Laguerre-Ebene
Eine Laguerre-Ebene, benannt nach Edmond
Laguerre, ist im klassischen Fall eine Inzidenzstruktur,
die im Wesentlichen die Geometrie der durch eine Gleichung der Form
gegebenen Kurven, das sind Geraden und Parabeln, in der reellen Anschauungsebene
beschreibt. Punkte mit denselben x-Koordinaten haben keine Verbindung, man nennt
sie deshalb parallel.


Offensichtlich gilt: 3 nicht parallele Punkte haben genau eine
Verbindungskurve (Gerade oder Parabel). Zwei solcher Kurven schneiden sich in
höchstens 2 Punkten und können sich in einer gemeinsamen Tangente berühren. Allerdings
gibt es auch Parabeln, die sich in nur einem Punkt schneiden aber nicht
berühren: Beispielsweise schneiden sich
und
nur im Punkt (1,1) und haben dort keine gemeinsame Tangente (s. Bild). Um solche
Fälle von der Berührrelation auszuschließen, wird jeder Kurve
der Fernpunkt
hinzugefügt. Diese Kurven werden Zykel genannt. Die so ergänzten Kurven
haben jetzt den weiteren Schnittpunkt
.
Für dieses erweiterte System von Punkten und Zykeln gelten die folgenden
Aussagen (vgl. Möbius-Ebene):
- (B1): Zu je 3 paarweise nicht parallelen Punkten
gibt es genau einen Zykel
, der
enthält.
- (B2): Zu jedem Punkt
und jedem Zykel
gibt es genau einen Punkt
auf
, der zu
parallel ist (s. Bild).
- (B3): (Berührrelation) Zu jedem Zykel
, jedem Punkt
auf
und jedem Punkt
nicht auf
, der nicht parallel zu
ist, gibt es genau einen Zykel
durch
, der
in
berührt (s. Bild).
Wie bei den Möbius-Ebenen ist nicht zu erwarten, dass die hier beschriebene Geometrie der erweiterten Geraden und Parabeln die einzige Inzidenzstruktur ist, die die Eigenschaften (B1),(B2), (B3) besitzt. Ersetzt man hier die reellen Zahlen, durch einen beliebigen Zahlkörper so bleiben (B1),(B2), (B3) gültig (im Gegensatz zum Fall der Möbius-Ebene).
Neben dem formal inhomogenen Modell (es gibt Geraden und Parabeln) erhält man mit Hilfe der Umkehrung einer geeigneten Stereografischen Projektion der reellen Ebene auf einen Kreiszylinder ein homogenes räumliches Modell: Die Punkte der neuen Inzidenzstruktur sind die Punkte auf der Zylinderoberfläche, die Zykel sind Ellipsen/Kreise und parallele Punkte liegen auf einer Zylindergerade. Die klassische reelle Laguerre-Ebene kann also auch als die Geometrie der ebenen Schnitte (Ellipsen/Kreise) auf einem Kreiszylinder aufgefasst werden.
Eine Laguerre-Ebene ist eine der 3 Benz-Ebenen: Möbius-Ebene, Laguerre-Ebene und Minkowski-Ebene. Die klassische Möbius-Ebene ist die Geometrie der Kreise und die klassische Minkowski-Ebene die Geometrie der Hyperbeln.
Bemerkung:
- Eine Laguerre-Ebene wurde ursprünglich als die Geometrie der gerichteten Kreise und Geraden in der reellen Ebene definiert.
- Neben den bisher erwähnten geometrischen Beschreibungen der klassischen reellen Laguerre-Ebene gibt es noch die Darstellung über dem Ring der dualen Zahlen (analog der Beschreibung der klassischen Möbius-Ebene über den komplexen Zahlen).
Die Axiome einer Laguerre-Ebene
Es sei
eine Inzidenzstruktur mit der Menge der Punkte
und der Menge der Zykel
.
Zwei Punkte
sind parallel (
),
falls
ist oder es keinen Zykel gibt, der
und
enthält.
heißt Laguerre-Ebene, falls die folgenden Axiome erfüllt sind:

