Oktave (Mathematik)
Die (reellen) Oktaven, auch Oktonionen oder
Cayleyzahlen, sind eine Erweiterung der Quaternionen
und besitzen das Mengensymbol .
Sie entstehen durch die Anwendung des Verdopplungsverfahrens
aus den Quaternionen und bilden einen Alternativkörper.
Damit liefern sie als Koordinatenbereich ein Beispiel für eine echte, das heißt
nichtdesarguessche
Moufangebene
in der synthetischen
Geometrie.
Geschichte
Die Oktonionen wurden im Jahr 1843 von John Thomas Graves in einem Brief an William Rowan Hamilton zum ersten Mal beschrieben. Unabhängig davon wurden sie 1845 von Arthur Cayley (als Erstem) veröffentlicht.
Multiplikationstabelle
Die Oktonionen sind eine 8-dimensionale Algebra
über den reellen Zahlen. Eine
mögliche Multiplikation ist – mit der Basis –
wie folgt gegeben:
Daraus errechnet sich das Produkt der Einheiten
Man kann die Elemente
an Stelle der reellen Zahlen auch zu einem anderen (kommutativen)
Körper
adjungieren
– mit der angegebenen Multiplikationstabelle und
als Zentrum.
Man nennt das Ergebnis die Cayley-Algebra über
(welche aber nicht für jedes
ohne Nullteiler ist).
Mit der Notation der Einheits-Oktonionen in der Form
wobei
das skalare Element bezeichnet und mit der reellen Zahl 1 identifiziert werden
kann, schreibt sich die Multiplikationsmatrix:
Bis auf die Elemente in der -Spalte
und Reihe ist die Matrix schiefsymmetrisch. Die Multiplikation kann auch
geschrieben werden:
mit
dem Kronecker-Delta
und
dem vollständig antisymmetrischen Tensor mit dem Wert +1 für ijk = 123,
145, 176, 246, 257, 347, 365.
Das ist nicht die einzige Wahl der Multiplikationstabelle, es gibt 480
weitere Möglichkeiten, erzeugt durch Permutation der
verbunden mit Vorzeichenwechseln, die aber alle auf isomorphe Algebren führen.
Cayley-Dickson-Konstruktion
Man kann Oktonionen als Paare (a,b) von Quaternionen auffassen und die Oktonionen-Multiplikation der Paare (a,b) und (c,d) über
definieren, wobei
die Konjugation einer Quaternion ist.
![](bilder/FanoPlane.png)
Fano-Ebene
Die Multiplikation der Oktonionen kann man in der Fano-Ebene
darstellen (siehe Abbildung rechts). Die Punkte entsprechen den sieben
Einheits-Oktonionen im Imaginärteil der Oktonionen (das heißt ohne ).
Durch die Pfeile ist eine Ordnung vorgegeben und Multiplikation zweier
benachbarter Elemente auf einer Geraden resultiert im dritten Element auf der
Geraden bei Fortschreiten in Pfeilrichtung (einige der Geraden sind in
der Abbildung kreisförmig). Dabei wird zyklisch auf der Geraden
vorangeschritten, das heißt man kann sich die Geraden als virtuell geschlossen
vorstellen: (a, b, c)=(c, a, b)=(b, c, a). Bei Fortschreiten entgegen der
Pfeilrichtung erhält man ein Minusvorzeichen. Zum Beispiel ergibt .
Wenn also (a,b,c) eine Gerade im Fano-Diagramm ist (mit Ordnung gemäß
Pfeilrichtung), dann ist ab=c und ba=-c. Wie oben gilt
und
für
.
Man überzeugt sich leicht anhand des Diagramms, dass die Multiplikation
nicht-assoziativ ist.
Jede „Gerade“ im Fano-Diagramm bildet mit dem Einselement eine Unteralgebra
der Oktonionen die isomorph zu den Quaternionen ist. Jeder Punkt bildet mit dem
Einselement eine Unteralgebra die isomorph zu den komplexen Zahlen ist. Eine
Gerade und ein Punkt außerhalb der Geraden erzeugen bereits das ganze Diagramm
(also zwei beliebige imaginäre Einheits-Oktonionen ,
,
die mit
eine Gerade bilden, sowie ein zusätzliches imaginäres Einheits-Oktonion
).
Eigenschaften
Die Oktonionen sind eine Divisionsalgebra mit Einselement.
Sie bilden keinen Schiefkörper (und damit auch keinen Körper), denn sie verletzen das
- Assoziativgesetz
der Multiplikation:
.
Es gilt jedoch für alle Oktaven a und b:
und
.
Diese Eigenschaft wird Alternativität genannt und kann als abgeschwächte Form der Assoziativität aufgefasst werden (eine aus zwei beliebigen Oktonionen gebildete Unteralgebra ist assoziativ). Die Oktonionen bilden einen Alternativkörper.
Aus der Alternativität folgt die Beziehung
.
Diese Beziehung wird auch Flexibilitätsgesetz genannt.
