Fixpunktfreie Permutation
![](bilder/050712_perm_1.png)
Eine fixpunktfreie Permutation oder Derangement (von französisch
déranger
„durcheinanderbringen“) ist in der Kombinatorik
eine Permutation der Elemente
einer Menge, sodass kein Element seine Ausgangsposition beibehält. Die Anzahl
möglicher fixpunktfreier Permutationen einer Menge mit
Elementen wird durch die Subfakultät
angegeben. Für wachsendes
strebt innerhalb der Menge der Permutationen von
Elementen der Anteil der fixpunktfreien Permutationen sehr schnell gegen den Kehrwert der
eulerschen Zahl
.
Sollen in einer Permutation manche der Elemente an ihrem alten Platz verbleiben,
spricht man von einem partiellen Derangement, deren Anzahl durch die Rencontres-Zahlen
ermittelt werden kann.
Ausgangsproblem
Beim Treize-Spiel
gewinnt der Spieler, wenn bei 13 durchmischten Spielkarten einer Farbe
(untere Reihe) mindestens eine Karte in der richtigen Reihenfolge (obere
Reihe) auftritt, hier die Zehn. |
Der französische Mathematiker Pierre Rémond de Montmort stellte Anfang des 18. Jahrhunderts in seinem Buch Essai d’analyse sur les jeux de hazard ein Spiel namens Treize („Dreizehn“) vor, das in vereinfachter Form wie folgt beschrieben werden kann:
Ein Spieler mischt einen Satz von 13 Spielkarten einer Farbe und legt ihn als Stapel vor sich hin. Nun deckt er die Karten der Reihe nach auf, wobei er jede Karte gemäß der Reihenfolge As, Zwei, Drei bis König aufruft. Sollte irgendwann die aufgerufene Karte mit der aufgedeckten Karte übereinstimmen, so gewinnt er das Spiel; trifft dies bei keiner der 13 Karten zu, verliert er.
Nun stellt de Montmort sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit,
mit der der Spieler das Spiel gewinnt. In der ersten Auflage seines Buchs von
1708 gibt de Montmort zwar das korrekte Ergebnis an, allerdings ohne genauere
Herleitung. In der zweiten Auflage von 1713 stellt er dann zwei Beweise vor,
einen eigenen, der auf einer rekursiven
Darstellung beruht, und einen weiteren aus einem Briefwechsel mit Nikolaus I
Bernoulli, der auf dem Inklusions-Exklusions-Prinzip
basiert. De Montmort zeigt weiter, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit sehr nahe
an dem Wert von
liegt. Vermutlich stellt dies die erste Verwendung der Exponentialfunktion
in der Wahrscheinlichkeitstheorie dar.
Ohne die Vorarbeiten zu kennen, analysierte Leonhard Euler 1753 ein verwandtes Glücksspiel namens Rencontre („Wiederkehr“), das folgendermaßen abläuft:
Zwei Spieler besitzen jeweils ein vollständiges Kartenspiel mit 52 Karten. Sie mischen ihre Karten und legen diese als Stapel vor sich ab. Nun ziehen beide Spieler gleichzeitig immer wieder die oberste Karte von ihrem Stapel. Erscheint zu irgendeinem Zeitpunkt zweimal die gleiche Karte, so gewinnt der eine Spieler, andernfalls der andere.
Wiederum stellt sich die Frage nach der Gewinnwahrscheinlichkeit. Euler leitet die Lösung mit Hilfe weiterer Rekurrenzformeln her, wobei er annehmen darf, dass nur einer der Spieler seine Karten mischt und der andere Spieler seine Karten in einer vorgegebenen Reihenfolge aufdeckt. Weitere Varianten und Verallgemeinerungen der Fragestellung wurden unter anderem von de Moivre, Lambert und Laplace untersucht.
In modernen Lehrbüchern zur Kombinatorik wird das Problem häufig als „Problem der vertauschten Hüte“ (auch Mäntel, Koffer, Briefe oder ähnliches) in etwa so formuliert:
Bei einem Empfang geben
Gäste ihre Hüte an der Garderobe ab. Die Garderobenfrau ist an diesem Abend
jedoch sehr zerstreut und gibt beim Verlassen jedem Gast einen zufällig
gewählten Hut zurück. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein
Gast den richtigen Hut erhält?
