen Elektron und Photon vor der
Streuung.
Analog erhält man
,
wobei
der Winkel zwischen dem Elektron vor der Streuung und dem Photon
nach der Streuung ist.
,
wobei >
der Winkel zwischen dem Photon vor der Streuung und dem Photon
nach der Streuung ist.
Wird ein Photon an einem Elektron gestreut, so muss die Energie- und Impulserhaltung erfüllt sein. Da die Energie proportional der Nullkomponente des Viererimpulses ist und die restlichen Komponenten den Impuls repräsentieren, folgt
.
Unter Verwendung von
sowie
vereinfacht sich dies zu
.
Nach Einsetzen der zuvor berechneten Komponenten erhalten wir
Je nach Einfallswinkel und kinetischer Energie kann das Elektron eine gewisse Energie an das Photon übertragen (inverse Compton-Streuung). Im Ruhesystem des Elektrons war die Geschwindigkeit desselben vor dem Stoß gleich Null. Demnach ist
und
,
womit sich die bereits bekannte Formel
ergibt.
![Trenner](/button/corpdivider.gif)
![Extern](/button/extern.png)
![Seitenende](/button/stonrul.gif)
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 01.10. 2023