Die Oktonionen erfüllen außerdem die Moufang-Identitäten
und
Anwendung des Verdopplungsverfahrens auf die Oktaven liefert die Sedenionen. Sie sind allerdings nicht mehr Nullteiler-frei (und auch nicht mehr alternativ). Im Rahmen des Verdopplungsverfahrens verlieren die betrachteten Algebren ausgehend von den reellen Zahlen zunehmend wichtige Eigenschaften, zuerst die Ordnungseigenschaft bei den komplexen Zahlen, dann die Kommutativität bei den Quaternionen und die Assoziativität bei den Oktonionen. Alle vier zusammen bilden die einzigen über den reellen Zahlen endlichdimensionalen, normierten Divisionsalgebren mit Einselement (Satz von Hurwitz).
Die Automorphismengruppe
der Oktonionen ist die kleinste exzeptionelle einfache Liegruppe
.
Sie ist von der Dimension 14 und kann als Untergruppe von
aufgefasst werden, die in ihrer 8-dimensionalen reellen Spinor-Darstellung
einen beliebigen vorgegebenen Vektor fest lässt. Sie hat zwei fundamentale
Darstellungen von 14 Dimensionen (die Adjungierte
Darstellung) und 7 Dimensionen (diese ist gerade durch ihre Operationen auf
dem siebendimensionalen Imaginärteil der Oktonionen – aufgefasst als
Vektorraum über den reellen Zahlen – gegeben).
Darstellungen
Jede Oktave kann dargestellt werden…
- … als 8er-Tupel von reellen Zahlen:
- … als 4er-Tupel von komplexen
Zahlen:
- … als geordnetes Paar von Quaternionen:
Der Körper
der reellen Zahlen
kann als Unterstruktur von
betrachtet werden:
- Für alle Zahlen
aus
gilt:
entspricht
Der Körper der komplexen Zahlen
kann als Unterstruktur von
betrachtet werden:
- Für alle Zahlen
aus
gilt:
entspricht
Der Schiefkörper
der Quaternionen
kann als Unterstruktur von
betrachtet werden:
- Für alle Zahlen
aus
gilt:
entspricht
Für die Oktaven sind Addition und Multiplikation so definiert, dass sie abwärtskompatibel sind, das heißt…
- … für alle reellen Zahlen
und
gilt:
- … für alle komplexen Zahlen
und
gilt:
- … für alle Quaternionen
und
gilt:
Konjugation, Norm, Inverse
Die Konjugierte eines Oktonions
wird definiert als:
Konjugation ist eine Involution und es gilt
Der Skalarteil des Oktonions ist gegeben durch:
und der Rest (Imaginärteil, entsprechend einem siebendimensionalen Untervektorraum) durch
Die Konjugation erfüllt:
Das Produkt eines Oktonions mit seinem Konjugierten
liefert eine reelle Zahl größer oder gleich Null und kann für die Definition einer Norm benutzt werden, die mit der üblichen euklidischen Norm in der Vektorraum-Darstellung der Oktonionen übereinstimmt:
Das inverse Element eines nicht-verschwindenden Oktonions kann damit so geschrieben werden:
Es gilt
Für das Produkt zweier Oktonionen gilt:
Das heißt, die Oktonionen bilden wie die reellen Zahlen, die komplexen Zahlen und die Quaternionen eine Kompositionsalgebra.
Anwendungen
Mittels der Cayley-Algebren lassen sich exzeptionelle Jordan-Algebren konstruieren und mittels Räumen von Derivationen auf solchen Jordan-Algebren können exzeptionelle Lie-Algebren angegeben werden.
Oktonionen können auch zur Konstruktion der fastkomplexen Struktur auf der 6-Sphäre benutzt werden.
In der Physik könnten Oktaven zur Beschreibung einer achtdimensionalen Supersymmetrie dienen. Damit ergäben sich auch mögliche Anwendungen in Zusammenhang mit der Stringtheorie und der M-Theorie, da beide auf der Supersymmetrie aufbauen.
Schon 1973 gab es Versuche, über die Untergruppen SU (3) und SU (2) x SU (2)
der Automorphismengruppe der Oktonionen
Teile des Standardmodells
(Quarks) mit Oktonionen darzustellen (Feza Gürsey).
Die grundlegende Gruppenstruktur der Wechselwirkungen des Standardmodells ist
SU(3) x SU (2) x U (1) (kurz 1-2-3-Symmetrie). Die Gruppe SU (3) ergibt sich in
der Automorphismengruppe
der imaginären Oktonionen, indem man einen der imaginären Einheits-Oktonionen
fest lässt. Ab Mitte der 2010er Jahre gab es Versuche der Physikerin Cohl Furey,
weitere Elemente des Standardmodells aus der Oktonionenalgebra zu erhalten.
Sie geht vom Tensorprodukt der vier Divisionsalgebren
aus und betrachtet Teilchen als Ideale
darin.
Die Raum-Zeit-Symmetrien (Lorentzgruppe) sind im
Teil der Quaternionen, die Gruppenstruktur des Standardmodells im
Teil der Oktonionen. 2018 implementierte sie darin die volle
1-2-3-Symmetriegruppe des Standardmodells mit einer Generation von
Elementarteilchen.
Es entspricht einer Version der GUT
mit Eichgruppe SU (5) von Howard Georgi und Sheldon Glashow, allerdings mit einer möglichen Erklärung für die Unterbindung des
Protonzerfalls. Sie fand auch eine Implementierung der ungebrochenen Symmetrien
SU (3) und U (1) des Standardmodells mit drei Generationen.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 08.04. 2021