Nullmeridian
Der Nullmeridian ist derjenige Meridian (ein senkrecht zum Erdäquator stehender und von Nord- zu Südpol verlaufender Halbkreis), von dem aus die geografische Länge nach Osten und Westen gezählt wird.
Seine Festlegung ist an sich willkürlich, er wurde aber durch internationale Vereinbarung während der Internationalen Meridiankonferenz 1884 in die Meridianebene der Londoner Sternwarte Greenwich gelegt und wird daher oft auch als Greenwich-Meridian bezeichnet (Meridian des Passageninstruments am Royal Greenwich Observatory). Bis dahin waren unterschiedliche Nullmeridiane in Gebrauch.
Vereinbarungsgemäß[1] wird die geografische Länge vom Nullmeridian nach Osten (d.h. im Sinne der Erdrotation) positiv (0° bis +180°) und nach Westen negativ (0° bis −180°) gezählt. Doch verbreiteter ist stattdessen östliche Länge (0–180° Ost, algebraisch positiv) und westliche Länge (0–180° West, algebraisch negativ). Als Abkürzungen werden O oder E für „Osten“ und W für „Westen“ verwendet. Das Symbol E (englisch für „East“, französ. „Est“) ist teilweise auch im Deutschen üblich, um einer Verwechslung mit der Ziffer 0 vorzubeugen. Auf der Westhemisphäre (v.a. in den USA) ist entgegen der internationalen Norm auch westliche Zählung von 0°–360° gebräuchlich.
Einführung
Die Länge des Nullmeridians ist der über die Pole gemessene halbe Erdumfang des internationalen Erdellipsoids, also 20.003,9 km. Mit seinem gegenüberliegenden sogenannten Antimeridian, der zum Beispiel die Wrangelinsel bei 180° (ohne Zusatz E oder W) schneidet, ergänzt sich der Nullmeridian zu einem Großkreis auf der Erde. Die Datumsgrenze verläuft teilweise (nahe den Polen und nördlich des Äquators) genau auf 180° Greenwich (Abweichungen bzw. Ausnahmen vom 180. Längengrad sind: in der Beringstraße, bei den Aleuten (Alaska), in Kiribati, bei den Fidschi-Inseln, bei Tuvalu, bei Tonga und bei den zu Neuseeland gehörenden Kermadecinseln und Chatham-Inseln).
Vor der Festlegung auf einen internationalen Nullmeridian im Jahre 1884 besaß beinahe jedes europäische Land seinen eigenen Nullmeridian, meist die geographische Länge der jeweiligen Hauptstadt bzw. deren Sternwarte. Mit zunehmendem internationalem Reiseverkehr – insbesondere durch die Eisenbahn – wurde jedoch eine Vereinheitlichung der bestehenden Systeme notwendig. Ein großflächiger Verkehrsplan benötigte für den reibungslosen und gefahrlosen Betrieb nach Fahrplan eine einheitliche Zeit anstelle der bis dahin ausreichend genauen Sonnenzeit, die sich von Stadt zu Stadt unterschied. Zudem wurde es immer wichtiger, eine genaue internationale Zeit (Weltzeit) zur Verfügung zu haben. Sie ist als mittlere Ortszeit des Nullmeridians definiert.
Die Internationale Meridian-Konferenz, Washington 1884
Auf der Internationalen Meridian-Konferenz in Washington, D.C. mit Vertretern aus 25 Nationen wurde am 13. Oktober 1884 der durch Greenwich verlaufende Meridian als Basis des internationalen Koordinatensystems eingeführt.
Als möglicher Internationaler Nullmeridian wurden bei der Washingtoner Konferenz vornehmlich fünf Möglichkeiten diskutiert:
- der Pariser Meridian des Observatoriums von Paris: 2° 20′ 14.025″ östlich von Greenwich
- der schon seit dem Altertum bekannte Ferro-Meridian auf der kanarischen Insel Ferro (heutiger Name: El Hierro) auf heute 17° 40′ West
- ein möglicher Nullmeridian bei den Azoren bei etwa 28° 0′ West
- ein möglicher Nullmeridian im Pazifischen Ozean auf heute 180° (Gegenbogen zum Greenwich-Meridian, entspricht etwa der heutigen Datumslinie)
- der auf den damaligen modernen Seekarten meistens benutzte Greenwich-Meridian (diese häufige Verwendung gab den Ausschlag für seine Wahl).
Im Konferenzverlauf stellte sich sehr bald heraus, dass der Pariser Nullmeridian keine Mehrheit finden würde. Der alte Ferro-Meridian wurde wegen seiner einige Jahrzehnte zuvor erfolgten Festlegung auf genau 20° westlich von Paris als „französisches U-Boot“ angesehen. Die Azoren und die Beringstraße schieden vor allem deshalb aus, weil sie über kein Observatorium verfügten und auch telegrafisch damals nicht an die übrige Welt angebunden waren.