- (B1): Für je 3 Punkte
, paarweise nicht parallel, gibt es genau einen Zykel
, der
enthält.
- (B2): Zu jedem Punkt
und jedem Zykel
gibt es genau einen Punkt
mit
.
- (B3): (Berühraxiom) Für jeden Zykel
, jeden Punkt
und jedem Punkt
, der nicht parallel zu
ist, gibt es genau einen Zykel
durch
mit
,
- d.h.
und
berühren sich im Punkt
.
- (B4): Jeder Zykel enthält wenigsten 3 Punkte, es gibt wenigstens einen Zykel. Es gibt wenigstens 4 Punkte nicht auf einem Zykel.
Vier Punkte
sind konzyklisch, wenn es einen Zykel
gibt mit
.
Aus der Definition der Eigenschaft
und Axiom B2 ergibt sich
- Die Relation
ist eine Äquivalenzrelation.
Motiviert durch das klassische Zylindermodell führen wir folgende Bezeichnung ein:
- a) Für
sei
b) Eine Äquivalenzklasse
heißt Erzeugende.
In der klassischen Laguerre-Ebene ist eine Erzeugende eine Parallele zur y-Achse (ebenes Modell) bzw. eine Gerade auf dem Zylinder (Zylindermodell).
Die Verbindung zur linearen Geometrie liefert der folgende Begriff:
Für eine Laguerre-Ebene
definieren wir die lokale Struktur
und nennen sie die Ableitung im Punkt P.
Im ebenen Modell der klassischen Laguerre-Ebene ist
die reelle affine Ebene
.
Im Allgemeinen gilt:
- Jede Ableitung einer Laguerre-Ebene ist eine affine Ebene.
Damit ergibt sich die alternative Definition einer Laguerre-Ebene (vgl. Möbius-Ebene):
Satz: Eine Inzidenzstruktur zusammen mit einer Äquivalenzrelation
von
ist genau dann eine Laguerre-Ebene, wenn für jeden Punkt
die Ableitung
eine affine Ebene ist.
Endliche Laguerre-Ebenen

Die folgende Inzidenzstruktur ist ein Minimalmodell einer Laguerre-Ebene:
,
.
Also ist
und
Für endliche Laguerre-Ebenen, d.h. ,
ergibt sich:
- Für jeden Zykel
und jede Erzeugende
einer endlichen Laguerre-Ebene
gilt:
.
Für eine endliche Laguerre-Ebene
und einen Zykel
heißt die natürliche Zahl
Ordnung
von
.
Aus kombinatorischen Überlegungen folgt:
- Es sei
eine Laguerre-Ebene der Ordnung
. Dann gilt:
- a) Jede Ableitung
ist eine affine Ebene der Ordnung
b)
c)
Die klassische reelle Laguerre-Ebene
Ursprünglich wurde die klassische reelle Laguerre-Ebene als die Geometrie der gerichteten Kreise und Geraden in der euklidischen Ebene definiert. Zum besseren Vergleich mit einer Möbius-Ebene (Geometrie der Kreise) und einer Minkowski-Ebene (Geometrie der Hyperbeln) geben wir hier dem Parabelmodell den Vorzug.
Wir definieren:
sei die Menge der Punkte,
sei die Menge der Zykel.
Die Punktmenge ist
plus einem Exemplar
der reellen Zahlen (s. Bild). Jede Parabel/Gerade
erhält den zusätzlichen Punkt
.
Zwei Punkte
mit derselben x-Koordinate können nicht durch Zykel verbunden werden und heißen
parallel (
).
Also gilt:
- Zwei Punkte
sind genau dann parallel, wenn
ist.
ist eine Äquivalenzrelation, ähnlich der Parallelität von Geraden.
- Die Inzidenzstruktur
erfüllt die Axiome (B1), (B2), (B3) und (B4) und heißt klassische reelle Laguerre-Ebene.

