Beweis der Irrationalität der Wurzel aus 2 bei Euklid

In der Abhandlung Elemente des griechischen Mathematikers Euklid ist ein Beweis dafür überliefert, dass die Quadratwurzel von 2 irrational ist. Dieser zahlentheoretische Beweis wird durch Widerspruch (Reductio ad absurdum) geführt und gilt als einer der ersten Widerspruchsbeweise in der Geschichte der Mathematik. Aristoteles erwähnt ihn in seinem Werk Analytica priora als Beispiel für dieses Beweisprinzip. Der unten angeführte Beweis stammt aus Buch X, Proposition 117 der Elemente. Es wird jedoch allgemein angenommen, dass es sich dabei um eine Interpolation handelt, also dass die Textstelle nicht von Euklid selbst stammt. Aus diesem Grund ist der Beweis in modernen Ausgaben der Elemente nicht mehr enthalten.
Irrationale Größenverhältnisse waren schon dem Pythagoreer Archytas von Tarent bekannt, der Euklids Satz nachweislich schon in allgemeinerer Form bewies. Früher glaubte man, das Weltbild der Pythagoreer sei durch die Entdeckung der Inkommensurabilität in Frage gestellt worden, da sie gemeint hätten, die gesamte Wirklichkeit müsse durch ganzzahlige Zahlenverhältnisse ausdrückbar sein. Nach heutigem Forschungsstand trifft das aber nicht zu.[1] Ein geometrischer Beweis dafür, dass Diagonale und Seite im Quadrat oder im regelmäßigen Fünfeck keine gemeinsame Maß-Teilstrecke haben können, war bereits im späten 6. oder frühen 5. Jahrhundert v. Chr. von dem Pythagoreer Hippasos von Metapont entdeckt worden.
Beweisführung
Behauptung
Die Quadratwurzel aus 2 ist eine irrationale Zahl.
Beweis
Die Beweisführung erfolgt nach der Methode des Widerspruchsbeweises, das heißt, es wird gezeigt, dass die Annahme, die Wurzel aus 2 sei eine rationale Zahl, zu einem Widerspruch führt (lateinisch: reductio ad absurdum).
Es wird also angenommen, dass die Quadratwurzel aus 2 rational ist und sich
somit als Bruch
darstellen lässt. Es wird ferner angenommen, dass
und
teilerfremde ganze
Zahlen sind, der Bruch
also in gekürzter
Form vorliegt:
Das bedeutet, dass das Quadrat des Bruchs
gleich 2 ist:
,
oder umgeformt:
.
Da
eine gerade Zahl ist, ist auch
gerade. Daraus folgt, dass auch die Zahl
gerade ist.[2]
Die Zahl
lässt sich also darstellen durch:
, wobei
eine ganze Zahl ist.
Damit erhält man mit obiger Gleichung:
und hieraus nach Division durch 2
.
Mit der gleichen Argumentation wie zuvor folgt, dass
und damit auch
eine gerade Zahl ist.
Da
und
durch 2 teilbar sind, erhalten wir einen Widerspruch zur Teilerfremdheit.
Dieser Widerspruch zeigt, dass die Annahme, die Wurzel aus 2 sei eine
rationale Zahl, falsch ist und daher das Gegenteil gelten muss. Damit ist die
Behauptung, dass
irrational ist, bewiesen.
Verallgemeinerung
Diese Beweisidee lässt sich auf den allgemeinen Fall der -ten
Wurzel aus einer beliebigen natürlichen
Zahl
,
die keine
-te
Potenz
ist, erweitern:
Wenn
keine
-te
Potenz ist (nicht darstellbar als
für eine natürliche Zahl
),
dann ist
irrational.
Beweis: Anstelle der einfachen gerade-ungerade-Argumentation verwendet man
hier allgemein die Existenz einer eindeutigen Primfaktorzerlegung
für natürliche Zahlen. Der Beweis erfolgt wieder durch Widerspruch: Angenommen,
es gelte
mit natürlichen Zahlen
.
Es ist zu zeigen, dass dann
eine
-te
Potenz ist, d. h., dass
sogar eine natürliche Zahl ist. Zunächst folgt durch einfache Umformung, dass
gilt. Sei
eine beliebige Primzahl. In der Primfaktorzerlegung von
bzw.
bzw.
trete
genau mit der Vielfachheit
bzw.
bzw.
auf. Dann folgt sofort
,
wegen
auf jeden Fall also
.
Da dies für jede Primzahl
gilt, muss
in der Tat ein Teiler von
sein, also ist
eine natürliche Zahl und
ist deren
-te
Potenz.
Einfache Folgerung aus dem Irrationalitätssatz:
ist irrational für alle natürlichen Zahlen größer als 1 (weil
nicht
-te
Potenz einer natürlichen Zahl größer als 1 sein kann).
Anmerkungen
- ↑ Die Annahme einer durch die Entdeckung ausgelösten Grundlagenkrise der Mathematik bzw. der Philosophie der Mathematik bei den Pythagoreern widerlegt Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon, Nürnberg 1962, S. 431–440. Zum selben Ergebnis kommen Leonid Zhmud: Wissenschaft, Philosophie und Religion im frühen Pythagoreismus, Berlin 1997, S. 170–175, David H. Fowler: The Mathematics of Plato's Academy, Oxford 1987, S. 302–308 und Hans-Joachim Waschkies: Anfänge der Arithmetik im Alten Orient und bei den Griechen, Amsterdam 1989, S. 311 und Anm. 23. Die Hypothese einer Krise oder gar Grundlagenkrise wird in der heutigen Fachliteratur zur antiken Mathematik einhellig abgelehnt.
- ↑
Eine ganze Zahl wird gerade bzw. ungerade
genannt, je nachdem ob sie durch 2 teilbar bzw. nicht teilbar ist. Das heißt:
Eine gerade Zahl hat die Form
und eine ungerade Zahl die Form
, wobei
eine natürliche Zahl 1, 2, 3, … ist. Da
und
ist, ist das Quadrat einer ganzen Zahl
genau dann gerade, wenn
selbst gerade ist.



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.04. 2021