Die drei mathematischen Probleme sind zueinander äquivalent und können durch das Studium fixpunktfreier Permutationen gelöst werden.
Definition
Ist
die symmetrische
Gruppe aller Permutationen
der Menge
,
dann heißt eine Permutation
fixpunktfrei, wenn
für alle
gilt. Eine fixpunktfreie Permutation ist damit eine Permutation, bei der kein
Element seine Ausgangsposition beibehält, das heißt, es tritt kein Zyklus der Länge
eins auf. Bezeichnet
die Menge aller fixpunktfreien Permutationen in
und
deren Anzahl, dann entspricht der Anteil
.
nach der Laplace-Formel
gerade der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer fixpunktfreien
Permutation, wenn man annimmt, dass alle
möglichen Permutationen in
gleich
wahrscheinlich sind. Allgemeiner können auch Permutationen beliebiger endlicher Mengen,
beispielsweise Alphabete,
betrachtet werden, zur Analyse der mathematischen Eigenschaften kann man sich
jedoch auf die ersten
natürlichen Zahlen beschränken.
Beispiele
![](bilder/Derangement4.png)
Ein Fixpunkt einer Permutation ist dadurch charakterisiert, dass in ihrer Zweizeilenform
zweimal die gleiche Zahl untereinander steht. Die einzige Permutation in
hat einen Fixpunkt und es gilt damit
und
.
Die beiden Permutationen in
sind
und
,
wobei die erste zwei Fixpunkte hat und die zweite keinen. Es gilt also
und
.
Von den sechs Permutationen in
und
sind nur die vierte und fünfte fixpunktfrei, es gilt also
und
.
In
besteht die Trägermenge aus der leeren
Menge mit der einzigen Permutation darin, die leere Menge auf die leere
Menge abzubilden. Da aus der leeren Menge kein Element ausgewählt werden kann,
ist diese Permutation fixpunktfrei und es gilt
und
.
Anzahl
fixpunktfreie Permutationen |
alle Permutationen |
Anteil | |
---|---|---|---|
0 | 1 | 1 | 1 |
1 | 0 | 1 | 0 |
2 | 1 | 2 | 0,5 |
3 | 2 | 6 | 0,33333333… |
4 | 9 | 24 | 0,375 |
5 | 44 | 120 | 0,36666666… |
6 | 265 | 720 | 0,36805555… |
7 | 1.854 | 5.040 | 0,36785714… |
8 | 14.833 | 40.320 | 0,36788194… |
9 | 133.496 | 362.880 | 0,36787918… |
10 | 1.334.961 | 3.628.800 | 0,36787946… |
Die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen in
lässt sich mit Hilfe der Subfakultät
durch
ausdrücken. Der Anteil der fixpunktfreien Permutationen in
ist entsprechend
.
Die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen
und ihr Anteil an der Gesamtzahl der Permutationen
sind für
bis
in nebenstehender Tabelle zusammengefasst.
Für
liegt damit der Anteil der fixpunktfreien Permutationen bei etwa 37 %
(daher auch 37%-Regel). Asymptotisch gilt für diesen Anteil
,
wobei
die eulersche
Zahl ist.
Herleitungen
Herleitung über das Inklusions-Exklusions-Prinzip
![](bilder/220px-Inclusion-exclusion.svg.png)
Bezeichnet
die Menge der Permutationen, die einen Fixpunkt an der Stelle
aufweisen, dann hat die Menge der fixpunktfreien Permutationen die Darstellung
.
Damit ist die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen durch
gegeben. Nach dem Prinzip von Inklusion und Exklusion gilt nun für die Mächtigkeit einer Vereinigungsmenge
.
Jede der Schnittmengen
besteht aus den Permutationen mit mindestens den
Fixpunkten
und demnach gilt
.
Nachdem es
Möglichkeiten gibt,
Fixpunkte auszuwählen, erhält man so
und weiter
.