Ähnlich dem Kugelmodell der klassischen Möbius-Ebene gibt es das Zylinder-Modell der klassischen Laguerre-Ebene:
ist isomorph zur Geometrie der ebenen Schnitte eines Kreiszylinders.
Die folgende Abbildung
projiziert die x-z-Ebene vom Punkt
aus auf den Zylinder mit der Gleichung
,
Achse
und Radius
- Die Punkte
(Zylindergerade durch das Zentrum) haben keine Urbilder.
projiziert die Parabel/Gerade mit der Gleichung
in die Ebene
ab. D.h. das Bild der Parabel/Gerade ist der Schnitt einer nicht senkrechten Ebene mit dem Zylinder und damit ein Kreis/Ellipse ohne dem Punkt
. Die Parabeln/Gerade
werden auf (horizontale) Kreise abgebildet.
- Eine Gerade (d.h.
) geht in einen Kreis/Ellipse durch das Projektionszentrum
und eine Parabel (d.h.
) in einen Kreis/Ellipse nicht durch
über.
Miquelsche Laguerre-Ebenen
Im Gegensatz zu Möbius-Ebenen führt die Ersetzung der reellen Zahlen
im klassischen Modell einer Laguerre-Ebene durch einen beliebigen Körper
in jedem Fall zu einer Laguerre-Ebene.
Satz: Für einen Körper
und
,
ist die Inzidenzstruktur
eine Laguerre-Ebene mit der folgenden Parallelitätsrelation:
genau dann, wenn
ist.
Wie bei Möbius-Ebenen gilt für die Laguerre-Ebenen
der Satz
von Miquel in der folgenden an Laguerre-Ebenen angepassten Fassung:

Satz (MIQUEL):
Für die Laguerre-Ebene
gilt:
- Wenn für beliebige 8 Punkte paarweise nicht parallele Punkte
, die so den Ecken eines Würfels zu geordnet werden können, dass 4 Punkte zu 5 Seitenflächen jeweils auf einem Zykel liegen, so ist dies auch für die 4 Punkte der 6. Seitenfläche der Fall (s. Bild: Für eine bessere Übersicht wurden Kreise statt Parabeln gezeichnet).
Die Bedeutung des Satzes von Miquel zeigt der folgende Satz von v. d. Waerden, Smid und Chen:
Satz (v.
d. Waerden, Smid, Chen):
Nur eine Laguerre-Ebene
erfüllt den Satz von Miquel.
Aufgrund dieses Satzes heißt
eine miquelsche Laguerre-Ebene.
Bemerkung:
- Das Minimalmodell einer Laguerre-Ebene ist miquelsch: Es ist isomorph zur
Laguerre-Ebene
mit
(Körper
).
- Der Beweis des Satzes von Miquel für eine Laguerre-Ebene
verwendet den Peripheriewinkelsatz für Parabeln (s. Parabel) und wird analog zum Beweis des Satzes von Miquel für Kreise/Geraden im reellen Fall geführt.
- Eine geeignete stereografische Projektion (s.o.) zeigt:
ist isomorph zur Geometrie der ebenen Schnitte einer zylindrischen Quadrik über dem Körper
.
Ovoidale Laguerre-Ebenen
Es gibt viele Laguerre-Ebenen, die nicht miquelsch sind. Eine große Klasse von Laguerre-Ebenen, die die miquelschen enthält, bilden die ovoidalen Laguerre-Ebenen. Eine ovoidale Laguerre-Ebene ist die Geometrie der ebenen Schnitte auf einem ovalen Zylinder. Ein ovaler Zylinder ist eine quadratische Menge und besitzt dieselben geometrischen Eigenschaften wie ein Kreiszylinder im reellen 3-dimensionalen Raum: Der Querschnitt ist ein Oval und ein Oval ist eine ebene Punktmenge mit den Eigenschaften: 1) Eine Gerade trifft ein Oval in 0,1 oder 2 Punkten, 2) In jedem Punkt gibt es genau eine Tangente. In der reellen Ebene kann man z.B. einen Halbkreis in geeigneter Weise glatt mit einer Hälfte einer Ellipse verbinden, um ein Oval zu erhalten, das keine Quadrik ist. Selbst im endlichen Fall gibt es Ovale, die keine Quadriken sind (s. quadratische Menge). Für die Klasse der ovoidalen Laguerre-Ebenen gibt es einen dem Satz von Miquel ähnlichen Schließungssatz, den Büschelsatz (engl.: Bundle Theorem). Er charakterisiert die ovoidalen Laguerre-Ebenen. Der Satz von Miquel und der Büschelsatz haben für Laguerre-Ebenen eine ähnliche Bedeutung wie die Sätze von Pappos und Desargues für projektive Ebenen.



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 22.10. 2021