So setzte sich schließlich der Greenwich-Meridian als Internationaler Nullmeridian mit großer Mehrheit – bei Stimmenthaltung Frankreichs – durch.
Korrigierte Lage des Nullmeridians
Besucher des Greenwich-Observatoriums sind oft erstaunt, dass ihr GPS-Empfänger am dort markierten Nullmeridian nicht exakt die Länge Null anzeigt. Er verläuft etwa 102 Meter östlich des historischen Meridians durch den Greenwich-Park. Ursache dieser Differenz ist ein durch örtliche Schwerkraftfelder (Gravitationsanomalien) verursachter, zur Zeit der 1884 getroffenen Vereinbarung gemachter Messfehler, der zur fehlerhaften Festlegung der astronomischen Bezugspunkte führte. Diese weiterhin gültigen Bezugspunkte und der Erdmittelpunkt liegen in einer (Meridian-) Ebene, die die Erdoberfläche etwas weiter östlich schneidet.
Abgesehen davon: Der heute gültige Nullmeridian des WGS84- und ETRS89/GRS80-Bezugsystems ist überhaupt nicht mehr fest an die Erdoberfläche gebunden, sondern ein modelliertes Geodätisches Datum, da Meridiane in genauerer Rechnung unter dem Einfluss von Kontinentalverschiebung und Gezeitenkräften sowieso nicht oberflächen-ortsfest sind.
Nullmeridian und Zeitmessung
Die mittlere Sonnenzeit am Nullmeridian wurde maßgeblich für die Weltzeit (GMT, Greenwich Mean Time), die erst 1972 durch die koordinierte Weltzeit (UTC) abgelöst wurde. Diese orientiert sich heute nicht mehr an einer Ortszeit, sondern – so die Benennung – koordiniert die kontinuierliche Atomzeit mit der astronomisch gemessenen, die Unregelmäßigkeiten der Erdumdrehung und die Sonnenstände widerspiegelnden Universal Time. Der Abgleich erfolgt über Schaltsekunden. Am Nullmeridian ist die Differenz von mittlerer Ortszeit und UTC heute nicht präzise Null.
Historische Konzepte der Bezugslinie der Erdmessnetze
- Erste Einteilung der Welt in Längen und Breiten durch Hipparch von Nikaia (190–120 v. Chr.): Rhodos (sein astronomischer Beobachtungsort)
- Claudius Ptolemaeus verlegte ihn um 150 an die westliche Grenze der bekannten Welt: Isla del Meridiano (El Hierro oder Ferro, die westlichste der Kanarischen Inseln, der antiken Hesperiden), und schuf damit den bis ins 20. Jahrhundert hinein verwendeten Ferro-Meridian.
- Arabische Astronomen legten den Nullmeridian zuerst durch die Westspitze von Afrika, 1075 dann 10° westlich von Bagdad.
- Es gab danach immer wieder Versuche einer Verlegung, z.B. als 1427 die Azoren und 1492 Amerika entdeckt wurden.
- Im April 1634 wurde von einem Gelehrtenkongress aller seefahrenden Nationen die Insel Ferro bestätigt.
- Der Geograph und Universalgelehrte Johann Gottfried Gregorii alias Melissantes schlug 1708 die internationale Vereinheitlichung des Nullmeridians mit Hilfe einer multilateralen politischen Einigung vor.
- Ab 1718 wurde in Frankreich der Meridian von Paris, ab 1738 wurde in England der Meridian von Greenwich angewandt.
- In Deutschland wurde der Meridian von Greenwich 1885 übernommen, in Frankreich erst um 1900. Österreich-Ungarn verwendete ihn bis 1918 parallel mit dem alten Ferro-Meridian.
- Seit den 1980er Jahren ist der Nullmeridian – und auch 0° geographische Breite, also der Äquator, wie auch geographischer Nord- und Südpol – nicht mehr erdoberflächenfest, sondern an einem Referenzellipsoid über die Erdgestalt ausgerichtet, vermeidet also Effekte der Kontinentaldrift und der Gezeitenkräfte.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ A. Schödlbauer: Geodätische Astronomie. de Gruyter 2000, S. 3: Die Geografische Länge L ist der Richtungswinkel, den die Meridianebene von P mit der Meridianebene […] von Greenwich bildet. Die Zählung dieses Winkels beginnt vereinbarungsgemäß am Bezugsmeridian und wird nach Osten positiv gezählt. (Anmerkung: ob im Westen negativ oder > 180°, ist rechentechnisch egal)
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 12.04. 2023