Herleitung über Rekurrenzen
Bei der Herleitung sind
zwei Fälle zu unterscheiden: ist |
Ist
mit
eine fixpunktfreie Permutation, dann gilt per Definition
.
Nun werden die folgenden zwei Fälle unterschieden:
- Befindet sich die Zahl
an der Stelle
, dann können die übrigen
Zahlen auf
Möglichkeiten fixpunktfrei auf die verbleibenden Plätze verteilt werden.
- Ansonsten betrachtet man die Menge
. Diese Zahlen müssen nun die Positionen
einnehmen, sodass keine der Zahlen festbleibt und zudem die
nicht an der Stelle
steht. Die Anzahl der Möglichkeiten dies zu erreichen ist gerade
.
Nachdem es
mögliche Werte für
gibt, folgt daraus die lineare
Rekurrenz
mit
und
.
Diese Rekurrenz lässt sich nun zu
.
umformen. Mit der Ersetzung
erkennt man
,
also
,
und damit
.
Die explizite Summenformel kann dann durch vollständige Induktion verifiziert werden:
wobei .
Partielle Derangements
0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | Summe | |
0 | 1 | 1 | |||||
1 | 0 | 1 | 1 | ||||
2 | 1 | 0 | 1 | 2 | |||
3 | 2 | 3 | 0 | 1 | 6 | ||
4 | 9 | 8 | 6 | 0 | 1 | 24 | |
5 | 44 | 45 | 20 | 10 | 0 | 1 | 120 |
Sollen in einer Permutation
genau
Zahlen an ihrem Platz verbleiben, so spricht man von einem unvollständigen oder
partiellen Derangement. So sind beispielsweise die drei partiellen Derangements
in
,
bei der genau eine Zahl an ihrem Platz bleibt
und
.
Bezeichnet nun
die Menge der partiellen Derangements in
bei denen genau
Zahlen an ihrem Platz verbleiben, dann wird die Anzahl
durch die Rencontres-Zahlen
angegeben (Folge A008290
in OEIS).
Als Spezialfall für
erhält man mit
die Menge der fixpunktfreien Permutationen und mit
die Subfakultät.
Anwendungen
![](bilder/220px-Enigma-action-de.svg.png)
Die deutsche Schlüsselmaschine ENIGMA, die während des Zweiten Weltkriegs zum Einsatz kam, führte konstruktionsbedingt fixpunktfreie (und selbstinverse) Permutationen durch. Eine spezielle Walze, nämlich die ganz links liegende Umkehrwalze, bewirkte, dass der Strom den Walzensatz zweimal durchfloss, einmal in Hinrichtung und einmal in Rückrichtung. Dadurch konnte ein Buchstabe nicht mehr in sich selbst verschlüsselt werden, was zwar die Konstruktion und Bedienung der Maschine vereinfachte, da Verschlüsselung und Entschlüsselung hierdurch gleich waren, zugleich allerdings eine signifikante kryptographische Schwächung bewirkte.
Das Wichteln ist ein vorweihnachtlicher Brauch, bei dem eine Gruppe von Personen auf zufällige Weise Geschenke austauscht. Nimmt man dabei an, dass sich keine Person selbst beschenkt, kann der Austausch der Geschenke mathematisch als fixpunktfreie Permutation der Personen beschrieben werden.
Literatur
- Martin Aigner: Diskrete Mathematik. Vieweg, 2006, ISBN 3-8348-0084-8.
- Albrecht Beutelspacher, Marc-Alexander Zschiegner: Diskrete Mathematik für Einsteiger. Springer, 2007, ISBN 3-8348-9182-7.
- Norbert Henze: Stochastik für Einsteiger. 10. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-03076-6.
- Herbert Kütting, Martin J. Sauer: Elementare Stochastik: Mathematische Grundlagen und didaktische Konzepte. Springer, 2011, ISBN 3-8274-2759-2.
- Matthias Löwe, Holger Knöpfel: Stochastik – Struktur im Zufall. Oldenbourg, 2011, ISBN 3-486-70676-4.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 31.07. 2022